Europäischer Gerichtshof: Vorrats­datenspeicherung nur in Notlagen

Andreas Frischholz
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Europäischer Gerichtshof: Vorrats­datenspeicherung nur in Notlagen
Bild: Blondinrikard Fröberg | CC BY 2.0

Eine allgemeine Vorratsdatenspeicherung ist nicht mit dem EU-Recht vereinbar, erklärt der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem länger erwarteten Urteil. Am bisher bekannten Grundsatz ändert sich also nichts. Möglich sind nun aber Ausnahmeregelungen in Notlagen.

Das Urteil befasst sich nicht mit der Regelung in Deutschland, sondern dreht sich um Verfahren in Belgien, Frankreich und Großbritannien. Zu den Klägern zählten Bürgerrechtsorganisationen wie die britische „Privacy International“ und die „La Quadrature du Net“.

Vorratsdatenspeicherung: Wenn, dann nur befristet in Notlagen

Zunächst stellen die EuGH-Richter klar: Eine allgemeine und verdachtsunabhängige Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten ist nicht mit der Grundrechte-Charta der EU vereinbar. Es bleibt also bei den aus dem Urteil vom Jahr 2016 bekannten Grundsatz: Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung ist generell nicht machbar.

Allerdings gewähren die Richter eine Ausnahme, die EU-Staaten in Notfällen umsetzen dürfen. Demnach ist die Vorratsdatenspeicherung dann zulässig, wenn Mitgliedsstaaten mit einer Bedrohung der nationalen Sicherheit konfrontiert sind, die sich als „echt und gegenwärtig oder als vorhersehbar erweist“. Solche Situationen müssen zeitlich aber strikt beschränkt werden und entsprechende Anordnungen stehen unter einem richterlichen Vorbehalt.

Was zudem erhalten bleibt, sind die aus dem Jahr 2016 bekannten Grenzen. So ist eine Datenerfassung etwa möglich, wenn sie für eine gewisse Zeit auf eine bestimmte Personengruppe oder ein bestimmtes Gebiet beschränkt ist.

Forderung nach Vorratsdaten wurde lauter

Die Frage ist nun, wie die Politik auf das Urteil reagiert. Die von Vertretern der Sicherheitsbehörden erhoffte Abkehr vom 2016er Urteil ist es nicht, allerdings schafft es neue Spielräume. So stellt Netzpolitik.org in einer ersten Analyse fest, dass unklar sei, was unter dem Begriff „Bedrohung“ konkret zu verstehen sei.

Insbesondere in Deutschland wurden zuletzt die Rufe nach der Vorratsdatenspeicherung laut. So erklärte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) erst letzte Woche im Bundestag: „Wir werden den Ermittlern auch die Möglichkeit an die Hand geben, die Vorratsdatenspeicherung zu nutzen, soweit dies mit deutschem und europäischem Recht vereinbar ist.“ Ähnliches forderte zuvor bereits der Deutsche Richterbund.

Inwieweit die Vorratsdatenspeicherung tatsächlich einen Mehrwert hat, bleibt aber umstritten. Im Kern geht es um einen Konflikt, den bereits eine Studie aus dem Jahr 2012 abbildet, die die damalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) in Auftrag gegeben hatte. Das Resultat: Vertreter der Sicherheitsbehörden und Polizisten erklärten auf der einen Seite praktisch unisono, dass die Vorratsdatenspeicherung unentbehrlich wäre. Nur spiegelt sich das nicht in den Ergebnissen wider. Sobald man die Auswirkungen auf die Aufklärungsquote auswertet, hat die Vorratsdatenspeicherung praktisch keinen Effekt.

Empirisch untermauert wird das durch eine aktuelle Studie vom wissenschaftlichen Dienst des Europäischen Parlaments, die der Piraten-Abgeordneten Patrick Breyer in Auftrag gegeben hat. Demnach stieg in den letzten Jahren in mehreren EU-Staaten die Aufklärungsquote, obwohl Ermittler die Vorratsdaten nicht nutzen konnten.

Lage in Deutschland: Warten auf das Bundesverfassungsgericht

In Deutschland ist die Vorratsdatenspeicherung weiterhin ausgesetzt, bis das Bundesverfassungsgericht über das aktuelle Gesetz entscheidet. Mit dem Urteil wird in den nächsten Monaten gerechnet.

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