Assassin's Creed 4: Black Flag im Test: Die große Überraschung

 3/6
Sasan Abdi
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Gameplay & Spielwelt

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die Story von „Black Flag“ ist alles in allem noch gut, da sie gerade ab der Spielhälfte deutlich an Fahrt aufnimmt und die eigentliche Auseinandersetzung zunehmend gekonnter in den Mittelpunkt stellt. Trotzdem: Wir hätten mehr erwartet, was die erste, negative Überraschung darstellt.

Bricht diese Einschätzung AC 4 in unserer Bewertung das Genick? Davon wäre auf den ersten Blick auszugehen, denn schließlich bietet die Reihe auf dem zweiten wichtigen Feld, bei den Spielmechaniken, seit Jahren überwiegend nur Stillstand an. Scheitert „Black Flag“ also an der Kombination aus einer Story, die nicht wie gewohnt einschlägt, und einem eingestaubten Gameplay? Weit gefehlt, denn beim Gameplay hat der Titel die zweite, in diesem Fall positive Überraschung in petto.

Stillstand an Land

Diese Überraschung gilt, wohlgemerkt, nicht für die Landgänge. Ob in den Metropolen Havanna und Nassau oder auf einer kleinen, mit Vorposten und Schätzen gespickten Insel: „Black Flag“ bleibt an Land von Detailänderungen abgesehen ganz „Assassin's Creed“. Dementsprechend hangelt man sich auch hier in der Hauptsache oberhalb von Straßenschluchten durch die Umgebung, besteigt hohe Aussichtspunkte, hechtet über Abgründe und von Baumwipfel zu Baumwipfel und mäht nur so durch die gegnerischen Horden.

Letztere sind nach wie vor überhaupt keine Herausforderung. Ob als Anfänger oder AC-Veteran, ob gegen normale Schergen oder bestens ausgebildete Offiziere: Auch Edward macht sie, genauso wie seine Vorgänger, locker alle fertig. Dabei spielt es kaum eine Rolle, welche Tasten der Spieler drückt: Ein bisschen mit E geblockt, dann mit der Leertaste die Deckung aufgebrochen und wahlweise mit der Faust, den versteckten Klingen oder einem Säbel zu Ende gebracht – fertig ist der vermöbelte Gegnermob.

Etwas dynamischer wird es, wenn der Spieler umfassender auf Schusswaffen setzt oder von Scharfschützen unter Druck gesetzt wird. Durch die Kombination von Pistolen und Gewehren mit Nahkampfangriffen lassen sich immerhin ansehnliche, actionreiche Varianten ausprobieren, die das öde In-der-Mitte-stehen-und-nach-Blockanzeige-E-Drücken häufiger mal aufbrechen.

Ähnlich stupide wie das Kampfsystem ist die grundsätzliche Bewegung, also das nach wie vor viele Klettern, Sprinten und Hechten. Was in früheren AC-Titeln irgendwie cool war, wirkt mittlerweile einfach eingestaubt. Dies liegt daran, dass sich auch in AC 4 nichts am Autopilot-Charakter geändert hat: Einfach mit gedrückter Shift-Taste durch die Gegend rennen – Edward wird auf keinen Fall abstürzen. Dieses Zugeständnis an die vermeintliche Faulheit der Spieler führt immer wieder zu absurden Situationen, in denen Edward zum Beispiel plötzlich eine Laterne hochklettert, anstatt weiter unauffällig eine Straße entlangzulaufen.

Es ist wirklich schade, dass Ubisoft nicht endlich von solchen Automatismen absieht. Schade deswegen, weil der Autopilot handfeste Auswirkungen auf das Spielerlebnis hat, was sich beispielsweise darin äußert, dass wir an einer Felswand überhaupt nicht überlegen, wo der beste Weg nach oben sein könnte, sondern stattdessen einfach – Shift haltend! – klettern lassen, ohne uns auch nur einmal umzusehen.

Doofe Schleicheinlagen wegen lachser KI

Eine weitere Enttäuschung an Land sind die Schleicheinlagen. Dabei ist es eigentlich erst mal löblich, dass die Entwickler von diesen Passagen zumindest optional deutlich mehr eingebaut haben, als in den Vorgängern. So kann man sich immer wieder aussuchen, ob man lautlos oder in Rambomanier zum Ziel gelangen möchte, wobei es manchmal sogar zwingend erforderlich ist, unentdeckt durch ein Gebiet zu gelangen.

Allerdings funktioniert die Schleicherei nach wie vor nur dann, wenn auch die passende Vegetation vorhanden ist: Auch Edward kann nicht selbstständig kriechen, weswegen er auf hohes Gras oder ähnliche natürliche Deckungen angewiesen ist, um sich an seine Gegner heranpirschen zu können. Dieser Umstand wäre allerdings verkraftbar, da die meisten Areale so angelegt sind, dass man durchaus klarkommt.

