Kommentar: Apples iPad ist für alle aber nicht für jeden

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Kommentar: Apples iPad ist für alle aber nicht für jeden
Jirko Alex

Das „i“ erobert den Tablet-PC

Tag 1 des neuen Zeitalters. Gestern wurde das lang erwartete Tablet von Apple vorgestellt. Alle Welt schaute zu. Jeder, der sich dafür interessierte, glaubte, sich dafür zu interessieren, und eigentlich auch fast jeder, der sich nur dafür interessierte, wie sehr ihn das „iPad“ nicht zu interessieren hatte, verfolgte die Geschehnisse rund um die Keynote in San Fransisco. Es war der Höhepunkt eines – wiedermal – gigantischen Hypes, der bereits seit Monaten kontinuierlich wuchs. Seit Jahren schon spricht die Branche von einem ominösen Apple-Tablet. Ob seinerzeit wirklich schon an einem solchen Produkt gearbeitet wurde, lässt sich heute schon gar nicht mehr sagen. Aber wen interessiert das jetzt auch noch?

Spätestens seit dem Sommer des letzten Jahres war Apples Tablet ein ständiger Gast auf Gadget-orientierten, später zunehmend auch auf konventionellen Technikseiten. In letzter Zeit kam man um die Displayflunder überhaupt nicht mehr herum. Selbst völlig technikaverse Personen sprachen plötzlich nicht mehr von Obst, wenn es um Äpfel ging. Noch Stunden vor dem Showdown wurden Gerüchte gestreut, als wäre der Topf in der Gerüchteküche nicht ohnehin schon unter dem Druck der Öffentlichkeit zerborsten. Als medienkonsumierender Mensch kam man an Apple nicht mehr vorbei, ob man es nun wollte oder nicht. Das lag wohl auch daran, dass der Hype nicht einseitig von den Konsumenten geschürt und von den Medien nur bedient wurde. Viele Printmagazine erhofften sich von Apples Tablet neue Impulse für eBook-Versionen ihrer selbst. Viele Online-Medien hofften auf einen neuen Wohnzimmerbegleiter mit integriertem Internetzugang, mit dem gerade sie angesurft werden. Das Ergebnis war eine Vorberichterstattung, wie sie sich Apple nur wünschen kann und wie sie wohl keine andere Firma und kein anderes Produkt der Welt erfährt. Ein Hype um das iPad, aber nicht nur um des iPads willen.

Als es dann so weit war, ging es Apple-untypisch erstaunlich schnell. Kaum zehn Minuten nach dem Beginn der Keynote kündigte Steve Jobs das neue Gerät in Apples Portfolio an. Es soll eine Lücke füllen, die vorher kaum einer wahrgenommen hat. Vielleicht, weil Netbooks seit zwei Jahren genau in dieser Lücke das Verlangen von Millionen Nutzern befriedigen. Vielleicht aber auch, weil es sie gar nicht gibt, diese propagierte Leere?

Die Resonanz auf das Tablet ist einen Tag danach verhalten – zumindest unter denen, die sich auf diesen einen Abend vorbereitet haben. Wer sich von dem Hype hat mitreißen lassen, steht jetzt vor einem Über-iPhone, mit dem man aber nicht unbedingt telefonieren kann. Es ist kein technisches Wunderwerk, das Apple da vorgestellt hat. Vieles, was heute und seit Jahren üblich ist, ist mit dem iPad gar nicht möglich. Und gerade dieses Ding soll bieten, was weder Smartphone noch Notebook können? Die, die im Vorfeld am meisten erwartet hatten, zeigen sich überwiegend enttäuscht. Doch ist das iPad auch eine Enttäuschung?

iZonk
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„Browsing the web. Doing email. Enjoying and sharing pics. Watching videos. Enjoying music. Playing games. Reading ebooks“, mit diesen Worten umschreibt Steve Jobs das Anwendungsgebiet des iPad. Es wundert ein wenig, dass diese Dinge bisher nicht gut erledigt werden konnten. Selbst Apple müsste doch sehen, dass es bisher auch ging und keines iPads bedarf, um Allerweltsaufgaben zu erledigen. Oder sollte es genau andersherum sein?

Große Überraschungen gab es auf technischer Seite jedenfalls nicht. Die Ausstattung ist in dem, was vorhanden ist, äußerst solide, lässt jedoch das eine oder andere Feature vermissen. So unterstützt das iPad wie auch das iPhone bisher kein echtes Multitasking, es kann jeweils nur mit einer Anwendung (außer beispielsweise Apples iPod) gearbeitet werden, was speziell bei der Arbeit mit Apples iWork-Programmen nervig werden kann. Im Internet werden viele Nutzer zudem die Unterstützung von Adobes Flash vermissen, was ihnen faktisch den Zugang zu einer ganzen Reihe von Diensten im Web versperrt. Abhilfe? – Derzeit trotz HTML5 in den Startlöchern nicht in Sicht. Zwar gab das Unternehmen vor einigen Monaten bekannt, eine eigene Implementierung für das iPhone zu entwickeln, zu sehen gab es bisher aber nichts dergleichen, so dass auch die gestrige Präsentation des iPads ohne Flash-Unterstützung auskommen musste.

