Bundesjustizministerium: Account-Sperren bei wiederholten Hass-Posts

Michael Schäfer
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Bundesjustizministerium: Account-Sperren bei wiederholten Hass-Posts
Bild: LoboStudioHamburg | gemeinfrei

Bisher waren Ermittlungsbehörden bei Account-Sperren in den sozialen Netzwerken bei persönlichen Angriffen immer auf die Zustimmung der Betreiber angewiesen. Das soll sich nun ändern. Das Bundesjustizministerium plant derzeit die rechtliche Möglichkeit, entsprechende Zugänge nach Richterbeschluss zumindest temporär zu sperren.

Auch wenn Betreiber von sozialen Netzwerken mit dem NetzDG bereits seit rund sechs Jahren enorme Pflichten im Umgang mit Morddrohungen, Beleidigungen oder Beschimpfungen auferlegt bekommen haben, entscheiden diese nach wie selbst darüber, ob entsprechende Accounts gesperrt oder sogar vom Netz genommen werden. Dadurch sind vor allem Betroffene von dem Vorgehen der Anbieter abhängig.

Bereits vor mehr als zwei Jahren gab die damalige Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) an, dass in strafrechtlich relevanten Fällen Gerichte und nicht Betreiber entsprechender Angebote über eine Sperre entscheiden sollen. Für sie stellte es seinerzeit ein Problem dar, wenn private Unternehmen darüber entscheiden, was in welcher Form von der Meinungsfreiheit gedeckt ist und was nicht. Darüber hinaus soll es ihrer Aussage nach die Aufgabe des Staates sein, entsprechende Sachverhalte zu klären. Bereits damals kündigte Lambrecht eine Gesetzesinitiative an, welche nun, auch wenn das Ministerium mittlerweile mit Marco Buschmann an die FDP gegangen ist, Formen annimmt.

Konsequenteres Vorgehen

Die Ampelregierung will nun die Gangart verschärfen und notfalls Accounts per Gericht sperren lassen. Dies hatte sie bereits 2021 im Koalitionsvertrag mit einem „Gesetz gegen digitale Gewalt“ festgelegt, welches nicht nur Lücken bei Auskunftsrechten für Betroffene schließen, sondern auch Account-Sperren auf richterliche Anordnung ermöglichen soll. Über erste Entwürfe hat die Tagesschau zuerst berichtet.

Dabei wurden einige von Lambrecht eingebrachte Ideen aufgegriffen. So soll es laut ersten Plänen in Zukunft möglich sein, dass bei Angriffen im Netz Betroffene unter bestimmten Voraussetzungen eine Sperrung des Zugangs des Aggressors beantragen können, über die dann ein Richter entscheidet. Damit jedoch nicht jede Unstimmigkeit am Ende einem Gericht vorgelegt wird, gibt es bereits jetzt Einschränkungen. Generell soll eine Sperre erst dann in Betracht gezogen werden, wenn vorher bereits alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden. Dazu gehören unter anderem das Löschen der entsprechenden Nachrichten oder das (eventuell auch temporäre) Sperren seitens des Betreibers. Zudem soll sich das Vorhaben vor allem an „notorische Rechtsverletzer im digitalen Raum“ richten und in den Fällen zum Einsatz kommen, in denen nicht sofort erkennbar ist, wer sich hinter dem jeweiligen Profil verbirgt. Zudem muss es sich bei den Sperren um schwerwiegende Persönlichkeitsverletzungen handeln und die Sperre einer klaren Verhältnismäßigkeit unterliegen. Auch dies dürfte im Ermessungsspielraum des jeweiligen Gerichtes liegen.

Mehr Möglichkeiten für Betroffene

Gleichermaßen sollen die rechtlichen Hürden für Betroffene abgebaut werden. So soll es in Zukunft für diese leichter sein, die Identität der Verfasser entsprechender Nachrichten zu erfahren, um diese unter Umständen auf Unterlassung oder Schadensersatz verklagen zu können. Auch dies soll die Abschreckung erhöhen. Für entsprechende Ersuche sollen zudem keine Gerichtskosten anfallen, wobei auch die Anwaltskosten für Betroffene eine nicht zu vernachlässigende Hürde darstellen können.

