Re: 11.500,oo Eulen pro Wochenende
Original erstellt von Zimtziege
Gerade war ich auf einem Kongress für Coaches und Personaltrainer.
Zum ersten Mal habe ich einen hautnahen Eindruck bekommen, was das überhaupt für Berufe sind und wie diese Menschen ihre Arbeit verstehen:
sie werden dafür bezahlt, anderen, zumeist Führungskräften aus Industrie und Politik, bei schwierigen Lebensphasen oder Entscheidungen zuzuhören und denen "auf die Sprünge" zu helfen.
Das ist , ganz vereinfacht, das Wesen des Coaching.
Der Bedarf ist riesig, gute Coaches sind rar.
Als unmittelbare Folge davon können Coaches astronomische Summen verlangen - wenn sie wirklich einen guten Ruf haben.
Ich habe erlebt, daß jemand für ein Wochenendseminar in einem Wellnesshotel 11.500,00 Eulen bekommt, von dem Einzelkunden, mit dem er dann arbeitet.
Was fällt euch dazu ein?
Ist das ein Zeichen allgemeiner Dekadenz?
Oder ist das ein Schritt in eine bessere Zukunft, nach dem Motto:
ich habe da einen, den kann ich mal fragen....dann sehe ich wieder klar...?
Mir fällt dazu ein: ich will ein guter Coach werden, und zwar über Nacht....
Zimtziege
Das Coaching ist kein neues Instrument. Seit den 80er Jahren gehört es zum - amerikanisch geprägten - Managementstil Unternehmen durch Externe auf Schwachstellen zu durchleuchten lassen, bzw. gezielt Prozesse begleiten und steuern zu lassen. Fast gleichzeitig brachten die Unternehmensberater als Teillösung auch neue Instrumente für die Managementetagen mit. Eines ist das Coachingprinzip, dass lediglich von dem Prinzip ausgeht, dass eine 2. Person als Beobachter, Berater, Gesprächspartner zur Verfügung steht. Diese 2. Person kann sowohl ein Kollege als auch ein externer sein. In der Regel sind dies aber interne Personen. So gibt es das Juniormodell.
Ein Gestandener Manager, der meist schon länger in der Firma tätig ist, übergibt dabei seine Aufagben in einem fließenden Prozess an einen jungen (unerfahrenen) Kollegen, der sein Nachfolger werden soll. Vorteil für die Firma: Das KnowHow bleibt zum Teil in der Firma, krasse Fehler, wie Sie von jungen unerfahrenen Studienabsolventen gemacht werden, werden so vermieden. Coachingmodell kann es aber auch zwischen 2 Gleichrangigen Managern geben, um so Hilfen - unbemerkt von der nächsten Führungsetage - auszutauschen. Oder wie in einem Fall, der mich direkt betrifft: Ich habe als Controller (das betriebswirtschaftliche Gewissen) auch immer eine beratende/coachende Funktion gegenüber meinem Geschäftsführer gehabt (was aber auch stark mit der Persönlichkeitsstruktur des Geschäftsführeres zu tun hatte).
Das eigentliche Problem an der ganzen Sache, ist ja garnicht ein "Coaching"-Prozess, sondern die Köpfe der Leute (auch der Manager selbst).
Zitat Ostfriese:"Nur das "Beherrschen" des eigenen Ichs scheint offenbar nicht immer zu klappen, darum werden dann auch wohl aus Bequemlichkeit diese Art von Kindergärtnern für Manager eingesetzt"
Sorry, Du Forenkasper, aber genau das ist es nicht.
Wer selber erkennt, das Entscheidnungen ggf. schneller oder besser treffen kann, aus einer Coachingsituation heraus, der würde ja fast schon fahrlässig handeln, wenn er dieses Instrument nicht benutzen würde.
Wir müssen uns hier mal klar machen, dass es nicht immer nur um die Farbe von Gardinen (oder andere unwichtige Entscheidungen) geht, sondern auch mal um Entscheidungen von denen nicht nur eine Menge Geld abhängt, sondern auch direkt oder indirekt Arbeitsplätze.
