Intel Tiger Lake: Willow Cove und Xe in 10 nm sind theoretisch richtig gut

Volker Rißka
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Intel Tiger Lake: Willow Cove und Xe in 10 nm sind theoretisch richtig gut
Bild: Intel

tl;dr: Intel Tiger Lake verbindet neue CPU-Kerne vom Typ Willow Cove mit dem allerersten Auftritt einer Intel-Xe-GPU, neuen Multimedia-Features und ganz aktuellen I/O-Anschlüssen. Weil dank neuer 10-nm-SuperFin-Technologie auch der Takt deutlich steigt, gibt der Tiger auf dem Papier ein richtig gutes Bild ab.

Im Handel verfügbar und damit praktisch erlebbar ist Tiger Lake heute noch nicht. Vorerst lüftet Intel nur den ersten großen Vorhang. Erste Architekturdetails zu den neuen Prozessorkernen und der ersten Generation der neuen Xe-Grafik werden von Informationen zum neuen Speichercontroller inklusive DDR5-Unterstützung und Neuheiten wie Thunderbolt 4 und PCI Express 4.0 begleitet. Über konkrete CPU-Modelle auf Basis von Tiger Lake, deren Taktraten und TDP spricht Intel hingegen noch nicht.

Tiger Lake springt weit

Die Design-Richtlinien von Tiger Lake waren eindeutig: Ice Lake-U sollte (bei weitem) übertroffen werden. Weil Ice Lake erstmals auf 10 nm und neue Kerne setzte, wäre das sicherlich mit wenig Mitteln möglich gewesen. Und so wurde das Ziel etwas ausgedehnt: Tiger Lake sollte eine CPU werden, die den gesamten TDP-Bereich von unter 10 Watt bis hin zu 65 Watt abdeckt, bei geringerem Energiebedarf mehr Leistung bietet sowie neue Instruktionen und Multimedia-Features mitbringt.

Anfoderungen an Tiger Lake
Anfoderungen an Tiger Lake (Bild: Intel)

CPU-Kerne: Willow Cove folgt auf Sunny Cove

Den grundlegenden Aufbau der Kerne übernimmt Willow Cove von Sunny Cove. Neben den üblichen Optimierungen stand dabei ein Redesign des Caches Im Vordergrund. Der L2-Cache ist mit 1,25 MByte pro Kern deutlich größer geworden, zudem ist er nun noninklusiv. Intel verspricht sich im Einsatzbereich von Tiger Lake Vorteile.

Welches die beste Lösung ist, darüber gibt es viele Analysen und Berichte (Beispiel (PDF)), denn inklusiv, noninklusiv oder exklusiv hat jeweils Vor- und Nachteile. Bei kleinen L2-Caches und großen L3-Caches ist inklusiv von Vorteil. Wird der L2-Cache jedoch zu groß, sind noninklusiv und exklusiv von Vorteil. Dabei kommt es stets auf das Verhältnis zueinander an. Skylake-SP-Kerne mit ihrem damals gegenüber der regulären Skylake-Version von 256 KByte auf 1 MByte vergrößerten L2-Cache wechselten seinerzeit den Status des im Gegenzug verkleinerten L3-Caches von inklusiv auf noninklusiv.

Willow Cove
Willow Cove (Bild: Intel)

Das Front-End, aber auch das Back-End sind ansonsten ziemlich ähnlich wie Sunny Cove aufgebaut. Die Anzahl der Ausführungseinheiten ist gleich, anscheinend hat sich Intel aber die dritte FMA-Einheit an Port 5 gespart – diese war im Sunny-Cove-Schaubild noch zu sehen. Unterschiede dürfte es hingegen auch bei den Buffer-Größen geben, doch das ist vorerst Spekulation. Für derartige Details blieb im auf einen 4-Stunden-Webcast geschrumpften zweitägigen Vor-Ort-Event keine Zeit. Die Informationen dürften allerdings bereits in Kürze im Rahmen der Konferenz Hot Chips und weiterer Briefings mitgeteilt werden.

Die Summe der Anpassungen soll dazu führen, dass Willow Cove mehr als den üblichen IPC-Uplift eines Generationswechsels hergibt, der im Schnitt zwischen 5 und 9 Prozent liegt. Wie viel es genau sind, sagte Intel heute jedoch noch nicht. Ice Lake brachte 18 Prozent gegenüber Skylake, nochmals mehr IPC gepaart mit nun quasi gleich hohem Takt wie Skylake dürfte die alte Generation dann doch langsam ins Archiv wandern lassen. Bei Ice Lake war nie die IPC, sondern der relativ niedrige Takt das Problem.

