Streaming-Abmahnungen: Kanzleien droht Debakel

Andreas Frischholz
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Im Streit um die Streaming-Abmahnungen steigt allmählich der Druck auf die Rechteinhaber und die abmahnenden Kanzleien. Mittlerweile beteiligt sich auch RedTube aktiv an den juristischen Scharmützeln, während das Landgericht Köln öffentlich von Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Auskunftsbeschlüsse spricht.

Das Schweizer Unternehmen „The Archive AG“ hält die Rechte an den Filmen und hat die beteiligten Kanzleien mit der massenhaften Abmahnung von RedTube-Nutzern beauftragt. Die Betreiber des Porno-Portals zeigten sich äußerst verärgert über die Abmahnungen. Das gilt insbesondere für die Gerüchte, RedTube habe mit den Kanzleien kooperiert und die Nutzerdaten selbst herausgegeben. Am Freitag erklärte RedTube-Vizepräsident Alex Taylor gegenüber Spiegel-Online: „RedTube gibt keine Informationen über seine Nutzer, inklusive derer IP-Adressen, an Dritte weiter.“ Und kündigte bei dieser Gelegenheit an: „RedTube ist bereit, sich der Herausforderung zu stellen und wird alles dafür tun, diese Absurdität ein für alle Mal vor den Gerichten zu beenden.

Nun berichtet die Frankfurter Rundschau, dass RedTube vor dem Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung gegen „The Archive AG“ erwirkt hat. Diese untersagt weitere Abmahnungen gegen RedTube-Nutzer, weil diese angeblich das Urheberrecht von „The Archive AG“ verletzt hätten. Die Entscheidung von den Hamburger Richtern betrifft laut RedTube nicht nur die in den Abmahnungen genannten Filme, sondern alle Inhalte, für die „The Archive AG“ Rechte geltend machen will. „Es ist eine klare Botschaft, dass die Ausnutzung von persönlichen Informationen und die Verletzung der Privatsphäre aus rein finanziellen Interessen nicht toleriert wird“, zitiert die Frankfurter Rundschau aus einer Pressemeldung.

Dass RedTube so schnell Erfolg hat, ist überraschend. Allerdings fehlt noch eine offizielle Bestätigung durch das Landgericht Hamburg. Sollte die einstweilige Verfügung zutreffen, haben „The Archive AG“ sowie die abmahnenden Kanzleien noch die Möglichkeit, Widerspruch gegen das Urteil einzulegen.

Landgericht Köln rudert zurück

Ohnehin hat sich in den letzten Tagen eine erstaunliche Kehrtwende vollzogen: Aufgrund der jüngsten Entwicklungen sowie über 50 Beschwerden gegen die Auskunftsbeschlüsse räumt das Landgericht Köln ein, dass diese möglicherweise nicht rechtmäßig waren. „Einige Kammern, bei denen Beschwerden von Anschlussinhabern eingegangen sind, haben bereits signalisiert, dass sie die inzwischen aufgetauchten Bedenken [unter anderem] an der Ordnungsgemäßheit der Ermittlung der IP-Adressen für beachtlich halten“, heißt es in der offiziellen Mitteilung (PDF-Datei). Etwas ausführlicher äußert sich das Gericht in Antwortschreiben an die Beschwerdesteller, aus denen der Anwalt Ralf Petring einige Auszüge zitiert. Demnach können die Richter trotz Gutachten nicht nachvollziehen, wie IP-Adressen von Streaming-Nutzern mit dem Programm GLADII 1.1.3 abgefangen werden: „Insoweit ist der Kammer derzeit auch nicht erkennbar, wie das eingesetzte Ermittlungsprogramm in der Lage sein soll, die IP-Adresse des Downloaders zu erfassen, der lediglich mit dem Server kommuniziert, auf dem das Werk hinterlegt ist.

