Infizierten-Tracking: Europäische Corona-App erfasst Kontakte anonym

Andreas Frischholz
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Infizierten-Tracking: Europäische Corona-App erfasst Kontakte anonym

Seit Wochen läuft die Debatte, wie sich die Kontakte mit Covid-19-Infizierten ermitteln lassen, um die Infektionskette frühzeitig unterbrechen zu können. Europäische Forscher haben nun mit der Initiative PEPP-PT einen Ansatz präsentiert, der mittels Bluetooth-App das anonyme Erfassen von Kontaktpersonen ermöglicht.

PEPP-PT steht für Initiative Pan-European Privacy-Preserving Proximity Tracing – das Ziel ist also eine Kontaktverfolgung, die anonym abläuft und somit die Privatsphäre schützt. Entwickelt wird die Lösung derzeit von einem Team mit über 130 Mitgliedern, die in mehr als sieben europäischen Ländern arbeiten. Mit dabei sind zahlreiche Einrichtungen und Institute wie etwa das Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut, das seit geraumer Zeit an einer digitalen Tracking-Möglichkeit arbeitet.

Basis für eine Bluetooth-App

Was die Forscher entwickeln, ist die Basis für eine App, die Kontakte mittels Bluetooth erfasst. Smartphones mit der entsprechenden App senden eine authentifizierte und anonyme ID, die sich nicht auf den einzelnen Nutzer zurückführen lässt. Befinden sich nun zwei Smartphones über einen bestimmten Zeitraum in der Nähe, tauschen sie die IDs aus. Die werden verschlüsselt und ausschließlich auf dem jeweiligen Telefon gespeichert. Ob der Abstand ausreichend war, um eine Infektion zu übertragen, bewertet ein Algorithmus, den die Forscher entsprechend kalibriert haben.

Mit der ID lässt sich ausschließlich erkennen, dass ein Kontakt vorhanden war. Der Ort oder andere persönliche Informationen bleiben außen vor, es werden keine persönlichen Daten, kein Standort und keine MAC-Adresse gespeichert oder übertragen. Selbst die anonymen ID-Daten lassen sich nicht einsehen. Auch die Nutzer können auf ihrem Telefon nicht erkennen, mit wie viel Personen sie Kontakt hatten. Und die Daten werden gelöscht, sobald sie epidemiologisch nicht mehr relevant sind – also der Kontakt solange her ist, dass kein Infektionsrisiko mehr besteht.

Wenn sich nun eine Person mit Covid-19 infiziert hat, erhält sie von den Gesundheitsbehörden einen TAN-Code. Damit lassen sich die IDs an einen zentralen Server senden, über den die Kontaktpersonen informiert werden. Das alles erfolgt ebenfalls anonymisiert, es lässt sich also nicht erkennen, wer jemanden wo angesteckt hat.

Digitales Tracking hilft beim Eindämmen der Pandemie

Wissenschaftler beschreiben das digitale Ermitteln von Kontakten als zentrales Hilfselement, um die Pandemie einzudämmen. „Wissenschaftlich ist das erfolgversprechend“, sagt etwa der Virologe Christian Drosten im NDRinfo-Podcast Coronavirus-Update. Wenn Personen erfahren, dass sie in den letzten Tagen einen engen Kontakt mit einem Infizierten hatten, können sie selbst in Quarantäne gehen. So lässt sich verhindern, dass weitere Menschen angesteckt werden. „Das ist ein Mikromanagement, das von außen nicht möglich ist“, so Drosten. Solche Maßnahmen könnten eine „durchschlagende Wirkung“ haben, einige asiatische Staaten wie etwa Südkorea sind das Vorbild.

Das Kernproblem ist, dass das Virus schon ansteckend ist, wenn die Betroffenen selbst noch keine Symptome spüren. Die Hoffnung ist nun, dass sich bald die Quarantäne-Maßnahmen lockern lassen und es mit der digitalen Warn-App trotzdem möglich ist, die Covid-19-Pandemie einzudämmen. So erklärte etwa Bundesgesundheitsminister Jens Spahn letzte Woche im Interview mit der Zeit: „Wir sehen, dass es einem demokratischen Staat wie Südkorea gelungen ist, mit diesem Verfahren das Virus zu bekämpfen und trotzdem das öffentliche Leben weitgehend aufrechtzuerhalten. Mithilfe der Handydaten konnten dort Kontakte von Infizierten schnell verfolgt und mögliche Infektionsgefahren lokalisiert werden.

Ursprünglich wollte Spahn auch Standort- und Bewegungsdaten von Smartphones erfassen, nach massiver Kritik ist der entsprechende Passus aber wieder aus dem neuen Infektionsschutzgesetz herausgeflogen. IT-Experten wie Linus Naumann vom Chaos Computer Club (CCC) beschreiben die ohnehin als viel zu ungenau, um Kontakte adäquat zu erfassen. Was er bereits am Montag in einem Blog-Beitrag skizzierte, war vielmehr eine auf Bluetooth basierende Methode wie PEPP-PT, die es ermöglicht, über mehrere Wochen hinweg die Kontakte anonymisiert und dezentral zu sammeln.

Freiwillige Installation kann funktionieren

Eine eigenständige App ist PEPP-PT derweil nicht. Vielmehr handelt es sich um eine Referenzimplementierung, wie die Entwickler gegenüber dem Spiegel erklären. Was bereitgestellt wird, ist der Quellcode der Lösung, das Backend als technischer Unterbau sowie eine Rumpfversion der App. Diese Basis könne sowohl Startups als auch andere Staaten nutzen, um eine finale App zu entwickeln. Die müssen aber von der PEPP-PT-Initiative zertifiziert sein, um Wildwuchs zu verhindern.

Das System ist zudem nicht auf einzelne Länder beschränkt, sondern kann grenzübergreifend verwendet werden. Das erfolgt über einen anonymen und länderübergreifenden Austauschmechanismus.

Die Installation einer solchen PEPP-PT-App würde nach aktuellem Stand freiwillig erfolgen. Für Virologen wie Christian Drosten kann das aber schon ausreichend sein. „Es ist nicht so, dass jeder mitmachen muss“, sagte er im NDRinfo-Podcast. Selbst wenn nur ein Großteil der Bevölkerung mitmacht, habe das einen „Effekt für die Gesamtbevölkerung und das Abflachen der Kurve“. Für den Einzelnen wäre es zusätzlich noch von Vorteil, weil es ein Gefühl der Sicherheit vermitteln kann. Er selbst würde so eine App oder anderweitige Lösung nutzen.

Vielen geht es offenbar genauso. Eine Studie der University of Oxford hat für Deutschland ergeben, dass sich knapp Dreiviertel der Befragen eine App auf jeden Fall oder wahrscheinlich installieren würden. Die Studie gilt als repräsentativ.