Android Automotive OS im Test: Unterwegs im Polestar 2 mit Google als Beifahrer

Nicolas La Rocco
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Android Automotive OS im Test: Unterwegs im Polestar 2 mit Google als Beifahrer

Der Polestar 2 ist das erste Fahrzeug mit Android Automotive OS als Betriebssystem. Im Test punktet das Infotainmentsystem vor allem mit schneller Bedienung und Google Maps. Starken Nachholbedarf gibt es aber noch bei Messaging und Video-Apps. Im Vergleich zu Android Auto und Apple CarPlay wird Potenzial von Google verspielt.

Seit mittlerweile mehr als sieben Jahren sind Apple und Google im Auto präsent, einmal mit CarPlay und einmal mit Android Auto (Test). Beiden Herstellern gemein ist, dass die Software auf dem Smartphone läuft und der Inhalt auf das Infotainmentsystem projiziert wird. Beide Anbieter ermöglichen zudem, dass Bedienelemente im Auto mit Funktionen auf dem Smartphone verknüpft werden können, um zum Beispiel die Sprachsteuerung zu bedienen oder von einem Lied zum nächsten zu springen. Auch die zusätzliche Darstellung im Kombiinstrument oder Head-up-Display beherrschen Apple und Google.

Android Automotive OS als Betriebssystem fürs Auto

Im Polestar 2 kommt Android aber als eigenständiges Betriebssystem zum Einsatz. Das Smartphone wird somit für viele Dienste nicht mehr benötigt, weil Apps nativ unter Android Automotive OS, kurz AAOS, laufen. Mit AAOS zieht erstmals der Google Play Store ins Auto ein und wird langfristig gesehen Zugriff auf hunderte oder gar tausende Apps geben. AAOS ist nicht mehr nur für Navigation und Multimedia zuständig, sondern steuert auch Funktionen des Autos, etwa die Klimaanlage oder die Sitzheizung.

AAOS hat eine längere Phase der Entwicklung hinter sich, denn angekündigt wurde das Betriebssystem bereits im Frühjahr 2017. In einem alten Blog-Beitrag von Google ist noch zu lesen, dass Audi und Volvo zu den ersten Unterstützern zählen sollen. Um Audi ist es diesbezüglich äußerst ruhig geworden, nur in China wurde das MMI genannte Infotainmentsystem auch mit einer Basis aus Android 9 angeboten, die man aber nicht AAOS nennen kann.

Der Polestar 2 ist das erste Auto mit AAOS

Der erste tatsächliche Unterstützer von AAOS ist Volvo mit der Marke Polestar, die zu jeweils 50 Prozent der Volvo Car Corporation und der Zhejiang Geely Holding in China gehört. Bereits Anfang 2019 wurde der Polestar 2 als reines E-Auto mit AAOS vorgestellt, seit Sommer des letzten Jahres findet die Auslieferung an erste Kunden statt. Bei diesem Aufgebot ist es seitdem aber nicht geblieben, denn auch die Volvo-Modelle werden sukzessiv auf AAOS umgestellt oder sind es bereits.

Ford setzt ab 2023 auf AAOS

Nachdem AAOS zum Start durchaus noch eine mangelnde Traktion unterstellt werden konnte, sind mit Polestar, Volvo und dem neuen GMC Hummer EV bereits drei Marken an Bord. Einen großen Sprung nach vorne dürfte AAOS vor allem mit Ford machen, die ab 2023 auf das Betriebssystem setzen wollen. Auch die in Nordamerika angebotene Ford-Luxusmarke Lincoln will künftig AAOS verwenden.

Das ist der Polestar 2

Der Polestar 2 wird seit April dieses Jahres deutlich günstiger als zum Marktstart angeboten, 13.000 Euro weniger kostet das E-Auto jetzt. Dafür hat Polestar allerdings deutlich die Ausstattung reduziert und sie in neue Pakete ausgelagert. Die Hürde für den Kauf eines Polestar 2 ist damit deutlich niedriger gesteckt, mit identischer Ausstattung hat sich aber nichts am Preis verändert. Erfreulich ist, dass sich rund um den Bereich Infotainment durch die neue Preisstruktur nichts verändert hat. Was in puncto Multimedia auf den Bildern von Polestar gezeigt wird, gehört stets zur Serienausstattung.

ComputerBase hat für den Test von AAOS einen Polestar 2 nach alter Preisstruktur erhalten, dessen Preis bei 58.900 Euro lag. Das Fahrzeug kam mit der größten Motorisierung „Long Range Dual Motor“, die über zwei E-Motoren 300 kW (408 PS) leistet und den Sprint auf 100 km/h in 4,7 Sekunden erledigt. Für den 78-kWh-Akku gibt Polestar einen Verbrauch und eine Reichweite von 19,5 bis 20,3 kWh/100 km respektive 450 bis 480 km an. Vollständig geladen zeigte das Kombiinstrument aber nie mehr als 400 km Reichweite an, im innerstädtischen Verkehr waren im Testzeitraum von einer Woche eher 350 km realistisch. Weitere Ausstattungsmerkmale waren die Farbe „Thunder“ und die Innenausstattung „Slate WeaveTech“.

