Resolution: Das EU-Parlament zielt auf die geplante Obsoleszenz

Maximilian Schlafer
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Resolution: Das EU-Parlament zielt auf die geplante Obsoleszenz
Bild: iFixit

Das EU-Parlament hat eine Resolution zur geplanten Obsoleszenz verabschiedet. Sie fordert unter anderem eine robustere Bauweise, längere Mindestfunktionsdauern und eine leichtere Reparierbarkeit von elektronischen Geräten. Bis zur gesetzlichen Umsetzung ist es aber noch ein langer Weg.

Der Status quo ist nicht tragbar

Erstmals vorgestellt worden war der zugrundeliegende Bericht mit Kennziffer A8-0214/2017 dem Parlament bereits Anfang April. Darin fordert der französische Berichterstatter Pascal Durand ein Überdenken der bisherigen Praktiken in Industrie und Politik. Der Bericht nimmt mit seinen Forderungen die immer zügiger ablaufenden Produktzyklen im Haushaltsgeräte- und Elektronikbereich ins Visier und brandmarkt diese indirekt als umweltschädlich sowie im Grunde ineffizient und für die Verbraucher zu teuer. Um diese Probleme zurückdrängen zu können, schlägt der Bericht der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten verschiedene Maßnahmen vor, die durchaus eine gewisse Brisanz für bislang etablierte Praktiken haben.

Produkte sollen robuster, widerstandsfähiger und qualitativ hochwertiger ausgelegt sein

Dabei sollen für jede Produktkategorie eigene, praxisorientierte Mindeststandards implementiert werden, die ein Grundmaß an den genannten Designeigenschaften bei Produkten gewährleisten sollen. Zukünftige Angebote sollten nicht nur aus dem Produkt selbst bestehen, sondern aus einem Gesamtpaket mit relevanten Zusatzaspekten wie erweiterter Gewährleistung, der Verfügbarkeit von Ersatzteilen und der Einfachheit einer Reparatur. Im Zuge dessen wird auch die Förderung von Produzenten von modularen Systemen vorgeschlagen, deren Produkte leicht zu zerlegen und deren Komponenten ohne großen Aufwand untereinander austauschbar sind. Dies soll zu einer Standardisierung von Ersatzteilen und den für Einbau und Ausbau notwendigen Werkzeugen führen.

Prozessoren sollen modular austauschbar werden

Letztendlich soll es für Verbraucher wieder attraktiver werden, ihre beschädigten Geräte wieder zu reparieren, anstatt sie durch neue zu ersetzen. Dies könne durch standardisierte Konstruktionsansätze erfolgen, die eine Reparatur leicht, günstig und dennoch sicher gestalten. Generell sollten alle Komponenten, die für den Betrieb eines Gerätes notwendig sind, austausch- und reparierbar sein. Der Bericht nennt hierbei ausdrücklich auch den Prozessor, ein für den Alterungsprozess wesentlichen Bauteil vieler elektronischer Geräte.

Das Microsoft Surface Studio auseinander genommen
Das Microsoft Surface Studio auseinander genommen (Bild: iFixit)

Hersteller sollten zudem eine digital abrufbare Plattform anbieten, auf der ersichtlich ist, ob und welche Ersatzteile noch verfügbar sind. Der Bericht schlägt außerdem vor, dass es unzulässig sein soll, eigene Produkte per Software oder Hardware gegen Reparaturen durch Dritte abschirmen zu wollen. Die Mitgliedsstaaten sollten die Herstellung von qualitativ hochwertigen, robusten und gut reparierbaren Produkten fördern, um so zur Etablierung eines Second-Hand-Marktes beizutragen.

Akkus sollten nicht mehr fix verbaut werden dürfen

Ausdrücklich wird angeführt, dass – ausgenommen bei gerechtfertigten Sicherheitsbedenken – Komponenten wie Akkus oder LEDs nicht mehr fix verbaut werden sollten. Ersatzakkus sollten zudem einfacher zu erwerben sein und preislich stets proportional zum Preis des eigentlichen Gerätes eingeordnet und verkauft werden. So soll ein wirtschaftlicher Anreiz für den Verbraucher geschaffen werden, einen solchen Austausch vorzunehmen. Eine Ausnahme solle nur dann möglich sein, wenn der Akku so entwickelt worden ist, dass er eine ähnliche Lebensspanne wie das eigentliche Gerät hat.

Diese Maßnahmen sollten laut Bericht mit der Verpflichtung flankiert sein, schon beim Produktverkauf Wartungs- und Reparaturratgeber beizulegen, damit der Konsument auch in der Lage ist, die Lebensspanne seines Produktes auszureizen. Brisant liest sich, dass der Bericht für Verbraucher die Möglichkeit einfordert, nicht vom Hersteller stammende Ersatzteile von gleicher Qualität nutzen zu dürfen, ohne die Garantie zu verlieren.

Softwareobsoleszenz

Um Verbraucher vor unbotmäßig früh nicht mehr oder nur mehr eingeschränkt nutzbarer Software zu schützen, schlägt der Bericht auch Maßnahmen bei eingebetteten Betriebssystemen vor. So müsse die Möglichkeit bestehen, essenzielle Software-Aktualisierungen rückgängig zu machen. Bei Aktualisierungen müsse erläutert werden, wie sie sich auf den Betrieb des Geräts auswirken. Ebenso müsse neue essenzielle Software mit der vorausgehenden Generation der Software kompatibel sein.

