Die Wolke reloaded

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Nigigo

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Die Wolke reloaded

Eigentlich lief für die Energiebranche alles perfekt: Die Debatte um den Klimawandel ließ die Kernenergie, die kaum CO2-Emissionen produziert, in den letzten Monaten wieder in einem günstigeren Licht erscheinen. Doch mit den jüngsten Zwischenfällen in den Kernkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel sind die Sicherheitsrisiken der Technik wieder in den Blickpunkt geraten. Beide Anlagen gehören zum älteren Typ der Siedewasserreaktoren und gelten als nicht ganz so sicher wie die verbreiteteren Druckwasserreaktoren. Erst im Juli war durch die Deutsche Umwelthilfe eine Mängelliste publik geworden, die mehrere hundert offene Punkte im AKW Brunsbüttel auflistet. Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit hat im vergangenen Jahr eine Probabilistische Sicherheitsanalyse Level 2 vorgenommen, die durchaus ernst zu nehmende Schwachpunkte der Siedewasserreaktoren identifiziert hat.

Dennoch haben die deutschen AKW-Betreiber erst vergangene Woche wieder ihre Forderung bekräftigt, die Laufzeiten dieser älteren Reaktoren über die im 2002 geänderten Atomgesetz vereinbarte Ausstiegsvereinbarung hinaus zu verlängern. Die Wahrscheinlichkeit eines katastrophalen Unfalls, auch Super-GAU genannt, ist immerhin verschwindend gering: Pro Betriebsjahr beträgt sie 1 zu 1 Million. Technology Review zeigt in einem fiktiven Szenario, wie ein Super-GAU im AKW Brunsbüttel ablaufen und welche Katastrophenschutzmaßnahmen ergriffen werden könnten. Das Szenario ist von verschiedenen Experten trotz seiner geringen Wahrscheinlichkeit als plausibel eingestuft worden.

7:26 h
Während draußen ein strahlender und sehr windiger Spätsommertag an der Unterelbe angebrochen ist, entsteht bei Wartungsarbeiten in der Umspannstation ein Kurzschluss. Die Stromversorgung des Kraftwerks wird unterbrochen. Die Notstromsysteme springen zwar an, beliefern aber wegen einer technischen Komplikation nicht alle Teile mit Strom – insbesondere auch die mehrfach abgesicherten Notkühlsysteme werden nicht ausreichend versorgt.

7:27 h
Der Reaktor wird sofort heruntergefahren, indem die Steuerstäbe im Reaktorkern zwischen den Brennstäben hydraulisch hochgefahren werden. Auch die Turbine wird abgeschaltet und vom ersten Reaktorkreislauf getrennt, der sie mit dem Reaktorkessel verbindet.

7:33 h
Während die Techniker versuchen, den Fehler in der Notstromversorgung und der Notkühlung zu beheben, heizt die so genannte Nachzerfallswärme im Reaktorkessel das Kühlwasser auf. Die Brennstäbe haben immer noch eine Wärmeleistung von etwa 150 Megawatt. Der Druck steigt jetzt schnell, so dass die Sicherheitsventile ansprechen. In diesem Moment versagt auch die Füllstandsmessung im Reaktorkessel –: ein extrem unwahrscheinlicher simultaner Ausfall zweier wichtiger Sicherheitsfunktionen. Dadurch fallen auch die zusätzlichen Pumpen aus, die unabhängig von der Stromversorgung Kühlwasser in den Reaktor leiten sollen.

7:34 h
Das Überwachungssystem bekommt keine Informationen darüber, wie hoch der Reaktorkern noch mit Wasser bedeckt ist. In der Leitwarte zeigen etliche Sensoren nichts mehr an – die Techniker können nur nachvollziehen, was im Inneren des Reaktors vor sich geht. In den angeschlossenen Überwachungscomputern beim Sozialministerium in Kiel, der Atomaufsicht des Bundeslandes, und beim Katastrophenschutz Schleswig-Holstein laufen nur noch unvollständige Informationen ein. Dort ist klar: Im Kraftwerk Brunsbüttel könnte sich ein ernst zu nehmender Störfall ereignet haben.

7:43 h
Der Wasserpegel im Reaktorkessel sinkt unterdessen weiter ab. Der Druck im Reaktorkessel wird durch die Sicherheitsventile begrenzt. Dadurch entweicht nun Dampf aus dem Reaktorkessel, und der Wasserpegel fällt weiter.