Wenn der Vater vom Ostfriesen seinen Job verlieren würde, nur weil ein Manager eine vermeidliche Fehlentscheidung getroffen hat, würden wir schnell weg von dem "Phrasendreschen" kommen, wie "das "Beherrschen" des eigenen Ichs"...
Letztendlich hat doch ein Manager, der von sich selber sagt, das er es für möglich hält, Fehler zu machen und deswegen ein weiteres Führungsinstrument nutzt schon durch die darin enthaltene Selbstkritik an Charakter und Stärke gewonnen. (dies sind meist auch jüngere Menschen).
Der alte Schlag von Führungskräften, die glauben Sie müßten immer und jederzeit Stärke durch scheinbare Unfehlbarkeit ausstrahlen sterben doch aus. Diese Herren (bei den Jahrgängen sind defakto keine Frauen vertreten) - so um die 55-60 Jahre - regieren aber noch an vielen Stellen der Wirtschaft (Aufsichtsräte, Vorstände etc.) und Sie sind der Grund dafür, dass das Instrument des Coaching nicht immer richtig öffentlich praktiziert werden kann.
(Denn Sie würde das als Führungsschwäche misinterpretieren, und das kann sich eine junge Führungskraft nicht erlauben)
Wenn also eine Führungskraft einen Nutzen in dem Instrument erkennt, aber seine Firma dies nicht anbietet (weil sie glauben, ihre komplette Führungsriege muß alles können und macht keine Fehler und kann deshalb auch nicht besser werden) muß ein externer Coach her.
Hier nur zum Verständnis: Sicher gibt es auch Firmen, für die das oben gesagte NICHT gilt, und die für Ihre Führungskräfte externe Trainer engagieren (exteren gelten als weniger Betriebsblid und unabhängiger. Beides ist bei dieser Art von Prozess wichtig, weil sonst der gecaochte leicht den Eindruck gewinnen kann, er wird "beaufsichtigt" und auf Schwächen durchleuchtet).
Dennoch ist es nicht selten, dass die Coaches - ohne Kenntnis der Firma - direkt von dem Manager angeheuert werden
(ein ehemaliger Chef von mir ist so ein externer Coach für Führungskräfte).
Vielleicht liegt aber auch das Problem darin, dass viele Leute eine falsche Vorstellung von diesen Prozessen haben und nicht genau wissen, wie so ein Prozess abläuft.
Mit Dekadenz hat dies alles sicher soviel zu tun, wie ein eine Computermaus mit einem Hamsterrad.
Noch etwas zum Honorar: 12.000 EUR für ein Wochenende ist ein guter Satz, aber sicher noch lange nicht das Ende von dem,was hier gezahlt wird. Es ist auch nicht unbedingt zu viel.
Wenn man weiß, das ein normaler Seminarleiter (Standardseminare) schon Tagessätze von 1.000-2.500 EUR nimmt relativiert sich die Zahl deutlich. Wer jetzt glaubt, dass er damit schon seinen Traumjob gefunden hat, den muß ich warnen:
Zunächst steht natürlich jeden frei seine Dienste anzubieten (zu jedem Preis). Geld verdient hat man allerdings erst, wenn man auch jemanden findet, der diesen Preis bezahlen will.
Die Qualifikationen, die diese Leute ausmachen, kann man allerdings nicht auf der Uni lernen (4 Semester BWL oder so). Die Coaches sind meist selber langjährig hochrangige Manager gewesen, die sich über Ihre eigene Geschichte und Lebenslauf qualifizieren.
Wer also gerne mal ein Streitgespräch zu seiner privaten Ausgabensituation mit einem ehemaligen Vorstandsmitglied der deutschen Bank führen möchte, der wird für so ein Wochenende sicher mehr als 12.000 EUR bezahlen müssen.
(Rechnet doch mal ein Jahresgehalt - ohne Bonifikationen etc - von 5 Mio. bei 365 Tagen, und ich muß dazu sagen, dass das Jahr natürlich nur 220 Arbeitstage hat. Dann kommt Ihr schnell auf die "Tagessätze" solcher Leute)