Zweifacher Ring, größerer L3-Cache, schneller Speicher

Das Fabric und den Last-Level-Cache hat Intel ebenfalls deutlich überarbeitet. Angelehnt an den klassischen Ringbus fährt der Konzern nun bei Tiger Lake gegenüber Ice Lake eine duale Ring-Architektur, die die Bandbreite gegenüber dem Vorgänger verdoppelt. Dies war vonnöten, da neben der CPU auch die Grafikeinheit mehr Leistung bietet und der L3-Cache um ebenfalls 50 Prozent ausgebaut wurde. Beim L3-Cache sind 12 MByte, ebenfalls noninklusiv, für das Quad-Core-Modell nun das Maximum. Um die geringe Latenz für einen „Treffer“ des Vorgängers beibehalten zu können, musste dieser Umbau erfolgen.

Fabric und Speicher
Fabric und Speicher (Bild: Intel)

An dieses Ziel knüpft auch das überarbeitete Speicherinterface an. Unterstützung für LPDDR4X-4266, DDR4-3200 und später auch LPDDR5-5400 sollen über einen klassischen Dual-Channel-Controller eine Bandbreite von bis zu 86 GByte pro Sekunde bereitstellen. Für die Sicherheit wird „Total Memory Encryption“ (TME) sorgen, die später auch bei Intels Ice Lake-SP im Server Einzug halten soll. Bei einem Angriff, bei dem Daten aus dem Speicher ausgelesen werden sollen, erhält der Angreifer laut Intel „nur noch Müll“.

Thunderbolt 4, USB 4 und PCIe 4.0

Für Thunderbolt 4 rührt Intel bereits seit einiger Zeit die Trommel, auch USB 4.0 stand hoch im Kurs – wenn beizeiten auch eher, um TB 4 als besseres USB 4.0 zu platzieren. In Bezug auf PCI Express 4.0 gab sich Intel bisher bedeckt. Jetzt ist klar, dass Tiger Lake die erste CPU des Herstellers ist, die den Standard unterstützt.

Dabei gibt es jedoch einen Haken: Nicht immer und überall wird das wohl so sein, die Anzahl der Lanes und die passende Unterstützung ist an gewisse CPU-Modelle gebunden. Dabei geht es vornehmlich um die Energieaufnahme. Gerüchte besagen, dass Tiger Lake UP3 (im Artikelbild das linke Modell), bisher als U-Serie gehandelt, diese Funktion bietet. Tiger Lake UP4 (rechts dargestellt), was einmal die Y-Serie war, wird es hingegen missen lassen.

Intel Tiger Lake: I/O auf neuestem Stand
Intel Tiger Lake: I/O auf neuestem Stand (Bild: Intel)

Xe LP: Intels GPU-Zukunft ist da

Mit Tiger Lake feiert nicht nur Willow Cove Premiere, auch Intels neue GPU-Generation, Xe getauft, hat ihren ersten kommerziellen Auftritt. Sie erstreckt sich über den kompletten Einsatzbereich von Low-Power-Lösungen (Xe LP in Tiger Lake) bis hin zum HPC-Segment und schließt ab dem Jahr 2021 auch Gaming-GPUs mit ein.

Bei der Low-Power-Lösung der neuen Xe-Grafik setzt Intel auf 96 EUs. Damit übertrifft Xe den Vorgänger um 50 Prozent, denn bei Gen11 in Ice Lake war bei 64 EUs Schluss. Intern wurde der Aufbau leicht angepasst, was bei einem neuen Thread-Controller beginnt, der Aufgaben nun an zwei EUs zuweisen wird, statt sich nur um eine zu kümmern. Die FP/INT-Alus sind größer als zuvor, unterstützt werden sie durch einen neuen L1-Cache. Die Bandbreite nach außen wurde durch einen überarbeiteten Speichercontroller deutlich erhöht.

Intel QuickSync steht seit Jahren für extrem effektive Videobeschleunigung – Xe LP setzt dort an. Die Encoding- und Decoding-Durchsatzrate wurden laut Intel um den Faktor 2 gesteigert, AV1-Hardware-Beschleunigung ist mit von der Partie. 12-Bit-BT.2020-Support für Profis steht ebenfalls zur Verfügung, für Gamer werden 360-Hz-Displays und Adaptive Sync unterstützt. Vier Display-Engines liefern via DisplayPort, HDMI 2.0, Thunderbolt 4 und USB 4 Typ C Signale aus, maximal werden 8K UHD und Ultrawide unterstützt.

„Dramatische Takterhöhung“ in allen Bereichen

Leistung pro Takt (IPC) ist die eine, der Takt die andere entscheidende Variable bei der Betrachtung der Leistungsfähigkeit. Der hohe IPC-Sprung von Ice Lake im Vergleich zu Skylake verpuffte beispielsweise im Taktrückgang. Dieses Problem beseitigt Intel mit dem neuen Fertigungsschritt, der die seinerzeit verlorenen 1 GHz nun nahezu wieder bieten wird.

Taktverlauf im Vergleich von Sunny cove zu Willow Cove
Taktverlauf im Vergleich von Sunny cove zu Willow Cove (Bild: Intel)

Willow Cove sei dabei im Einsatz in jeder Lebenslage Sunny Cove überlegen, so Intel. Die neuen Kerne können mit geringerer Spannung arbeiten und die gleiche Leistung bieten oder bei gleicher Spannung viel mehr Leistung. Würde man nur diese Worte hören, klingt es wie ein typischer Node-Step einer Foundry, dort wäre im Marketing aus 10 nm aber nicht eine neue Generation 10 nm geworden, sondern eventuell 8 nm.

