Qualcomm: Snapdragon 710 bringt 845-Features in die Oberklasse

Nicolas La Rocco
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Qualcomm: Snapdragon 710 bringt 845-Features in die Oberklasse
Bild: Qualcomm

Auf die Präsentation der Snapdragon 700 Mobile Platform Series im Februar folgt heute mit dem Snapdragon 710 die erste konkrete Ankündigung eines System-on-a-Chips der neuen Leistungsklasse, die Qualcomm zwischen 800 und 600 Series positioniert. Der Snapdragon 710 bietet dabei einige Features des Snapdragon 845.

Warum Qualcomm mit der Snapdragon 700 Mobile Platform Series eine neue Kategorie leistungsfähiger System-on-a-Chips geschaffen hat, lässt sich mit der Nachfrage einiger OEMs begründen. Wie Qualcomm erklärt, gebe es bei einigen Smartphone-Herstellern den Wunsch nach einer stärkeren Differenzierung und nach besser ausgestatteten Geräten der Oberklasse, die weder in die Mittelklasse noch in das High-End-Segment passen. Die Chips der Snapdragon 600 Mobile Platform seien dafür nicht gut genug ausgestattet und die der Snapdragon 800 Series zu teuer gewesen.

Qualcomm sieht den Snapdragon 710 mehr als Abkömmling des Snapdragon 845 denn als besseren Snapdragon 660. Dafür spricht in der Tat auch die Ausstattung des System-on-a-Chips, die in Bereichen wie CPU, GPU, ISP, DSP und weiteren Teilbereichen des Chips Ähnlichkeiten zum Snapdragon 845 erkennen lässt. In vielen Vergleichsangaben von Qualcomm wird aber dennoch der Snapdragon 660 herangezogen.

Samsung fertigt den 710 in 10 nm LPP

Die Fertigung des Snapdragon 710 findet bei Samsung Foundry im derzeit aktuellsten Fertigungsprozess 10LPP (Low Power Plus) statt. Dabei handelt es sich um die zweite Generation des 10-nm-Prozesses, der auch beim Snapdragon 845 sowie bei Samsungs eigenen Exynos-Chips aus dem High-End-Segment verwendet wird. 10LPP ermöglicht energieeffizientere Chips oder solche mit höheren Taktraten als die erste Generation 10LPE (Low Power Early). Seit Ende des letzten Jahres läuft die Massenproduktion in dem Fertigungsprozess auf Hochtouren.

Neue CPU mit Dual- und Hexa-Core-Aufbau

Mit der CPU Kryo 360 verfügt der Snapdragon 710 über die dritte Generation der erstmals mit dem Snapdragon 820 eingeführten Kryo-Architektur von Qualcomm. Diese wurde seit Ende des letzten Jahres bisher exklusiv im Snapdragon 845 angeboten. Der Snapdragon 710 übernimmt dabei sogar den seit letztem Jahr genutzten Semi-Custom-Aufbau auf Basis der ARM Cortex-A75 und ARM Cortex-A55 vom Snapdragon 845. Die Unterscheidung zum Flaggschiff-SoC findet stattdessen über die Anzahl der Kerne für das Performance- und das Efficiency-Cluster sowie deren Taktraten statt. Außerdem hat Qualcomm teilweise die Cache-Größen reduziert.

CPU auf Basis der Kryo 360 mit zwei und sechs Kernen
CPU auf Basis der Kryo 360 mit zwei und sechs Kernen (Bild: Qualcomm)

Im Detail betrachtet ist der Snapdragon 710 ein Octa-Core-SoC, das mit zwei Performance- und sechs Efficiency-Kernen statt jeweils vier Kernen arbeitet. Das Gold-Cluster der zwei Performance-Kerne lässt sich mit maximal 2,2 GHz betreiben, das Silver-Cluster aus sechs Efficiency-Kernen mit bis zu 1,7 GHz. Zum Vergleich: Im Snapdragon 845 dürfen die Kerne mit bis zu 2,8 GHz und 1,8 GHz takten.

Eine Gemeinsamkeit zwischen Snapdragon 710 und Snapdragon 845 ist die Cache-Architektur. Hier übernimmt Qualcomm das neue Layout mit dediziertem L1- und L2-Cache für jeden Kern sowie einem über alle Kerne verteilten L3-Cache. Wie Qualcomm der Redaktion auf Nachfrage mitteilte, fallen die Cache-Größen allerdings teilweise kleiner aus als beim Flaggschiff. Das ist ein probates Mittel, um die Kosten aber auch die Leistung zu reduzieren, um einen gewissen Abstand zum Snapdragon 845 zu wahren. Der L1-Cache der Performance-Kerne bleibt mit 64+64 KB unverändert gegenüber der Kryo-385-CPU, bei den Efficiency-Kernen sind es dann aber nur noch 32+32 KB. Der L2-Cache beträgt 256 KB (Performance) und 128 KB (Efficiency) und stimmt mit dem des Snapdragon 845 überein. Den L3-Cache hat Qualcomm von 2 MB auf 1 MB für alle acht Kerne reduziert.