Die Pakete des Polestar 2 im Überblick

Diese Ausstattung entspricht dem neuerdings für 3.500 Euro angebotenen „Pilot Paket“ und dem für 4.500 Euro angebotenen „Plus Paket“. Ersteres bringt auch Merkmale wie die Pixel-LED-Scheinwerfer mit LED-Nebelscheinwerfern, das „Driver Assistance-System“ mit „Adaptive Cruise Control“ und die „Pilot Assist“-Funktion, eine 360-Grad-Kamera, Rundum-Parksensoren und Funktionen zur Unterstützung der Fahreraufmerksamkeit wie das Toter-Winkel-Warnsystem und Spurhalteassistenten, den „Cross Traffic Alert“ mit Bremsunterstützung und die „Rear Collision Warning“ mit. Das zweite Paket enthält das durchgehende Panorama-Glasdach, das Premium-Audiosystem von Harman Kardon mit 13 Lautsprechern, WeaveTech-Sitze, Black-Ash-Dekopaneele, elektrisch verstellbare und beheizte Vordersitze mit Memory-Funktion, beheizte Rücksitze, ein beheiztes Lenkrad und beheizte Wischerblätter.

Darüber hinaus lässt sich nur für die stärkste Variante das „Performance Paket“ für 6.000 Euro buchen, das einstellbare Öhlins-Dämpfer, Brembo-Bremsen, geschmiedete 20-Zoll-Leichtmetallräder und charakteristische Elemente innen und außen in „Schwedisch-Gold“ umfasst. Eine Handvoll Einzeloptionen ist darüber hinaus erhältlich, darunter die belüftete Nappaleder-Ausstattung („Plus Paket“ erforderlich), die Metallic-Lackierung, 20-Zoll-Leichtmetallräder und eine halb elektrische, einklappbare Anhängerkupplung.

Das Infotainmentsystem des Polestar 2

Aber zurück zum Infotainmentsystem und dessen Hardware: Polestar verbaut serienmäßig einen 11,15 Zoll großen Touchbildschirm, der 1.536 × 1.152 Pixel bietet und für beinahe alle Funktionen des Fahrzeugs zuständig ist. Als physische Bedienelemente ausgelagert, hat Polestar lediglich Tasten für den Google Assistant, das nächste oder vorherige Lied und die Lautstärke am Lenkrad. Der zentrale Bildschirm kann ausschließlich per Touch bedient werden. Darüber hinaus gibt es vor dem Wählhebel Tasten für den Warnblinker, den Defroster und die beheizte Heckscheibe. Dazwischen sitzt ein großer Dreh-Drück-Regler für Lautstärke, Play und Pause.

Beim zweiten Bildschirm handelt es sich um das 12,3 Zoll große Kombiinstrument, das genau genommen aber nichts mit AAOS zu tun hat. Denn für diese kritischeren Anzeigen kommt ein eigenes Echtzeitbetriebssystem zum Einsatz, das zwar auf demselben SoC läuft, aber nur in einem Punkt mit AAOS in Verbindung steht. AAOS ist grundsätzlich nicht für sicherheitskritische Features verantwortlich, darunter vor allem die gesamten Assistenzsysteme, aber auch Dinge wie das digitale Tachometer. Das Kombiinstrument kann aber als Darstellungsfläche für AAOS genutzt werden, um gewisse Anzeigen auszulagern. Im Polestar 2 ist das vor allem die Kartenansicht in Google Maps mit Navigationshinweisen. Auch eingehende Anrufe werden im rechten Bereich des Kombiinstruments angezeigt. Davon abgesehen ist das Fahrer-Display aber als eigenständiger Bereich zu sehen, der ohne AAOS auskommt.

Intel liefert den Prozessor

Rechenleistung für alles liefert ein SoC von Intel, genauer gesagt eine in 14 nm gefertigte CPU der Baureihe A3900 (PDF), die speziell für das Automotive-Segment entwickelt wurde und mit entsprechenden Zertifizierungen für Temperaturen und Langlebigkeit kommt. Intern läuft diese SoC-Generation unter dem Namen Apollo Lake und nutzt CPU-Kerne der Goldmont-Generation. Intel hatte Apollo Lake im April 2016 zur Frühjahrsausgabe des IDF in Shenzhen, China vorgestellt. Obwohl das SoC damit schon einige Jahre auf dem Buckel hat, fiel der Chip im Test nicht negativ mit mangelnder Leistung auf. Reserven gibt es aber ebenso wenig.

Nachdem die Basics von Auto und Hardware damit erklärt sind, geht der nächste Abschnitt auf die Software und somit die Vor- und Nachteile von AAOS ein.