Sunny-cove-Taktkurve im Vergleich zu Willow Cove
Sunny-cove-Taktkurve im Vergleich zu Willow Cove (Bild: Intel)

Das gleiche Spiel greift bei der integrierten Grafik. Seit Jahren ist dort bei spätestens 1,2 GHz Schluss, bei Xe in Tiger Lake verspricht Intel Taktraten von bis zu 1,8 GHz und mehr – gegenüber Ice Lake ist der Sprung hier abermals besonders groß, denn auch der GPU-Takt der ersten 10-nm-CPU von Intel litt gegenüber dem Vorgänger. Gepaart mit viel mehr Ausführungseinheiten wird laut Intel mit Tiger Lake jetzt bei 15 Watt die zuvor von 25 Watt bekannte Leistung geboten oder im Umkehrschluss deutlich mehr Performance bei gleicher TDP.

Gen11-Takt und neuer Xe-LP-Takt
Gen11-Takt und neuer Xe-LP-Takt (Bild: Intel)

Finaler Start am 2. September

Konkrete Modelle mit Angaben zu Kernen, Takt, TDP und GPU bleibt Intel heute noch schuldig. Die Gerüchteküche nennt hingegen viele bereits seit Wochen beim Namen. Wenn auch inoffiziell, steht damit bereits fest, dass Tiger Lake die elfte Generation Core werden wird und das Ice-Lake-Namensschema weiterführt. Was genau hinter Bezeichnungen wie Core i7-1180G7 steckt, wird offiziell aber erst am 2. September 2020 verraten: Dann werden die Modelle – traditionell „zur IFA“ – offiziell starten. Auch wenn die IFA 2020 aufgrund des Coronavirus nahezu ausfällt, werden dann auch zahlreiche OEMs ihre neuen Produkte auf Basis von Tiger Lake zur Schau stellen.

Tiger Lake-H dürfte kommen

Tiger Lake wird im Gegensatz zu Ice Lake oder auch Kaby Lake (Refresh) mit großer Wahrscheinlichkeit nicht nur in Ultrabooks mit maximal 25 Watt TDP zum Einsatz kommen. Kleine Details im Vortrag zu Tiger Lake deuteten bereits auf die Existenz des zuletzt in den Gerüchten gehandelten größeren Tiger Lake-H mit bis zu acht Kernen hin. So sprach der Chefarchitekt von einem „auf bis zu 65 Watt“ ausgelegten Design mit „bis zu 24 MByte Cache“, was gut zu einem quasi verdoppelten Tiger Lake-U passt. Bestätigen wollte Intel diese Planung vorerst aber offiziell nicht. Auch externe Indizien werden jedoch deutlicher, darunter neue Kühlerlistungen aus Asien.

Kühler für Tiger Lake-H mit 45 Watt
Kühler für Tiger Lake-H mit 45 Watt (Bild: Rego.com.tw)

Einschätzung und Ausblick

Vorschusslorbeeren erntet Intel Tiger Lake spätestens heute viele, das Produkt überzeugt auf Basis der offiziellen Eckdaten auf dem Papier. Problemstellen von Ice Lake wurden laut Intel behoben, gleichzeitig aber auch weitere Innovationen umgesetzt, die einen großen Sprung nach vorn versprechen. Das betrifft nicht nur CPU und GPU, auch die noch einmal verbesserten Media-Features sowie aktuelle Schnittstellen ergeben ein überzeugendes Komplettpaket. Tiger Lake dürfte im Notebook-Segment sehr gut aufgehoben sein – vorausgesetzt die Praxis liefert, was die Theorie verspricht.

Tiger Lake
Tiger Lake (Bild: Intel)

Der im Notebook zurzeit mit Ryzen 4000 „Renoir“ zu Recht erstarkte Mitbewerber AMD könnte mit Tiger Lake auch technisch und ohne das Treibmittel OEM-Intel-Beziehung wieder richtig Konkurrenz bekommen. Pünktlich zum Herbst soll eine Vielzahl an Notebooks von allen Herstellern verfügbar sein. Ein Acht-Kern-Tiger-Lake dürfte mit höherem Takt und höherer IPC schneller sein als Renoir. Dass AMDs neue APU Cezanne eher als vormals angenommen kommt, ist deshalb wohl nicht nur ein dünnes Gerücht. Oft weiß der Mitbewerber dann doch bereits besser über die Leistungsfähigkeit neuer Produkte Bescheid.

ComputerBase hat die Informationen im Rahmen des Architecture Day 2020 von Intel vorab unter NDA erhalten. Eine Einflussnahme des Herstellers auf die Berichterstattung fand nicht statt, eine Verpflichtung zur Veröffentlichung bestand nicht. Einzige Vorgabe war der frühestmögliche Veröffentlichungstermin.

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