Drama um Daedalic: Reportage fühlt Gollum und Publisher auf den faulen Zahn

Fabian Vecellio del Monego
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Drama um Daedalic: Reportage fühlt Gollum und Publisher auf den faulen Zahn
Bild: Daedalic

Der Herr der Ringe Gollum und das Entwicklerteam bei Daedalic waren aufgrund firmeninterner Missstände zum Scheitern verurteilt, konstatiert eine Reportage. Die Aufarbeitung liefert Hintergründe zur Entstehungsgeschichte eines der schlechtesten Spiele des Jahres und konfrontiert das Daedalic-Management mit schweren Vorwürfen.

Die Hintergründe zum schlechtesten Spiel des Jahres

Der Herr der Ringe: Gollum war für den Hamburger Publisher Daedalic ein einziges Desaster, das war spätestens mit der Abwicklung der eigenen Entwicklungsabteilung und der Entlassung eines Viertels der Belegschaft klar. Selten kommt es vor, dass ein Videospiel derart schlecht ist, dass ein Publisher nach vernichtenden Rezensionen von Presse und Spielern nicht nur die Arbeit am bereits finanzierten Nachfolger einstellt und die in Anspruch genommenen rund 2 Millionen Euro an Fördergeldern des Bundeswirtschafts­ministeriums mitsamt Zinsen zurückzahlt, sondern gleich ganz damit aufhört, überhaupt noch eigene Spiele zu entwickeln.

Und anscheinend schaffte selbst Gollum das nicht im Alleingang; stattdessen waren sowohl das Scheitern des Spiels als auch des Entwicklerteams von innen heraus vorprogrammiert, wie Recherchen von GameTwo – eine Kooperation von ZDFneo und Rocket Beans TV – zeigen. Am Donnerstagabend um 23:40 Uhr wird die 40-minütige Reportage bei ZDFneo ausgestrahlt, via YouTube ist sie schon jetzt verfügbar.

Worum geht es?

Die Verantwortlichen der Reportage haben mit insgesamt 32 – unter anderem ehemaligen – Mitarbeitern von Daedalic sowie Personen aus dem Umfeld des Publishers und einstigen Entwicklers gesprochen, wobei die meisten Gesprächspartner anonym bleiben wollten. Außerdem wurden Auszüge aus E-Mail-Verläufen gesichtet. Die investigative Reportage attestiert Daedalic ein fundamentales Versagen nicht nur bei Der Herr der Ringe: Gollum, sondern bei der Projektplanung als solche, beim internen Management und bei der Personalpolitik, sowie eine toxische Firmenkultur.

Crunch und ein toxisches Arbeitsumfeld

Es mag im Kontext der Spieleindustrie nicht weiter überraschen: Monatelange Mehrarbeit, Crunch und nicht selten 60 Stunden pro Woche seien die Regel gewesen, berichten Mitarbeiter. Nächte und Wochenenden hätten mitunter durchgearbeitet werden müssen. Der Geschäftsführung bescheinigen die Interviewpartner einen „harten und unnachgiebigen Führungsstil“, die Rede ist von einer „Atmosphäre der Angst“.

Lange Zeit hätte Daedalic überwiegend Berufseinsteiger und Praktikanten beschäftigt, um Lohnkosten zu drücken, so die Reportage. Als im Januar 2015 in Deutschland der allgemeine gesetzliche Mindestlohn eingeführt wurde, hätte Daedalic ausschweifend versucht, diesen über den Umweg „freiwilliger“ Berufsorientierungs­praktika für zuvor angestellte Entwickler zu umgehen. Wer sich geweigert habe, unter Mindestlohnniveau bezahlt zu werden, dem wurde gekündigt, berichten ehemalige Mitarbeiter.

Ein neues Genre überfordert maßlos

Bei Der Herr der Ringe: Gollum sei nun erschwerend hinzugekommen, dass das Entwicklerteam keine Erfahrungen mit dem Genre hatte. Daedalic zeichnete zuvor für erfolgreiche Point-and-Click-Adventures wie Deponia oder Edna bricht aus verantwortlich. In dieser Tradition sei auch beim Gollum-Spiel zunächst die Handlung ausgearbeitet worden, um anschließend Gameplay und Mechaniken drüberzustülpen. Diese Herangehensweise sei zum Scheitern verurteilt gewesen, wobei letztlich trotz mehrfacher Verschiebungen auch die Zeit gefehlt habe und viele Konzepte nicht umgesetzt werden konnten.