Neue GPU ist 35 Prozent schneller

Im Bereich der GPU gibt es mit der neuen Adreno 616 nun 35 Prozent mehr Leistung als mit der Adreno 512 des Snapdragon 660. Zum genauen Aufbau der Grafikeinheit und selbst dem Maximaltakt hält sich Qualcomm wie üblich bedeckt. Das Unternehmen hebt lediglich die Unterstützung der Vulkan API in der Unreal Engine 4.1.2 sowie Unity 5.6 hervor. Außerdem soll die GPU beim Spielen im Durchschnitt 40 Prozent weniger Energie benötigen, allerdings fehlen hier Detailangaben wie die Auflösung.

Spectra 250 ISP spielt 4K mit HDR ab

Zu den Multimedia-Features des Snapdragon 710 zählt ein neuer Bildprozessor (ISP), bei dem es sich um einen um wenige Funktionen beschnittenen Spectra 280 ISP aus dem Snapdragon 845 handelt. Der Spectra 250 ISP des Snapdragon 710 bietet zum Beispiel die gleiche in Hardware beschleunigte Multi-Frame-Rauschunterdrückung, die in Geräten wie der US-Version des Samsung Galaxy S9 (Test) für gute Aufnahmen bei Nacht sorgt. Mit dabei ist auch die Unterstützung der aktiven Tiefenmessung per Kamera und Punktprojektor, die sich für die Authentifizierung am Smartphone per Gesichtsscan nutzen lässt. Im Vergleich zum ISP des Snapdragon 660 sollen 4K-Aufnahmen nun mit einem 40 Prozent niedrigeren Energieverbrauch möglich sein.

Apropos 4K: Erstmals ist nun abseits des Snapdragon 845 die Wiedergabe (Decoding) von 4K mit HDR (HDR10, HLG) und 10 Bit Farbtiefe möglich. Einzig die Aufnahme (Encoding) von 4K mit HDR bleibt dem Spectra 280 ISP vorbehalten. Dasselbe gilt für 4K-Videoaufnahmen mit 60 FPS. Der Snapdragon 710 limitiert hier bereits bei üblichen 4K mit 30 FPS. Mit an Bord ist aber die Unterstützung von Zeitlupe in 720p mit 480 FPS.

LTE-Modem Snapdragon X15 für 800 Mbit/s

Mit dem Snapdragon 710 feiert ein neues LTE-Modem von Qualcomm Premiere. Das Snapdragon X15 schließt die Lücke zwischen dem X12 des Snapdragon 660 und dem X16 respektive dem X20 des Snapdragon 835 und 845. Auch das Snapdragon X15 unterstützt mit 4 × 4 MIMO das gleiche Antennen-Layout wie etwa das X20, die maximale Geschwindigkeit im Downstream liegt aber dennoch bei 800 Mbit/s statt 1,2 Gbit/s. Detailangaben zur Begründung liegen seitens Qualcomm zwar nicht vor, allerdings bleibt nach dem Ausschlussverfahren nur eine Option übrig: Im lizenzierten Spektrum lassen sich nicht auf allen vier Antennen drei Carrier aggregieren, um über zwölf Streams je 100 Mbit/s abzurufen. Durch die Unterstützung von Licensed Assisted Access (LAA) im unlizenzierten Spektrum erhält das Modem jedoch eine gewisse Flexibilität.

Halbe KI-Leistung des Snapdragon 845

Qualcomm führt beim Snapdragon 710 über die verschiedenen Hardware-Blöcke des SoCs KI-Aufgaben durch, ohne dafür wie beim Kirin 970 von HiSilicon oder Apple A11 Bionic eine Neural Processing Unit/Engine (NPU/E) zu benötigen. Ein intelligenter Algorithmus soll dabei helfen, dass die Aufgaben Bereichen wie CPU, GPU oder DSP zugeordnet werden. Dabei werden Frameworks wie Caffe und Caffe 2 von Facebook sowie TensorFlow und TensorFlow Lite von Google sowie ONNX unterstützt. Entwicklern gibt Qualcomm das Snapdragon Neural Processing SDK an die Hand und ermöglicht die Nutzung der Neural Networks API (NNAPI) von Android. Die KI-Performance fällt im Vergleich zum Snapdragon 660 doppelt so hoch aus, der Snapdragon 845 bietet aber noch einmal doppelt so viel KI-Leistung wie der Snapdragon 710.

Noch in der ersten Jahreshälfte kommen Smartphones

Unterm Strich wirbt Qualcomm mit folgenden Vorteilen des Snapdragon 710 gegenüber dem Snapdragon 660: In Summe 20 Prozent mehr Leistung, davon 25 Prozent schnelleres Surfen auf Webseiten und 15 Prozent schnellere App-Starts. Im Bereich Energieeffizienz sinkt der Verbrauch um 40 Prozent bei 4K-Videoaufnahmen, um 40 Prozent beim Spielen und um 20 Prozent beim Video-Streaming.

Vorteile des Snapdragon 710 im Vergleich zum 660
Vorteile des Snapdragon 710 im Vergleich zum 660 (Bild: Qualcomm)

Die kommerzielle Verfügbarkeit des Snapdragon 710 ist bereits gegeben und laut Qualcomm sollen noch in der ersten Jahreshälfte 2018 Endgeräte mit Snapdragon 710 vorgestellt werden. Angesichts der heutigen Vorstellung des Chips dürften bereits Anfang Juni zur taiwanischen IT-Messe Computex die ersten Ankündigungen erfolgen.

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