Weiter soll der Account-Betreiber auf das Sperrersuchen hingewiesen werden und somit die Möglichkeit zur Stellungsnahme erhalten. Die Sperre soll dabei, zumindest rechtlich, nicht permanenter Natur sein, sondern „nur für einen angemessenen Zeitraum“ erfolgen. Auch hier dürften wieder die Gerichte gefragt sein. Ob ein Profil dann für immer vom Netz genommen wird, obliegt dagegen weiterhin dem Betreiber.

Zustimmung und Fragen

Aus vielen Bereichen erhält das Bundesjustizministerium für sein Vorgehen Zustimmung – auch aus denen, von denen eher mit Kritik gerechnet wurde. So begrüßt die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) das Vorgehen generell, sieht aber noch ungeklärte Fragen. So erhofft sich Ulf Buermeyer, Vorsitzender der GFF und bis 2020 noch Richter am Landgericht Berlin, von den Ausarbeitungen, dass im Extremfall auch dauerhafte Sperrungen möglich sein werden. Dass Täter jedoch erst mehrfach auffallen müssen, damit eine entsprechende Sperre in Betracht gezogen wird, kann Buermeyer nicht nachvollziehen. Für ihn müssen die gleichen Vorgaben wie in der analogen Welt gelten, bei der Beleidigungen oder Schlimmeres ebenfalls sofortige Konsequenzen nach sich ziehen würden. Wer also zum ersten Mal auffällt, wird mit einer noch recht geringen Strafe belegt, eine nach seiner Ansicht strafbare Beleidigung soll dagegen ausreichen, ein Profil zumindest zeitweise sperren zu können. Auch ihm geht es um vor allem um die Abschreckung – „damit sich das rumspricht“, so Buermeyer gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio. Oftmals reiche das bloße Löschen entsprechender Inhalte nicht aus, da sich diese bereits über das gesamte Netzwerk oder sogar darüber hinaus verbreitet haben können.

Auch Josephine Ballon, Leiterin der Rechtsabteilung von HateAid, kritisiert das Vorhaben in einigen Teilen. Accounts, die verschiedene Opfer oder ganze Gruppen verunglimpfen und Volksverhetzung betreiben, würden für sie mit den vorgesehenen Sperren nicht erreichen werden – diese stellen „im digitalen Alltag“ aber eher die typischen Fälle dar. Auch im Bereich der Kosten sieht Ballon noch deutlichen Verbesserungsbedarf. Generell steht aber auch sie dem Vorhaben positiv gegenüber und ist froh der Bewegung, die ihrer Aussage nach nun in die Gesetzgebung kommt.

Ansprechperson und Herausgabe von Nutzerdaten

Einig sind sich beide in dem Punkt, dass Soziale Netzwerke auch weiter verpflichtet werden, in Deutschland einen Zustellungsbevollmächtigten zu ernennen, auch wenn der europäische Digital Services Act das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz und dessen Regelungen künftig ersetzen soll. Das würde die rechtliche Auseinandersetzung deutlich erleichtern, da vor allem Organisationen sich direkt an eine deutsche Adresse des jeweiligen Netzwerkes wenden können. Bisher musste dabei der Weg über den europäischen Hauptsitz gegangen werden, der meist in Irland liegt. Wie die irische Datenschutzbehörde in der Vergangenheit mit solchen Verfahren umgegangen ist, dürfte hinlänglich bekannt sein.

Weiter sieht der Entwurf vor, dass Anbieter zukünftig dazu verpflichtet werden können, Nutzerdaten auszuhändigen, um eine Strafverfolgung zu ermöglichen. Dies soll aber ebenso erst auf richterliche Anordnung erfolgen.