8:02 h
Der Reaktorkern mit den Brennstäben ist nicht mehr mit Wasser bedeckt. Die Nachzerfallswärme der radioaktiven Spaltprodukte im Kernbrennstoff staut sich jetzt ohne Kühlung. Im Reaktorkern bildet sich Wasserstoff. Wegen des Stickstoffs im kugelförmigen Sicherheitsbehälter aus Stahl kann sich das nun entstehende Wasserstoffgas allerdings nicht entzünden, was eine Explosion dort unmöglich macht.

8:45 h
Der Reaktorkessel und der stählerne Sicherheitsbehälter halten den Belastungen zunächst weiter stand. Weder das Messnetz des Bundes noch das des Deutschen Wetterdienstes melden, dass Strahlung aus dem Kraftwerk ausgetreten ist. Bei allen zuständigen Behörden in den umgebenden Bundesländern wird Katastrophenalarm gegeben: Zwischen Kiel und Bremen ertönt ein einminütiger Heulton. Der Katastrophenschutz Schleswig-Holstein trifft erste Vorkehrungen, alle Ortschaften im Umkreis von 25 Kilometern – dem Rand der so genannten Außenzone – zu evakuieren. Die Bevölkerung wird aufgefordert, Fenster und Türen zu schließen und zuhause zu bleiben. Dennoch setzt binnen Minuten ein Ansturm auf die Apotheken ein, weil viele Einwohner die Ende 2005 verteilten Jod-Tabletten nicht mehr finden können. Die dienen als Vorsorgemaßnahme gegen einen möglichen Fall-out, damit sich radioaktives Jod nicht in der Schilddrüse sammeln kann. Der Katastrophenschutz beginnt, zusätzliche Tabletten zu verteilen.

9:15 h
Es ist immer noch nicht gelungen, die Sicherheitssysteme wieder in Gang zu bekommen und Wasser in den Reaktor einzuspeisen. Die Temperatur im freiliegenden Reaktorkern überschreitet 2000 Grad Celsius: Der Kernbrennstoff beginnt zu schmelzen.

9:44 h
Die Kernschmelze hat sich am Boden des Reaktorkessels gesammelt und beginnt, sich durch die Öffnungen von Instrumentenleitungen zu fressen – die einzige echte Schwachstelle des Reaktorkessels. Die TV-Sender haben bereits kurz zuvor ihr Programm unterbrochen und senden erste Berichte. Einige Kamerateams versuchen gar, direkt ans AKW heranzukommen, können aber von Polizei und Katastrophenschutz am Rande der Innenzone, zwei Kilometer vor dem Kraftwerk, gestoppt werden.

10:21 h
Größere Mengen der Kernschmelze haben sich im Antriebsraum für die Steuerstäbe im unteren Teil des Sicherheitsbehälters gesammelt. In der Außenzone ist die Evakuierung angelaufen.

10:35 h
Auf der Nordseite der Elbe steuern Tausende von PKW und Bussen auf die A23 bei Itzehoe zu. Die gemeinsame Messzentrale der norddeutschen Länder und der Deutsche Wetterdienst haben inzwischen den Ausbreitungskorridor eines möglichen Fallouts ausgerechnet: Die Nordseebrise der Windstärke 5 würde die radioaktive Wolke mit knapp 40 Kilometer pro Stunde nach Südosten treiben – damit wären ihre Ausläufer zwei Stunden später in Hamburg. Schwacher Trost: Wegen des guten Wetters wird der Fall-out zumindest nicht durch Regen in konzentrierter Form niedergehen. Dafür, so die Meteorologen, könnten Teile der Wolke bis abends Berlin erreicht haben. Die Landesregierungen von Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen ordnen die Evakuierung des südlichen Schleswig-Holstein und des Großraums Hamburg an. Rund fünf Millionen Menschen sind davon betroffen.

10:39 h
Der etwa drei Zentimeter dicke Stahl im unteren Bereich des Sicherheitsbehälters hält nicht mehr stand: Die Kernschmelze beginnt, sich über den Boden in naheliegender Räume des Reaktorgebäudes zu verteilen. Wasser, Wasserdampf und Gase breiten sich aus und transportieren radioaktive Spaltprodukte mit sich. Glück im Unglück: Eine Wasserstoff-Explosion ist ausgeblieben.

