Forza 6 (XBO) im Test: Vorzeige-Rennspiel kriegt die Kurve

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Max Doll
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Top Gear trifft „Car Porn“

Während Forza 6 sich durch diesen Schritt wieder auf einem mehr als zeitgemäßen Niveau ansiedelt, bewegt sich der Titel beim Einzelspieler-Angebot wieder etwas stärker in Richtung klassischer Bahnen. Dies hat erneut positive Auswirkungen. Anstatt dem Spieler bereits vom Start weg Zugang zu allen Rennserien zu gewähren, werden nun sechs Ligen mit je drei Meisterschaften angeboten, die der Reihe nach freigeschaltet werden. Jede Meisterschaft kann allerdings mit sechs unterschiedlichen Fahrzeugklassen in Angriff genommen werden, was die grenzenlose und bisweilen formlose Freiheit des Vorgängers strukturiert, ohne in die strikten Begrenzungen linearer Progression zurückzufallen. Langsam wird weiterhin nicht gefahren, schon zu Beginn dürfen flotte Autos der Klasse „B“ bewegt werden. Schön auch, das Turn 10 die Strecken nun besser zusammengestellt hat: Die thematische Bündelung wird stärker herausgestellt, zudem harmonieren Strecken und Fahrzeugklassen gut miteinander.

Einmal mehr eröffnet Turn 10 dabei rund um den Fuhrpark eine weitere Runde des „Number Games“: Forza 6 protzt mit 450 Fahrzeugen, wobei erstmals auch eine größere Anzahl Elektrofahrzeuge am Start steht, die sich gespenstisch leise um die Strecke bewegen. Bandbreite und Vielfalt überzeugen, allerdings stören trotz der massiven Auswahl in der Breite gewisse Limitierungen in der Tiefe. Während manche Rennserien vollständig abgebildet sind, bleibt die Auswahl gerade bei Monoposto-Rennern auf wenige Fahrzeuge beschränkt, die nicht das gesamte Starterfeld abbilden. Diese Einschränkung wird in fehlenden Lizenzen begründet liegen, stellt den Wunsch nach mehr in diesem Bereich aber kaum zufrieden – was durchaus als Kompliment an die Qualität der Simulation verstanden werden darf.

Die enge Anbindung an Top Gear führt in Forza 6 zu Verwirbelungen, die den gegenwärtigen Turbulenzen rund um die TV-Show entsprechen, und hinterlässt folglich einen ambivalenten Eindruck. Die Idee wird vom Segen zwar nicht zum Fluch, aber doch zu einer Bürde, und das nicht nur, weil Jeremy Clarkson nach seiner Entlassung aus der Show auch aus dem Spiel gestrichen wurde. Dass das bekannte Moderatorentrio nur in vollständiger Anzahl funktioniere, ist eine Behauptung, die sich in Forza 6 bestätigt findet: Richard Hammond und James May treten zwar souverän auf, können das Fehlen ihres Kollegen aber nicht kompensieren. Ihre Redeanteile wurden zudem zurückgeschnitten; sie dürfen nur Fahrzeugklassen erklären, ohne, wie im Vorgänger, auf Besonderheiten der wählbaren Boliden einzugehen. Meisterschaften und Forzavista-Modus greifen hingegen auf professionelle, aber generische Sprecher zurück. Der Zerfall der Serie im Niemandsland zwischen altem und potenziell neuem Konzept findet sich daher in Forza 6 wieder, wenngleich die Präsentation noch immer Maßstäbe setzt.

Solche Kritik bewegt sich allerdings auf hohem Niveau, denn es sind einmal mehr kleine Dinge, die an der einen oder anderen Stelle ins Auge springen. Forza 6 inszeniert wie in der Reihe gewohnt guten „Car Porn“, der immer wieder hübsche Bilder zu produzieren weiß. Wenn Autos vor Rennen in einer belebten Boxengasse in Szene gesetzt oder detailverliebt virtuell im Forzavista erkundet werden können, bleibt der Blick öfter hängen. Noch immer hat es Turn 10 trotz aller Detailliebe aber nicht geschafft, die unpassende, weil oft in die Luft greifende Schaltanimation zu verbessern, die in der Cockpit-Perspektive beim Fahren für Verdruss sorgt.

Beim Schadensmodell sind Kratzer und kleine Beulen das Höchste der Gefühle
Beim Schadensmodell sind Kratzer und kleine Beulen das Höchste der Gefühle

Mehr als nur den letzten Schliff lässt dagegen weiter das Schadensmodell vermissen. Selbst ein 300-km/h-Einschlag verursacht kaum mehr als Kratzer im Lack; sogar das empfindliche Flügelwerk eines Formel-Wagens kann nicht vom Chassis getrennt werden. Das bewegt sich, bei allem Verständnis für die Rücksichtnahme auf die Befindlichkeiten der Hersteller, hart an der Grenze der Lächerlichkeit. Ebenso wenig detailliert scheinen die Auswirkungen auf das Fahrzeug. Leichte Stöße haben keine Konsequenzen, seitliche Einschläge nur geringe. So scheinen vor allem stärkere Kollisionen mit Front und Heck Schäden hervorzurufen, die zwar deutlichen Einfluss auf das Fahrverhalten nehmen, aber subjektiv viel zu grob verteilt werden.