Assassin's Creed 4 im Test
Assassin's Creed 4 im Test

Was den Schleichspaß aber deutlich verringert, ist die künstlich beschnittene Kompetenz-KI. Eigentlich sind Wachen nämlich durchaus kompetent und reagieren prompt auf eine unvorsichtige Vorgehensweise. Allerdings ist das Alarmverhalten so eingestellt, dass man sich schon einige Sekunden voll zeigen muss, damit aus einer misstrauischen eine kampfbereite Wache wird.

Auch das führt zu absurden Situationen. Die einfachste Art meuchelnd voranzukommen ist nämlich nicht etwa, einzelne Gegner per Pfeifen in ein Gebüsch zu locken. Viel effektiver ist, sich kurz in voller Gestalt zu zeigen. So können gleich mehrere Wachen ins Gebüsch gelockt und einer nach dem anderen erledigt werden. Wem das zu lange dauert, der kann häufig einfach alles links liegen lassen: Rennt Edward kurzzeitig vor den Augen eines Wachtrupps von Busch zu Busch, erfolgt häufig keine nennenswerte Reaktion. Auf diesem Weg kommt man auch ohne viel Taktik und Meuchelei schnell durch die Schleichareale durch – realistisch sieht anders aus!

Fantastisch zur See

Seine große Stärke entfaltet „Black Flag“ dann, wenn es aufs Meer geht. Hier glänzt der Titel, indem er dem Spieler jede Menge Freiheiten an die Hand gibt. Im Prinzip kann man dabei auf ein geografisch verzerrtes Abbild der Karibik zurückgreifen, das nahezu frei von Ladebarrieren erkundet werden kann.

Dreh- und Angelpunkt ist der Segler des Protagonisten, der sich in Arcadiger-geht's-gar-nicht-Manier durch die malerische, von jähen Wind- und Wetterwechseln durchzogene Inselwelt steuern lässt. Eine Tierjagd auf einer kleinen Insel? Das Erforschen von Inka-Rätseln im Dschungel? Ein Angriff auf ein schweres, britisches Fort? Eine Seeschlacht gegen ein riesiges Kriegsschiff? Die Erkundung einer Schmugglerhöhle? Schatzsuche und Perlentaucherei? Harpunenjagd auf Haie? All das bietet „Black Flag“ – und macht damit jeden Piratentraum wahr, den kleine und große Mädchen und Jungen haben können.

Zugleich findet sich hier ein Aspekt, der einen mit der manchmal nicht ganz stringenten Story versöhnt. Denn wie bereits angedeutet, hat dieser neue Aspekt im Gameplay einen großen Einfluss auf die Handlung: Es sind ebendiese Vielfalt und die damit verbundene Zeitlosigkeit, die mit dazu beitragen, dass die Story von „Black Flag“ im Vergleich zu den Vorgängern weniger stringent wirkt. Die Entwickler, das wird schnell deutlich, opfern ein Stück weit die typische Wie-im-Kino-Erzählung, um den Spieler in GTA-Manier auf die Umwelt loszulassen. Einfach mal machen – wer hätte gedacht, dass ein „Assassin's Creed“ jemals einen solchen Sandbox-Charakter haben würde!

Das ist, wir sagten es, überraschend, und auch richtig gut. Wenn wir Schiffe zusammenschießen und entern, um das erbeutete Geld und die Materialien in den Ausbau unseres Seglers zu investieren, wenn wir langanhaltende Schlachten gegen eine gegnerische Flotten führen und zwischendurch ein Fort erstürmen, dann ist aller Ärger um die öden Landgänge, die doofen Schleicheinlagen und die manchmal fahrige Story sofort vergessen.

Gut ist auch, dass der Ausbau des eigenen Schiffes tatsächlich merklich drängt, denn ohne verstärkten Rumpf, starke Kanonen und besonders durchschlagskräftige Kugeln lässt sich allenfalls ein kleiner Schoner problemlos aufbringen. Geht man zu forsch vor und kauft sich zwischendurch nicht frei, sieht man sich schnell mit einem großen Kriegsschiff oder gar einer Flotte der Krone konfrontiert – ein Zusammentreffen, das in den ersten Stunden regelmäßig schlecht ausgeht.

Die Schlachten als solche fallen bedingt durch die arcadige Steuerung sehr arcadig, dadurch aber auch actionreich aus. Will heißen, dass der Spieler nicht über die Maßen gefordert wird: Wind und Wellen müssen kaum einberechnet werden, wenn man seinen Gegnern mit einer Breitseite, Mörsern, Feuerfässern, Enterhaken und Bordkanonen einheizt. Trotzdem entfalten die Schlachten ihren taktischen Anspruch, der zum Beispiel auch mal notwendig macht, abzudrehen, sich kurzzeitig in Wellentälern zu verstecken und auf günstige Gelegenheiten zum Rammen zu warten.

Besonders spaßig sind die Seegefechte, wenn erschwerend ein Tropensturm hinzukommt. Dann muss man nicht nur die Gegner im Auge behalten, sondern auch auf Monsterwellen und Windrosen achten – eine komplexere Steuerung könnte in diesen Situationen wirklich zur Überforderung führen und vielleicht etwas daran ändern, dass „Black Flag“ zur See richtig glänzt.