Erfreulich ist hingegen, dass Apple ein hochwertiges IPS-Panel mit LED-Hintergrundbeleuchtung im Tablet einsetzt. Streiten kann man sich allerdings über die XGA-Auflösung des 9,7"-Bildschirms und über die spiegelnde Oberfläche, die gerade im Freien nicht jedermanns Sache ist. Für das Surfen im Internet und zum Arbeiten ist das Format des Bildschirms sicher von Vorteil, Videos im Breitbild-Format mit Auflösungen bis 720p wären auf einem breiteren Bildschirm und in nativer Widescreen-Auflösung aber sicher schöner anzusehen. Spärlich fallen auch die Möglichkeiten zum Anschluss von externen Geräten aus – USB-Anschluss und SD-Card-Reader müssen beispielsweise über ein separat erhältliches Adapterset nachgerüstet werden. Kein Muss, aber zumindest wünschenswert, wäre auch ein integrierte Kamera gewesen, die man für Videoanrufe hätte nutzen können. Überhaupt war in puncto fehlende Telefonfunktionen bereits Unmut aus der Fangemeinde zu vernehmen: Der in der gehobenen Ausstattungsvariante verbaute 3G-Chip wird nach aktuellem Stand nicht für normale Anrufe verwendet werden können, obwohl das iPad neben einem Lautsprecher auch ein Mikrofon mit an Bord hat. Abhilfe könnten zumindest in diesem Punkt kurzfristig jedoch die App-Entwickler mit VoIP-Software schaffen – die hat Apple zur Vorstellung des iPad auch für die Kommunikation über 3G freigegeben.

Apples iPad ist also kein technisches Wunderding. Doch Hand aufs Herz – das hat nach den vergangenen Produktvorstellungen auch niemand erwartet. Klar ist, dass auch beim iPhone nicht die Hardware das verkaufsfördernde Argument ist. Obwohl in seiner neuesten Version nicht schlecht ausgestattet, ist und war Apples Smartphone nie ein Leitstern am Technikhimmel. Dennoch ist es genau das Produkt, das Apple zum rentabelsten Hersteller von Mobilfunkgeräten gemacht hat. Und es ist auch das Gerät, an dem sich – ob berechtigt oder nicht – alle anderen Smartphones messen lassen müssen. Es spricht einfach jedermann, aber nicht jeden, an – ob Technikguru oder Waschfrau. Die Technik dient beim iPhone seit jeher der Software. Sie steht nicht für sich allein. Beim iPad könnte es ähnlich sein.

Wie viel iPhone steckt also im iPad? Selbst als Kritiker des neuen Tablets muss man an dieser Stelle sagen: Ziemlich viel. Nicht nur optisch liegt der direkte Vergleich nahe, auch in puncto Bedienung scheint die beiden Geräte mehr zu verbinden als ihre Anfangsbuchstaben. Apple will mit dem iPad genau die Käuferschicht ansprechen, die man mit dem iPhone und auch dem iPod touch bereits so zahlreich erschlossen hat. Obwohl das iPad dabei kein Allerweltsgerät ist, wie es das iPhone zumindest dem Namen nach sein will, so soll das Tablet schlussendlich doch sehr grundlegende Aufgaben erfüllen. Das mag angesichts des phänomenalen Hypes der vergangenen Tage und Wochen wenig sein, es dürfte allerdings außer Zweifel stehen, dass Apple das Versprochene immerhin gut umsetzt. Fraglich ist einzig, ob das genug ist.

Was wäre eigentlich genug? Eigentlich, so könnte man meinen, hat Lenovo auf der vergangenen Consumer Electronics Show in Las Vegas präsentiert, was man sich als Ultra-Version eines Tablets nur wünschen kann. Apple kann da in Sachen Features nicht mithalten. Wie hätte es auch? Es dürfte schwerlich möglich sein, eine derartige Technikgewalt, wie sie Lenovo aufbietet, mit dem unternehmenstypischen Apfeldesign zu verbinden. Es dürfte dabei aber auch geradezu unmöglich sein, die Bedienbarkeit für jedermann zu gewährleisten. Und hier liegt der Ansatz des Unternehmens aus Cupertino.

Wollte Apple die Ansprüche, die in den letzten Wochen formuliert wurden, am Ende gar nicht erfüllen? Gewiss wäre es gut gewesen, eine Kamera in das iPad zu integrieren, sei es, um Videotelefonie zu betreiben oder Augmented Reality ins Wohnzimmer zu bringen. Gewiss wünscht man sich als versierter Nutzer mehr Anschlüsse und will keinesfalls an iTunes gebunden sein. Mehr Features benötigt ein iPad aber vielleicht auch gar nicht, um diejenigen zu überzeugen, die sich dieser Defizite gar nicht bewusst sind. „The Computer for the rest of us“ hieß es schon vor Jahrzehnten bei Apple. Nicht Grafiker, nicht Power-Internetnutzer und überhaupt nicht diejenigen, die alles schon so können, sollen ein iPad kaufen. Es sind jene, die vor dem iPhone keinen Schimmer hatten, was ein Smartphone ist. Es sind jene, die auf Bildschirme tatschen, um mit Computern zu kommunizieren, und es sind jene, die mit einem eBook-Reader liebäugeln, seit Amazon diese Hardware massenkompatibel gemacht hat, die Apples Tablet erwerben sollen.

Das iPad ist kein außergewöhnliches Stück Hardware, aber es kann alles ein bisschen und damit vielleicht gerade so viel, wie man braucht – so viel, wie man wirklich braucht oder soviel, wie man glaubt, nur zu brauchen. Wenn das am Ende die Defizite aufwiegen sollte, wie es beim iPhone der Fall gewesen ist, dann steht möglicherweise trotz der vielen Einschränkungen auch dem iPad eine rosige Zukunft bevor. Eines aber scheint am Tag 1 nach der Vorstellung in jedem Fall klar: Das iPad ist nicht das Gerät, das diejenigen anspricht, die vom Hype darum gefesselt wurden. Es ist für all' die anderen.

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