Generell sei die Größe des Projekts viel zu ambitioniert und für das vergleichsweise kleine Entwicklerteam und mit einem Budget von rund 15 Millionen Euro nicht stemmbar gewesen. Die Summe ist vor dem Hintergrund der von Indie-Studios geprägten deutschen Entwicklerlandschaft zwar außergewöhnlich hoch, im internationalen Vergleich aber sehr niedrig: Aktuelle Triple-A-Produktionen verschlingen im Jahr 2023 nicht selten mehr als zehnmal so viel Geld.

Entschuldigung per ChatGPT?

Stein des Anstoßes ist zudem das generische Entschuldigungsschreiben, das im Nachgang an den desaströsen Start des Gollum-Abenteuers auf dem Twitter-Account des Spiels veröffentlicht wurde. Tatsächlich stammte der Text, der zu allem Überfluss von „The Lord of Ring: Gollum“ spricht, gar nicht von Daedalic, sondern wurde laut Mitarbeitern in Eigenregie vom französischen Publisher Nacon, der Daedalic im Februar 2022 für rund 53 Millionen Euro aufgekauft hatte, per ChatGPT erstellt und veröffentlicht.

Daedalic reagiert oft ausweichend

Das sei nur halbwegs korrekt, erklärte Daedalic im Nachhinein. Tatsächlich wurde das Schreiben über die Köpfe der Entwickler hinweg verfasst und publiziert, Publisher Nacon habe zu diesem Zweck aber keine KI bemüht. Ohnehin lässt sich nicht prüfen, inwieweit die zahlreichen Anschuldigen zutreffen, zumal Fakt und Mutmaßung in der Reportage nicht immer eindeutig voneinander unterscheidbar sind. In einer Stellungnahme gibt Daedalic zu verstehen, dass im Unternehmen stets ein freundliches Betriebsklima geherrscht und die Geschäftsführung „immer ein offenes Ohr für Kritik und Anregungen der Beschäftigten gehabt“ habe. Die Kritik nehme sich Daedalic nichtsdestoweniger zu Herzen.

Wir alle von Daedalic sind sehr betrübt darüber, dass der ohne Frage hinter den Erwartungen zurückbleibende Release von Gollum nun zum Anlass genommen wird, die 17 Jahre zurückgehende Unternehmenshistorie von Daedalic mit ihren zahlreichen Erfolgen und Auszeichnungen insgesamt in Frage zu stellen.

Berechtigte Kritik nehmen wir gern an und werden beispielsweise die Vorwürfe in Bezug auf die interne Kommunikation zwischen Geschäftsleitung und Team einer genauen Aufarbeitung unterziehen. Die aktuellen qualitativen Probleme von Gollum jedoch mit allgemeinen, teilweise viele Jahre zurückliegenden Vorkommnissen in Verbindung bringen zu wollen, ist indes viel zu einfach gedacht.

Bestes Beispiel sind die Schwierigkeiten, die wohl fast alle Unternehmen bei Einführung des Mindestlohns Anfang des Jahres 2015 hatten. Daedalic hat seinerzeit versucht, eine faire Lösung für jeden Einzelfall zu finden und möglichst viele Mitarbeiter*innen im Unternehmen zu halten. Das war vor mehr als 8,5 Jahren, als Gollum noch lange nicht geplant war – dennoch wird daraus nun einer der Gründe des Misserfolges des Spiels konstruiert (Titel Game Two: „Warum Gollum scheitern musste“).

Daedalic ist es stets wichtig, transparent und offen auf Fragen einzugehen. Deshalb übermitteln wir anliegend ebenso transparent die Originalfragen von Game Two samt unserer diesbezüglichen Antworten, die leider unserer Meinung nach bislang nicht hinreichend berücksichtigt wurden.

Daedalic

Auf die allermeisten Anschuldigungen reagiert der Publisher wiederum ausweichend und kann oder will sie nicht direkt dementieren. Berufseinsteiger und Praktikanten beschäftige das Unternehmen kaum noch, heißt es, und die Mindestlohn-Situation sei tatsächlich tragisch gewesen – allerdings, weil viele Beschäftigte, die aufgrund der gestiegenen Lohnkosten entlassen werden mussten, gerne auch für eine niedrigere Entlohnung beim Entwickler weitergearbeitet hätten. Darüber hinaus beschwert sich Daedalic darüber, dass Gollum nun instrumentalisiert werde, um die 17-jährige Erfolgsgeschichte des Unternehmens zu beschädigen.

Die Korrespondenz im Wortlaut

Die Stellungnahme sowie die zweiteilige Korrespondenz zwischen Daedalic und GameTwo liegen GamesWirtschaft im Wortlaut vor. Ein Großteil der Fragen und Antworten wurde inzwischen veröffentlicht und findet sich nachfolgend.

Erster Fragenkatalog, vom 29. September 2023
Zweiter Fragenkatalog vom 4. Oktober 2023