Physik, Luft, Formel? (Aerodynamik?)

CyborgBeta

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Moin, ich wollte mal wissen, ob das stimmt:

Wenn in einem Innenraum 20 °C seien und außen nur 0 °C. Jetzt öffnet man ein Fenster zum Lüften, und die Temperatur im Innenraum beträgt danach nur noch 19 °C. Hat sich dann 1/20 der gesamten Luftmasse des Raums ausgetauscht? Oder ist das Quatsch und man darf das so einfach/proportional nicht rechnen?

Und weiter, wäre die Temperatur danach nur noch 10 °C, hätte sich dann die Hälfte der Luft ausgetauscht?
 
Nein, es kann sich theoretisch auch nahezu die gesamte Luft ausgetauscht haben. Die Luft selbst ist ja kein adiabates System. Während des Lüftens wird die Luft ja dauerhaft von der Umgebung aufgeheizt. Deine Wände sind warm und erhitzen die Luft konstant. Ob die Vermischung in einem adiabaten System dann proportional ist, kann ich dir allerdings nicht sagen. Ich gehe stark davon aus, dass es auch da nicht linear proportional sein wird. Alleine schon, wenn ich mir das "Problem" mal in Kelvin anschaue, hast du 293K zu 273K. Das liegt schon sehr nahe beieinander.
 
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Aber man könnte doch einige vereinfachende Annahmen treffen:

1. Die Heizung ist aus,
2. die Wände haben ungefähr die gleiche Temperatur wie im Raum (also 20 oder 19,5 °C),
3. das Lüften dauert nicht lange (sagen wir 1 Minute),
4. es wird mit einem Digitalthermometer (oder Quecksilberröhrchen) gemessen, also eigentlich schnell.

Dann würden einige der von dir beschriebenen Seiteneffekte doch wegfallen bzw. müssten nicht mit in die Berechnung miteinbezogen werden? Wäre es dann linear proportional?

Aber ich kenne mich zu wenig mit dieser Materie aus. 😏
 
die luft wird sich halt im strömungsbereich mehr austauschen und daneben etwas weniger. es wird auch auf die raumform, ecken und erker, ankommen und wieviele messtationen du hast.

mglw ließe es sich auch mit einem farbigen gas anschaulicher darstellen (in einem versuchsmodell mit einem 40x40cm würfel und einem 120mm lüfter um den zug zu erzeugen zb)
 
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Die Problemstellung hat eher mit Thermodynamik als mit Aerodynamik zu tun. Die Lösung dazu benötigt einige Annahmen und auch etwas Rechnen.

Ich bin von folgenden Punkten ausgegangen:
  1. Das Raumvolumen ändert sich nicht
  2. Der Luftdruck ändert sich nicht
  3. Die Raumluft und alle Wände haben konstante Starttemperatur
  4. Die Wandtemperatur ändert sich nicht und gibt einen Wärmestrom proportional zur Temperaturdifferenz ab
  5. Durch das Lüften strömt Luft mit der Außentemperatur ein
  6. Die Luft lässt sich als perfektes Gas beschreiben
  7. Die Luft sei im Raum ideal durchmischt, d.h. Druck/Temperatur im Raum sind konstant
  8. Die Luftzufuhr sei ein konstanter Massenstrom

Die Annahmen 1-6 sind sehr plausibel. Annahme 7 wird benötigt, um das Problem mit Stift und Papier lösbar zu machen. Ansonsten ist man schnell im Bereich Computational Fluid Dynamics, also einem Lösen mittels spezieller und leistungshungriger Berechnungssoftware. Die Annahme 8 habe ich eingeführt, damit ich später von Zeit auf einen Umwälzungsgrad schließen kann. Umwälzungsgrad 0,5 heißt, dass rein rechnerisch 50% der Luft ausgetauscht wurden, Umwälzungsgrad 2 sind quasi 2x kompletter Luftaustausch.

Mit all den Annahmen kann man die Zustandsgleichung idealer Gase, die Massenbilanz, den 1. Hauptsatz der Thermodynamik sowie die Wärmekapazitätsgleichungen ineinander einsetzen. Es ergibt sich eine Differentialgleichung der Struktur:
T' + (a1+a2) * T = a1*Wandtemperatur + a2*Umgebungstemperatur

Diese Gleichung lösen, dann noch die Anfangstemperatur einsetzen, dann kommt man am Ende auf folgendes Diagramm:
1738956981628.png


Lässt man den Wärmeübergang weg (also Rel. Wärmeleitung: 0), dann stimmt das Ergebnis für geringen Umwälzungsgrad tatsächlich mit der schwarz gestrichelten Interpolation überein. Da der Raum auskühlt, wird die ausströmende Luft immer kälter, d.h. der Wärmeverlust durch das Fenster geringer. Entsprechend flacht sich der Trend ab, aber nach mehreren Umwälzungen erreicht irgendwann die Temperatur die Außentemperatur.