10:40 h
Da der Sicherheitsbehälters bei überhöhtem Innendruck versagt hat, fegt eine Druckwelle durch verschiedene Türen durch das Reaktorgebäude. Die strahlende Fracht gelangt bis ins Freie, darunter leicht flüchtige Edelgase wie Krypton und Xenon, radioaktive Formen von Cäsium und Jod sowie geringfügig das hochgiftige, aber sehr schwer flüchtige Plutonium. Innerhalb von Minuten entweicht das heiße, radioaktive Gas in die Höhe. Da es nicht zu einem schweren Brand wie in Tschernobyl gekommen ist – das Brunsbütteler Reaktor wird ohne das brennbare Grafit betrieben –, wird es nur langsam aufsteigen bis in Höhen von vielleicht 200 Metern. Die gesamte Aktivität des freigesetzten radioaktiven Materials wird etliche Billiarden Becquerel (Bq) betragen. Zum Vergleich: Die Zerfallsaktivität infolge von natürlicher Radioaktivität in einem Kilogramm Bodenerde beträgt 1000 Bq, die im menschlichen Körper 8000 Bq.

10:45 h
Die Nachricht von der Kernschmelze hat das Mobilfunknetz zusammenbrechen lassen. Auf der A7 und der A1 rund um Hamburg sind in Richtung Süden bereits kilometerlange Staus entstanden. Der Hamburger Katastrophenschutz hat derweil begonnen, an öffentlichen Plätzen 1,6 Millionen gelagerte Jod-Tabletten an die Hamburger auszugeben, die sich noch im Gefährdungsgebiet aufhalten.

11:40 h
Die radioaktive Wolke reicht jetzt bis Elmshorn, das 35 Kilometer vor Hamburg liegt. Die Polizei hat sämtliche Autobahnauffahrten auf der A1 und der A7 in südlicher Richtung auf einer Länge von 100 Kilometern gesperrt, damit die Verkehrsmassen leichter abfließen können. Außerhalb des gefährdeten Gebietes stehen der Bevölkerung Notfallstationen zur Versorgung und eventuellen Dekontamination von Verstrahlten zur Verfügung.

12:45
Die Wolke hat Hamburg erreicht. Die Hansestadt bietet ein gespenstisches Bild: Die Straßen sind mit Fahrzeugen verstopft, aber es sind keine Passanten zu sehen. Die Supermärkte sind nach Hamsterkäufen fast leer. Die Polizei hat Anweisungen bekommen, Plünderungen zu verhindern. Fast alle Geschäfte sind jetzt geschlossen.

13:10 h
Dem Katastrophenschutz ist es gelungen, das Reaktorgebäude zu versiegeln. Von nun kann keine weitere Radioaktivität mehr austreten.

20:00
Die inzwischen ausgedünnte Wolke erreicht Berlin. Das öffentliche Leben im Norden ist zum Erliegen gekommen. Wer geblieben ist, harrt in seinem Haus aus. Der größte Teil der Evakuierungskarawane hat sich in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen verteilt, wo Tausende von Notstationen errichtet worden sind.

Zwei Tage später
Die Strahlungswerte sind deutlich zurückgegangen. Die Behörden melden, es habe nur wenige akute Strahlenopfer unmittelbar um Brunsbüttel herum gegeben. Experten rechnen laut Medienberichten allerdings mit 45.000 bis 100.000 tödlichen Krebserkrankungen als Spätfolge des Fall-outs. In Schleswig-Holstein und im Großraum Hamburg beginnt man – wegen der Bodenverseuchung mit dem langlebigen Zerfalls-Produkt Cäsium-137 –, Äcker umzugraben, landwirtschaftliche Produkte einzusammeln und Nutztiere zu töten. Aus den EU-Ländern treffen inzwischen Hilfslieferungen für Norddeutschland und die Geflüchteten ein, da die Lebensmittelversorgung zusammengebrochen ist. Es wird Monate dauern, bis ein halbwegs normales Leben im Norden denkbar ist.
Von Niels Boeing (Technology Review.de)

ufff ich war nach diesem text erst mal platt :o
Eure Meinung dazu ?!
 
so ein hübsch langer Text und 11 eigene Worte dazu :(

Was soll ich davon halten?

Nette, gut geschriebene Kurzgeschichte.

Diskussionsansatz seitens des threaderstellers nicht mal annähernd herausgearbeitet.
Kausalkette kann nur von Menschen mit Insiderwissen und speziellem Fachkenntnissen auf Wahrheitsgehalt und korrektem Ablauf geprüft werden.

Was also soll uns der Text sagen?
Hast Du für das copy eine Genehmigung von Herrn Boenig oder Heise?

Gruß

olly

edit:

Selbst, wenn von verschiedenen Experten dieses Szenario als plausibel eingestuft wird, fehlt Dein Diskussionsansatz.
Das nächste mal setze bitte einen Link.
 
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