Die Hauptplatine des Surface Laptop
Die Hauptplatine des Surface Laptop (Bild: iFixit)

Neue Nutzungsmodelle

Firmen sollen dazu angehalten werden, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, bei denen sie beispielsweise Geräte über Vermietung (Products as Services) bereitstellen. Dadurch würde automatisch auch deren Interesse daran steigen, robustere und haltbarer Produkte zu erzeugen. Das würde letztlich weniger Neugeräte notwendig machen, was der Umwelt zu Gute kommen, die Abhängigkeit von Rohstoffimporten verringern und Wertschöpfung in Europa halten würde.

Durand schlägt zudem einen Schwenk hin zu einem nutzungsorientierten Wirtschaftsmodell vor, das vor allem einen kleinteiligen Ansatz verfolgt und unter anderem auf eigene Second-Hand-Wertschöpfungsketten im KMU-Bereich und informelle Aspekte wie Reparatur-Cafés oder kleine Werkstätten abzielt.

Auch die öffentliche Hand der Mitgliedsstaaten wird im Bericht dazu aufgefordert, bei ihren Beschaffungen vermehrt die Wiederverwendung von Geräten ins Auge zu fassen.

Bessere Information und stärkere Gewährleistungsrechte

Durand streicht die Notwendigkeit besserer Information der Verbraucher heraus. Diese müssten besser informiert werden, beispielsweise indem der Gewährleistungszeitraum voll ausgeschrieben und gut sichtbar auf der Rechnung stehen soll. Auch sollte ein europaweiter Mindeststandard für die Lebensdauer von einzelnen Produktkategorien erstellt und verbreitet werden. Die durchschnittliche Lebensdauer eines Produkte sollte von Herstellern letztlich dann gegenüber dem Verbraucher angegeben werden müssen.

Gleichzeitig wird die Erstellung von Informationsplattformen vorgeschlagen, die Verbraucher vor schlecht reparierbaren und frühzeitig ausfallenden Geräten warnen sollen. Auf rechtlicher Ebene macht sich der Bericht dafür stark, den Verbraucherschutz besonders dort auszubauen, wo die vernünftigerweise erwartbare Lebensdauer eines Gerätes den normalen Gewährleistungsrahmen übersteigt. Dabei wird auch eine Orientierung an bereits hohen bestehenden Schutzstandards einzelner Mitgliedsstaaten vorgeschlagen. Die Gewährleistung solle zudem nicht mehr an den Käufer, sondern an das Gerät selbst gebunden werden. Diese Maßnahme, kombiniert mit einer flächendeckenden Einführung digitaler Rechnungsmöglichkeiten, soll es Verbrauchern einfacher machen, ihre Gewährleistungsansprüche geltend zu machen. Das Ganze soll einen Beschwerdemechanismus abrunden, mit dem Verwaltungsstellen Verstöße durch Unternehmen einfacher erkennen und sanktionieren können.

Abschließend wird vorgeschlagen, dass bei für länger als einen Monat in Reparatur befindlichen Geräten die Gewährleistung um eben diesen Zeitraum verlängert werden sollte.

Aufruf an Mitgliedsstaaten und EU-Kommission

Unter dem Banner des Kreislaufwirtschaftsansatzes der EU (Circular Economy) ruft der Bericht die Mitgliedsstaaten auf, diese Überlegungen in ihre nationalen Regelwerke einfließen zu lassen und nach Möglichkeit zu fördern. Die Benelux-Staaten werden hierbei als Vorbild herausgestrichen. Dort würden bereits Anstrengungen unternommen, um die Langlebigkeit von (elektrischen) Haushalts-Produkten zu erhöhen.

Die EU-Kommission wird im Bericht unter anderem dazu aufgerufen, gemeinsam mit Verbraucherschutzorganisationen und Produzenten Mindeststandards für körperliche Produkte und Software zu erarbeiten und letztlich zu implementieren. Darüber hinaus wird die Evaluierung der Einführung eines unabhängigen Systemes angeregt, das Produkte auf gegebenenfalls eingebaute Sollbruchstellen beziehungsweise nach einiger Zeit beabsichtigt eintretende Fehler testen soll.

Ebenfalls bedürfe es eines besseren rechtlichen Schutzes von Whistle-Blowern, die etwaige Verstöße von Unternehmen melden. Dies Alles soll auch mit einer stärkeren Abschreckung der Produzenten kombiniert werden, um von deren Seite rege Mitwirkung zu erreichen.

Conclusio: Ambitionierte Ziele, viele Hürden

Der Bericht wurde am Dienstag vom EU-Parlament als Resolution beschlossen. Er muss jetzt vom Parlamentspräsidenten an die EU-Kommission weitergeleitet werden. Allerdings haben Resolutionen keine Rechtswirksamkeit, sondern sind im Endeffekt letztlich nur die Darstellung der inhaltlichen Ansichten des EU-Parlamentes. Angesichts dessen, dass sehr viele der genannten Forderungen direkt in Kerngeschäftsmodelle von größeren Unternehmen hinein zielen, darf allein schon von dieser Seite viel Widerstand erwartet werden.

Das zeigt sich nicht nur beim Thema Druckerpatronen, sondern auch am Trend der letzten Jahre, immer mehr Kernkomponenten von mobilen Computern fest mit der Platine zu verlöten. Würde ein robuster Rechtsakt der Union dies erschweren oder gar untersagen, hätte das deutliche Auswirkungen. Man denke nur an Schwergewichte wie Apple und Microsoft, deren Geräte regelmäßig (sehr) schlecht bis gar nicht zu reparieren sind und wo bei Schadensfällen außerhalb von Gewährleistung und Garantie oft nur der Griff zum Neugerät übrig bleibt.

Ob und inwieweit die EU-Kommission – nur ihr kommt derzeit das Recht zu eine Rechtsnorm vorzuschlagen – diesen Ansichten letztlich folgen wird, steht daher noch in den (europäischen) Sternen.

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