Mikrotransaktionen: Beuteboxen im Visier der Behörden

Max Doll
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Mikrotransaktionen: Beuteboxen im Visier der Behörden
Bild: Tom Praison | CC BY 2.0

tl;dr: Der Absatz von Mikrotransaktionen in Videospielen wird mit stetig ausgefeilteren, dem Glücksspiel ähnelnden Mechanismen gefördert. In Deutschland, aber auch international rückt das Thema deshalb langsam in das Sichtfeld der Öffentlichkeit. Noch sind BPjM, USK und Co. durch die Gesetze aber die Hände gebunden.

Die Problematik Beutebox

Videospiele orientieren sich zur Absatzsteigerung der gut bestückten In-Game-Shops immer stärker an Mechanismen von Glücksspielen und ausgefeilten psychologischen Erkenntnissen. Spiele unterliegen dabei aber keiner Regulierung, Kontrolle oder Transparenz.

Besonders erfolgreich sind „Beuteboxen“. Dabei handelt es sich um das Angebot „Gegenständen im Kistenformat“. Hier erwerben Spieler eine Box mit zufälligem, unterschiedlich begehrenswertem Inhalt. Die Chance auf einen hochwertigen, d.h. seltenen Bestandteil fällt erwartungsgemäß gering aus. Das schafft eine Umgebung, in der hohe Preise verschleiert und Spieler nach allen Regeln der (Glücksspiel-)Kunst zu übermäßigen Käufen verleitet werden.

Beuteboxen werden immer ausgefeilter Integriert

Wie die Chancen auf einen gewünschten oder erstrebenswerten Gegenstand ausfallen, wird wie weitere Mechanismen zur Absatzsteigerung unter Verschluss gehalten. Blizzard etwa umging ein entsprechendes Gesetz in China, das Anbieter zur Offenlegung von Verteilungschancen zwingen wollte. Nur gelegentlich lässt sich ein Hinweis auf die Ideenkammer der Publisher erhaschen: Jüngst hat sich Activision ein Matchmaking-System patentieren lassen, das die Zusammenstellung von Teams in Online-Spielen mit Blick auf die Anbahnung von In-Game-Verkäufen vornimmt. Dass Spiele zunehmend als Verkaufsplattform gedacht werden und aus jeder Richtung auf diese aufwändig entworfenen Kisten lenken, zeigt auch EA mit der Implementierung der Kisten in Star Wars: Battlefront 2.

It’s a system that preys on addiction, built upon mountains of research on how best to trick people into letting companies rob them. [...] But we need to acknowledge what loot boxes are. They’re slot machines in everything but name, meticulously crafted to encourage player spending and keep them on the hook.

Heather Alexandra, Kotaku

Die immer ausgefeiltere Einbettung dieser Kistensysteme hat zu umfangreichen Diskussionen gefunden, die auch auf ComputerBase geführt werden. Parallel wird durch eine Vielzahl von Artikeln ein immer helleres Licht auf Beuteboxen geworfen. Beispielhaft genannt äußerte sich Koktaku zur Wirkweise, Eurogamer ging der Frage nach, ob die Boxen Glücksspiel sind und was sich aus Versuchen asiatischer Länder zur Regulierung dieser Systeme lernen lässt, GamesPodcast analysierte kritisch Design und Funktion auf Basis umfangreicher Materialien.

Eine Herausforderung für die BPjM

Dass insbesondere die „Beuteboxen“ mit echtem Glücksspiel gleichzusetzen sind, wird von Spielern aber nicht einhellig bejaht. Dass zumindest Minderjährige vor den Auswirkungen und Übergriffen psychologisch manipulativer Systeme geschützt werden müssten, liegt dennoch nahe – entsprechende Spiele würden, so diese Einschätzung von den zuständigen Behörden geteilt wird, schlicht ohne Jugendfreigabe klassifiziert. Die theoretische Grundlage dazu liefert das Jugendschutzgesetz, das die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen „zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ als Ziel definiert.

Träger- und Telemedien, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden, sind von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien in eine Liste jugendgefährdender Medien aufzunehmen.

Jugendschutzgesetz § 18, Abs. 1

Über eine solche Einstufung entscheidet in Deutschland die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM). ComputerBase hat deshalb bei der Behörde, die im letzten Jahrtausend beim Jugendschutz mehr Ketten- denn Schoßhund war, nach Kenntnis des Problems sowie einer Beurteilung gefragt. In einer Stellungnahme zeigt die BPjM, dass die Diskussionen im Netz sowie aktuelle Entwicklungen der Branche unter Beobachtung stehen: Das Phänomen ist in den Räumen der Bundesprüfstelle nicht nur bekannt, es wird als Herausforderung wahrgenommen.