Als relative Wärmeleitung habe ich dabei eine Kennzahl aus Wärmeabgabe der Wand relativ zum Luftaustausch durch das Fenster angeschaut. Geht man ins andere Extrem, (z.B. Rel. WL: 100), dann ist dem Raum völlig egal, wie stark man belüftet, die Wand liefert also genug Wärme nach, um die einströmende Luft nahezu auf Raumtemperatur zu heben.

Der große Übergangsbereich ist bei Rel. Wärmeleitung = 1, d.h. die Effekte durch Lüften und Aufheizen durch den Raum sind ähnlich stark. Was eine realistische Zahl für diesen Koeffizienten ist, lässt sich schwer pauschalisieren. Genausowenig wie die Frage, wie lange es dauert, bis man die Luft rechnerisch einmal komplett umgewälzt hat.
 
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Hab zwar nur die Hälfte verstanden, aber danke für diese ausführlich Antwort auf eine Frage, die ich mir bisher noch nie gestellt habe. :)
 
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@Faluröd Danke Dir. :D Ich denke, ich hab es überwiegend verstanden.

Faluröd schrieb:
Lässt man den Wärmeübergang weg (also Rel. Wärmeleitung: 0), dann stimmt das Ergebnis für geringen Umwälzungsgrad tatsächlich mit der schwarz gestrichelten Interpolation überein.

Nur kurz dazu ... ich habe zwar keine Rot-Grün-Schwäche, aber für mich sieht es so aus, als sei die dunkelgrüne(?) Linie (WL: 0) dennoch (stets) um einen Abstand von der gestrichelten, linearen Interpolationslinie entfernt.

Oder beziehst Du Dich da nur auf den Anfangsverlauf, also sagen wir auf bis zu 25 % Luft-Umwälzung? Bis dahin verläuft die WL: 0-Linie tatsächlich linear.

Summa summarum: Wenn man eine komplette Umwälzung der Raumluft erreichen möchte, muss man den Raum nicht komplett bis auf die Außentemperatur (0 °C) herunterkühlen, sondern hat dieses Ergebnis vielleicht auch schon bei 12 bis 7 °C erreicht. :)
 
Dass die detaillierte Lösung und die einfache Gerade übereinstimmen, ist auf den Startverlauf bis Umwälzungsrate <0,2 bezogen. Der Gleichung liegt eine Exponentialfunktion zugrunde, deren Starttangente beschreibt das Verhalten ohne den "dämpfenden" Effekt. In dem Fall ist es die abfallende Temperatur der ausströmenden Luft. Anschaulich heißt das: Wenn man zu einem bestimmten Zeitpunkt 10% der Luft austauscht, verliert man zu Beginn mehr Temperatur als wenn der Raum schon etwas ausgekühlt ist.

Zu deinem letzten Punkt: An der Temperatur kann man schwer herausfinden, ob die Raumluft einmal komplett ausgetauscht wurde, sobald noch weitere Wärmeübertragungseffekte eine Rolle spielen. Wenn diese nicht relevant sind, dann muss die Raumtemperatur sich um 70% des Temperaturgefälles ändern, um einmal die Luft auszutauschen. Natürlich mit der Annahme ideal durchmischt, was in der Realität nie der Fall ist. Es gibt beim Lüften immer zugige und windstille Stellen.

Falls es um den Austausch bestimmter Stoffe in der Luft geht (z.B. Wasserdampf, Austausch O2/CO2): Da erwarte ich bei den genannten Annahmen ebenfalls denselben exponentiellen Verlauf wie für die Temperatur ohne Wärmeleiteffekt.
 
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Danke. Ja, der letzte Punkt wäre auch meine zweite Vermutung gewesen ... Wenn sich der Aggregatzustand ändern würde (also zum Beispiel bei Wasser flüssig), dann sollte das Austauschverhalten ähnlich sein (natürlich nicht, wenn alles fest ist, weil dann gibt es keinen Austausch/Umwälzung).

Faluröd schrieb:
Es gibt beim Lüften immer zugige und windstille Stellen.
Guter Punkt, danke.
 
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