Europäischer Gerichtshof: Umstrittene Vorgaben für freie WLAN-Netze

Andreas Frischholz
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Europäischer Gerichtshof: Umstrittene Vorgaben für freie WLAN-Netze

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat heute entschieden, dass zumindest Geschäftsbetreiber offene WLANs anbieten können, ohne für Urheberrechtsverletzungen der Nutzer zu haften. Aufgrund einiger Auflagen bestehen aber Zweifel, ob das Urteil tatsächlich wegweisend für die Verbreitung von offenen Netzen ist.

Im Kern geht es bei dem Urteil um die Frage: Welche Maßnahmen muss der Anbieter eines offenen WLANs ergreifen, um nicht selbst für Urheberrechtsverstöße zu haften. Der Hintergrund ist der Fall Mc Fadden gegen Sony Music. Im Jahr 2010 hatte das Musiklabel den Freifunker Tobias Mc Fadden abgemahnt, weil ein Sony-Song über das offene WLAN seines Geschäfts illegal zum Download angeboten wurde. Mc Fadden wollte aber nicht zahlen, er selbst habe schließlich nicht gegen das Urheberrecht verstoßen. Offen war nun aber, ob er als Betreiber des offenen WLANs – also im Sinne der Störerhaftung – verantwortlich ist, da er den WLAN-Zugang nicht abgesichert hatte.

Zunächst keine Haftung, aber weitgehende Auflagen

Grundsätzlich sagen nun die Richter des Europäischen Gerichtshofs: Urheberrechtsinhaber haben keinen Anspruch auf Schadensersatz, wenn jemand das offene WLAN eines Geschäftsbetriebs ausnutzt, um Inhalte rechtswidrig herunterzuladen. Und wenn der Schadensersatz wegfällt, müssen die Betreiber auch keine Abmahn- und Gerichtskosten erstatten.

Trotzdem haben Rechteinhaber weiterhin die Möglichkeit, gegen Urheberrechtsverletzungen vorzugehen. Bei wiederholten Rechtsverstößen können diese per Gerichtsbeschluss veranlassen, dass ein kommerzieller Betreiber von offenen WLANs „jeder Urheberrechtsverletzung durch seine Kunden ein Ende zu setzen oder solchen Rechtsverletzungen vorzubeugen“ hat. Als geeignete Maßnahme nennen die EuGH-Richter dabei ein Passwort, um den Zugang abzusichern. Das allein reicht aber nicht aus, um einen „Abschreckungseffekt zu gewährleisten“. Um anonymes Surfen zu unterbinden, sollen Nutzer daher auch ihre Identität preisgeben, bevor sie das WLAN-Passwort erhalten.

Ausdrücklich untersagt werden allerdings Maßnahmen, die auf eine Überwachung des Datenverkehrs hinauslaufen. Ebenso wenig können kommerzielle Anbieter von offenen WLANs aufgefordert werden, den Anschluss vollständig abzuschalten. Auf diese Weise will der EuGH ein Gleichgewicht herstellen: Auf der einen Seite steht dabei das Recht am geistigen Eigentum. Und auf der anderen Seite das Recht der kommerziellen WLAN-Betreiber auf unternehmerische Freiheit sowie das Recht der Internetnutzer auf Informationsfreiheit.

Mehr Fragen als Antworten

Aufgrund der Auflagen wird das Urteil in den Reihen der Netzaktivisten mit gemischten Gefühlen aufgenommen. So begrüßt der Bürgerrechtsverein Digitale Gesellschaft zwar, dass kommerzielle WLAN-Betreiber nun vor Schadensersatzansprüchen geschützt sind. Als großen Wurf bewertet es der politische Geschäftsführer Volker Tripp aber nicht: „Dass Nutzerinnen und Nutzer bei wiederholten Verstößen ihre Identität offenlegen sollen und der Zugang mit einem Passwort gesichert werden muss, ist jedoch ein herber Rückschlag für eine flächendeckende Versorgung mit offenen Netzen.

Generell werfe das Urteil aber mehr Fragen auf, als es Antworten liefere. Das gelte insbesondere für den Identitätsnachweis, bei dem völlig unklar bleibe, wie dieser in der Praxis aussehen soll. Vorstellbar ist etwa, dass Cafés, Einkaufszentren oder Flughäfen nun jedes Mal den Ausweis der Nutzer kontrollieren und dokumentieren müssen, um das WLAN-Passwort herauszugeben. Alltagstauglich sind solche Hürden aber nicht.

Zufriedener sind derweil die Vertreter der Rechteinhaber. Dass kommerzielle Betreiber von offenen WLANs zunächst nicht für Urheberrechtsverletzungen der Nutzer haften, ist laut der für Abmahnungen bekannten Kanzlei Waldorf Frommer keine Überraschung. „Entscheidender ist jedoch, dass das europäische Recht eine Haftung auf Unterlassung bzw. Verhinderung zukünftiger Rechtsverletzungen ausdrücklich vorsieht und darauf entfallende Abmahn- und Gerichtskosten vom WLAN-Betreiber verlangt werden können.“ Daher bestätige der Europäische Gerichtshof die „Störerhaftung für ungesicherte, anonyme WLAN-Netzwerke“.

Auswirkungen auf Deutschland?

Fraglich ist nun, inwieweit sich das EuGH-Urteil auf die Rechtslage in Deutschland auswirkt. Die Bundesregierung hatte erst vor einigen Wochen ein Gesetz beschlossen, um das Anbieten von öffentlichen WLANs zu erleichtern. Die Störerhaftung sollte auf diesem Weg zwar abgeschafft werden, aufgrund einiger vager Paragraphen besteht aber weiterhin ein Schlupfloch für Unterlassungsansprüche – und damit auch für Abmahnungen.

Angesichts des EuGH-Urteils sei nun erneut die Bundesregierung gefragt, heißt es daher in einer Analyse von Netzpolitik.org. Wenn es die Große Koalition mit dem Ausbau der offenen Netze ernst meine, müsse bei dem Gesetz nochmals nachgebessert werden.

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