Politik rechtfertigt Überwachung von sozialen Medien

Andreas Frischholz
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Dass Bundeswehr und Bundesnachrichtendienst (BND) die Überwachung von sozialen Medien im Ausland forcieren, ist nach Ansicht des Innenministeriums kein Eingriff in die Privatsphäre der Nutzer. Das geht aus der Antwort auf eine Anfrage des Linkspartei-Abgeordneten Andrej Hunko hervor, die Netzpolitik.org vorliegt.

Demnach verfolgen sowohl das „WeroQ“-Projekt der Bundeswehr als auch die „Echtzeitanalyse von Streaming-Daten“ durch den BND das Ziel, in sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter und Flickr die öffentlich zugänglichen Informationen zu erfassen. Die anfallenden Datenberge sollen analysiert werden, um Erkenntnisse anhand von Tendenzen, Trends und Auffälligkeiten im Kommunikationsverhalten möglichst in Echtzeit zu gewinnen.

Der Fokus der Bundeswehr richtet sich dabei auf „Meinungs- und Stimmungslagen der Bevölkerung in den Einsatz- und Interessengebieten“. Konkret heißt es im Antwortschreiben des Innenministeriums: „Eine Analyse des Informationsumfeldes außerhalb des Einsatz- und Interessengebietes der Bundeswehr im Ausland, etwa in Deutschland, (...) findet nicht statt“. Derweil soll der BND in erster Linie „auftragsrelevante Erkenntnisse“ gewinnen. Die „Zielvorstellung ist, dem gesetzlichen Auftrag des BND entsprechend, Entwicklungen im Ausland – und nicht in Deutschland – zu verfolgen und insbesondere krisenhafte Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen“.

Diese Vorhaben sind allerdings noch keine finalen Überwachungsprogramme, sondern vielmehr Forschungsprojekte. Das Bundeswehrprojekt WeroQ („Wissenserschließung aus offenen Quellen“) läuft etwa von 2014 bis 2016 und soll zunächst jene Technologien identifizieren, die für eine „IT-gestützten Nachrichtengewinnung aus offenen Quellen“ geeignet sind. Bei den Analyse-Tools handelt es sich um die frei verkäuflichen Software-Lösungen Textrapic und Brandwatch.

Beim BND ist die Echtzeit-Analyse von sozialen Medien ein Teil der umstrittenen „Strategischen Initiative Technik“. Erst vor kurzem wurde bekannt, dass der BND zu diesem Zweck auf In-Memory-Datenbanksysteme umsatteln will. Die entsprechende Software-Lösung von SAP prüft derzeit die Universität der Bundeswehr. Noch verfügt der BND aber nicht über die notwendige Hardware, um entsprechende Programme und Datenbanken zu betreiben.

Wie weit darf die Analyse von öffentlich zugänglichen Informationen gehen?

Die Argumentation des Innenministeriums hinterlässt allerdings einige Fragezeichen. Denn im Kern geht es um die Frage: In welchem Ausmaß dürfen Behörden und Geheimdienste öffentlich zugängliche Informationen erfassen und auswerten. Unter Berufung auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Online-Durchsuchung argumentiert nun das Innenministerium: „Es liegt kein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor, wenn eine staatliche Stelle im Internet verfügbare Kommunikationsinhalte erhebt, die sich an jedermann oder zumindest an einen nicht weiter eingrenzbaren Personenkreis richten.“ Dementsprechend würden solche Technologien auch keinen Eingriff in die Grundrechte darstellen.

Netzpolitik.org kritisiert diese Rechtsauffassung. Das Bundesverfassungsgericht hatte zwar in dem Urteil entschieden, dass zunächst kein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte vorliegt, wenn staatliche Stellen öffentlich zugängliche Informationen nutzen. Wenn aber Informationen, die „durch die Sichtung allgemein zugänglicher Inhalte gewonnen wurden, gezielt zusammengetragen, gespeichert und gegebenenfalls unter Hinzuziehung weiterer Daten ausgewertet werden“, kann das als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bewertet werden. Das bedeutet in der Praxis: Öffentlich zugängliche Informationen dürfen ausgewertet werden, sofern diese nicht „(nachträglich) personalisiert werden (können)“, wie der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragter Peter Schaar gegenüber Netzpolitik.org erklärt.