Neben den Zweifeln an der korrekten Ermittlung der IP-Adressen stellt das Gericht nun auch in Frage, ob Streaming-Nutzer auf RedTube überhaupt eine „offensichtliche“ Urheberrechtsverletzung begehen. Nach Auffassung der Kammer stellt allein das Streaming einer Video-Datei noch „keinen relevanten rechtswidrigen Verstoß“ gegen das Urheberrecht dar – sofern die Datei nur vorübergehend gespeichert wird und aus einer „nicht offensichtlich rechtswidrigen“ Quelle stammt. Allerdings fehlt nach wie vor ein Gerichtsurteil, das abschließend Klarheit schafft. Dennoch lautet das Fazit von einigen Kammern des Kölner Landgerichts: „Insoweit begründen sowohl die unklare Tatsachenlage als auch die ungeklärte Rechtsfrage bereits Zweifel an der erforderlichen „Offensichtlichkeit“ der Rechtsverletzung.

Diese tendieren nun in die Richtung, nicht mehr „an ihrer ursprünglichen Einschätzung […] festzuhalten“ und die Auskunftsbeschlüsse aufzuheben. Eine endgültige Entscheidung soll aber erst im Januar getroffen werden. Wenn sich das Gericht aber bereits im Vorfeld soweit aus dem Fenster lehnt, ist eigentlich nur schwer vorstellbar, dass es nochmals zu einer Kehrtwende kommt. Zumal mittlerweile auch die Kölner Staatsanwaltschaft die Ermittlungen offiziell aufgenommen hat. Diese richten sich nicht gegen eine der abmahnenden Kanzleien, laut Oberstaatsanwalt Ulrich Brenner ermitteln die Kölner gegen Unbekannt. In dem Verfahren soll geklärt werden, ob gegenüber dem Landgericht Köln falsche eidesstattliche Aussagen getätigt wurden, um so an die Nutzerdaten hinter den IP-Adressen zu gelangen. Die Abmahnungen an sich stehen jedoch nicht im Fokus der Ermittlungen.

Unklare Folgen für Betroffene von Abmahnungen

Wie sich diese Entwicklung auf die Abmahnungen auswirken, lässt sich derzeit noch nicht absehen. Noch am Freitag sagte Thomas Urmann, Gesellschafter von der Kanzlei U+C, die für das Verschicken der Abmahnungen zuständig war, im Gespräch mit Zeit Online: „Aber selbst wenn die IP-Adressen auf eine illegale Art erlangt worden wären, kann uns das juristisch völlig egal sein.“ Die Beschlüsse zur Herausgabe der Nutzerdaten hätte ein Gericht erlassen. Und das habe zuvor das Verfahren geprüft, mit denen die IP-Adressen ermittelt wurden. „Vielleicht könnte ein einzelner Gerichtsbeschluss falsch sein, aber doch nicht mehr als 60 Beschlüsse bei 16 verschiedenen Kammern“, so Urmann.

In der Kanzlei U+C bleibt man scheinbar zuversichtlich, obwohl die ursprünglichen Pläne für eine Ausweitung der Streaming-Abmahnungen mittlerweile einen kräftigen Dämpfer erhalten haben. Sollte sich zudem der Verdacht bestätigen, dass die IP-Adressen von abgemahnten RedTube-Nutzern nicht direkt beim Streaming erfasst wurden, sondern schon vor dem Aufruf des Streams, dürfte bereits die aktuelle Abmahnwelle im Sand verlaufen.

Zumal das Interview noch stattfand, bevor RedTube die einstweilige Verfügung vor dem Landgericht Hamburg durchsetzte. Mit dieser Entscheidung sowie der zweifelnden Einschätzung vom Landgericht Köln entwickeln sich die Streaming-Abmahnungen für die Kanzlei zunehmend zu einem Debakel. Wie die Verfahren letztlich ausgehen, lässt sich angesichts der unsicheren Rechtslage kaum prognostizieren. Vieles wird von den Kölner Richtern abhängen, wenn diese im Januar das finale Urteil über die zahlreichen Beschwerden fällen.

Immerhin, trotz dem vorweihnachtlichen Chaos gibt es auch einen positiven Aspekt. Der Anwalt Udo Vetter geht davon aus, dass die aktuelle Entwicklung die Gefahr banne, dass „andere Rechteinhaber auf den Gedanken verfallen, mit ähnlichen Anträgen schnell das große Geld machen zu können“. Dass herkömmlichen Video-Plattformen wie YouTube sich zu Abmahnfallen entwickeln, scheint derzeit nur schwer vorstellbar.