Obwohl das Gesetz selbst nur eine Gefährdung durch Gewalthandlungen und Selbstjustiz in Medien nennt, ist die Behörde nicht auf eine solche Interpretation festgelegt, sie kann „weitere Tatbestände der Jugendgefährdung in Medien verifizieren und Spruchpraxis hierzu entwickeln“. Dies ist durch Beuteboxen potentiell der Fall, wobei die BPjM differenziert. Risiken für Kinder gingen bei diesen Systemen von „der besonderen Spielanlage“ aus, die „nicht minder problematisch“ als ihr Inhalt sei.

Beuteboxen sind nur ein Problem

Unterschiedliche Zuständigkeiten dürfen bei der Bewertung indes keine Rollen spielen, erklärte die BPjM, es müsse vielmehr „vom Kind, respektive Jugendlichen aus gedacht werden“, das Aufwachsen mit Medien „gesamtheitlich unter Beteiligung aller gesellschaftlich relevanten Akteure gelöst werden“. Das Aufwachsen mit Medien umschließt neben den an Glücksspiel angelehnten Mechanismen weitere aktuelle Themen wie den Datenschutz und Gefährdungen durch Online-Kommunikation. Beispielhaft werden „Mobbing, die Anbahnung sexuellen Missbrauchs oder die Ansprache durch Extremisten“ angeführt.

Darauf hat die BPjM mit einem Fachbereich zur „Weiterentwicklung des Kinder- und Jugendmedienschutzes, Prävention, Öffentlichkeitsarbeit“ reagiert. Gegenwärtig wird ein Strategieprozess unter Beteiligung des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und Landesjugendbehörden vorbereitet, der zum Ziel hat, „die genannten Phänomene mit den relevanten Akteuren aufzuarbeiten und gemeinsam – gflls. auch gesetzgeberische – Schlussfolgerungen in Hinblick auf den Schutz und die Befähigung von Kindern und Jugendlichen zu ziehen.“ Eingeschlossen wird die „Bewertungspraxis bei der Altersklassifizierung von Medieninhalten sowie die Indizierungspraxis“.

Darüber hinaus wird auf die Förderung bzw. Herausbildung von Medienkompetenz verwiesen. Eltern können unter anderem auf Jugendschutz-net und Schau hin! Tipps und Informationsangebote finden.

Ob sich aus diesem Strategieprozess eine Änderung der gegenwärtigen Einschätzung ergibt, ist nicht im Voraus abzusehen. Die grundsätzliche Wahrnehmung des Themas deutet immerhin an, dass allzu krassen Manipulationen bei Bedarf ein Riegel vorgeschoben wird und sich die behördliche Praxis den Marktrealitäten anpasst.

Der USK sind die Hände gebunden

Denn die rechtliche Situation des „Jetzt“ verhindert, dass sich der Glücksspiel-Charakter auf die Alterseinstufungen der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) auswirkt. Über ein Statement auf der eigenen Webseite stellt die USK heraus, dass Beuteboxen nicht unproblematisch seien, der Handel mit Gegenständen über Drittanbieter-Webseiten aber nicht dem Anbieter des Spiels zur Last gelegt werden könne. Damit spielt die USK unter anderem auf Seiten an, bei denen etwa mit Skins aus Counter Strike: Global Offensive gewettet werden kann. Diese Praxis hatte im vergangenen Jahr für einen Skandal gesorgt, der durch Schleichwerbung ins Rollen kam.

Ein Glücksspiel liegt vor, wenn im Rahmen eines Spiels für den Erwerb einer Gewinnchance ein Entgelt verlangt wird und die Entscheidung über den Gewinn ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt. Die Entscheidung über den Gewinn hängt in jedem Fall vom Zufall ab, wenn dafür der ungewisse Eintritt oder Ausgang zukünftiger Ereignisse maßgeblich ist.

Glücksspielstaatsvertrag §3, Abs. 1

An und für sich werden Beuteboxen von der USK aber nicht als Glücksspiel eingestuft – oder zumindest nicht als hartes Glücksspiel, bei dem ein Spiel keine Jugendfreigabe mehr erhalten dürfte. Die Einstufung erfolge gemäß des Glücksspiel-Staatsvertrags (GlüStV). Darin wird festgelegt, welche Arten von Glücksspiel staatlicher Kontrolle bedürfen. Gemäß dieser Definition seien Beuteboxen nur „Bezahl- und Geschäftsmodellen der Anbieter“ zuzurechnen, für die „andere regulatorische Vorgaben“ wie der allgemeine Verbraucherschutz greifen würden. Für die „Gestaltung von Ingame-Shops und Ingame-Werbung“ sowie für Mikrotransaktionen im Allgemeinen gebe es „klare jugendschutzrechtliche Vorgaben“, Verstöße könnten gemeldet werden. Damit verbunden wird trotz unbestreitbarer Problematik der Kisten der Vorwurf, Spielern gehe es gar nicht in erster Linie um den Jugendschutz, sondern um ihre eigenen Interessen:

Uns scheint es, als wäre der Einbau von Lootboxen oder ähnlichen Mechanismen in Vollpreisspielen vielen Spieler*innen ein Dorn im Auge. Für uns ist das ein Indiz, dass es sich hier nicht nur um ein Jugendschutz-Thema handelt, sondern vielleicht auch um Ärger über neue und alte Geschäftsmodelle ganz unabhängig von ihrer möglichen Wirkung auf Minderjährige. So sehr wir als Gamer*innen das ein oder andere Argument gut nachvollziehen können, ist unsere Kernkompetenz und gesetzliche Aufgabe der Schutz von Minderjährigen. Dort, wo Unternehmen die Grenzen der erlaubten Geschäftspraktiken überschreiten, haben wir mit den Verbraucherzentralen in Deutschland wichtige Verbündete.

USK

Über die Einstufung darf die USK kein eigenes Urteil fällen. Nach gegenwärtiger Rechtslage sieht die Institution Beuteboxen als „Ausspielungen, bei denen der Gewinn in geringwertigen Gegenständen besteht“. Das heißt: Da immer ein Gegenstand ausgeteilt wird, ähneln Kisten laut gegenwärtiger Richtlinien Losen auf dem Jahrmarkt oder Panini-Bildchen. Wahrgenommen wird die Entwicklung aber auch hier: „Die Sorge um mögliche negative Auswirkungen von Lootboxen auf Minderjährige lässt uns nicht kalt“, schreibt die USK, die mit einer internen Prüfung feststellen will, „ob und wie sich das Thema jugendschutzpraktisch in unsere Arbeit integrieren lässt“. Konkreter wird die Bewertungsstelle nicht, verwiesen wird lediglich auf den USK-Elternratgeber.

Alte Gesetze verhindern Reaktion auch international

International ergibt sich dank geschickter Manöver der Anbieter das gleiche Problem. Die Beutebox-Systeme sind optimal auf die Gesetzeslage von Heute zugeschnitten und können so eine Einstufung als echtes Glücksspiel umgehen. Das zeigt sich etwa an der Einschätzung der britischen Gambling Commission.

Kisten enthielten keine Gegenstände mit realem Wert, heißt es in einem Bericht, und seien deshalb nicht mit Glücksspiel gleichzusetzen. Dass sich beispielsweise auf Steam durchaus für Euros mit virtuellen Gegenständen aus dem Losrad handeln lässt, widerspricht dem bei näherer Betrachtung nicht: Beträge aus der Steam-Geldbörse können nicht ausgezahlt werden, was ein Schlupfloch der Regulierungen ausnutzt. Dieser Umstand ist derzeit das Kriterium, das den Unterschied zwischen externen Wettseiten, bei denen beispielsweise um Ingame-Gegenstände aus Counter Strike gespielt werden kann, und den Beuteboxen, die Anbieter selbst verkaufen, ausmacht.

Entertainment Software Rating Board (ESRB), das Spiele für die USA und Kanada bewertet, beruft sich gegenüber Kotaku auf die gleiche Argumentation. Beuteboxen seien kein Glücksspiel, weil Spieler immer In-Game-Inhalte erhalten würden. Dies verhindere eine Einstufung als echtes Glücksspiel, allerdings werde ein Hinweis auf „simuliertes Glücksspiel“ gesetzt.

Die Pan-European Game Information (PEGI) äußert sich gegenüber Eurogamer ähnlich. Es liege nicht an der PEGI „zu entscheiden, ob etwas Glücksspiel ist oder nicht“, dies sei durch nationale Gesetze festgelegt. Eine von der Gesetzeslage abweichende Einstufung von Spielen würde „überwiegend Verwirrung“ stiften. Auch diese Institution verwendet jedoch einen Hinweis auf Spiele, die zwar per Gesetz kein Glücksspiel sind, dieses aber durch Einsatz virtueller Währung simulieren.

Bewegung in Sicht

Festhalten lässt sich ungeachtet der gegenwärtig verfahrenen Situation, dass das Phänomen – ob national oder international – beobachtet wird. Konkrete Schritte zum Schutz von Kindern und Kunden zeichnen sich erstmals am Horizont ab. Unabhängig des Ergebnisses in Deutschland, das irgendwo zwischen Prävention und Restriktion liegen kann, ist das ein erster Hoffnungsschimmer.

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