Allerdings ist es genau dieser Punkt, den der Linken-Abgeordnete Hunko gegenüber Netzpolitik.org kritisiert: „Durch die Analyse von Teilnehmern einer öffentlichen Kommunikation über Twitter oder Facebook können Rückschlüsse auf deren soziale Kontakte gezogen werden. Wird etwa bei Twitter zudem die Geolokalisierung nicht ausgeschaltet, ist der Aufenthaltsort von Personen oder Gruppen bekannt.“ Daher gehe es zu weit, wenn diese Daten so aufbereitet werden, dass sie „für Polizei und Militär permanent nutzbar“ sind.

Skeptisch bewertet Hunko auch die Aussage, die Überwachung von sozialen Medien betreffe nur das Ausland. Server von Diensten wie Facebook und Twitter sind quer über die Welt verteilt, dementsprechend könnten auch deutsche Nutzer ins Visier von BND und Bundeswehr geraten. Zumal der BND soweit gehe, bereits innerdeutschen Datenverkehr als ausländisch einzustufen, wenn dieser „über andere Länder geroutet“ werde, so Hunko gegenüber Spiegel Online.

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    … ist Politikwissenschaftler und berichtet seit 2004 über Netzpolitik, Tech-Ökonomie und den digitalen Wandel der Gesellschaft.
Quelle: Netzpolitik.org

Ergänzungen aus der Community

  • mumpel 28.07.2014 13:50
    Ich sehe das in der Form nicht problematisch. Stimmungen und Ereignisse in bestimmten Ländern vorherzusagen ist die Aufgabe von Geheimdiensten und Aufklärung. Ob die nun ausländische Zeitungen lesen, Agenten vor Ort haben oder Facebook und Twitter automatisch analysieren, ist total egal. Wer das nicht will, braucht keinen Geheimdienst, hat aber den Nachteil, dass er nicht weiß, was um ihn herum passiert. Und wenn dann Handlungsbedarf besteht, gibt es keine Informationen auf Basis derer man agieren kann.

    Davon mal ganz abgesehen: Werber, Marken und Suchmaschinen analysieren soziale Netzwerke schon seid langem. Wieso dann nicht auch das für sicherheitsrelevante Kontexte verwenden? Es geht hier nicht um einzelne Kriminelle, Rasterfahndung oder die Infiltration der Privatsphäre von Millionen von Usern, wie bei Prism, sondern um Trends. Darüberhinaus geht es auch nicht um irgendwelche geheime und private Informationen, sondern um öffentliche Posts, die gelesen werden sollen. Da wird bspw. geschaut, welche Themen oft diskutiert werden, wo User besonders aggressiv und hitzig werden, wie auf bestimmte News geantwortet wird, welche Bevölkerungsgruppen auf bestimmte Nachrichten mehr reagieren ... Das alles kann benutzt werden, um kritische Situationen vorherzusagen, auf aufgebrachte Stimmungen zu reagieren (bspw. allgemeine Alarmbereitschaft zu erhöhen, Schutz an Zivilgebäuden zu intensivieren oder bestimmte Personen abzuziehen).

    Ob Paule Puffer sich zudröhnt oder mit 100 durch eine 30iger Zone gefahren ist, interessiert hier keine Sau. Selbst einen terroristischen Anschlag durch Paule Puffer können solche Systeme nicht vorhersagen. Sie können aber ggf. eine erhöhte Selbstmord-Attentäter-Gefahr nach Nachricht XY vorhersagen, auf die dann mit geänderten Routen, höherer oder niedriger Straßenpräsens, höherer Alarmbereitschaft vorbereiteten Ärzteteams usw. reagiert werden kann.