Hatespeech: Twitter muss auch sinn­gemäße Falschaussagen löschen

Andreas Frischholz
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Hatespeech: Twitter muss auch sinn­gemäße Falschaussagen löschen
Bild: geralt | CC0 1.0

Das Landgericht Frankfurt am Main verschärft heute die Löschpflichten von Twitter. So muss das Unternehmen nicht nur unwahre oder ehrverletzende Beiträge entfernen, sondern auch sinngemäße Kommentare mit identischem Äußerungskern, sobald Kenntnisse von diesen Inhalten bestehen.

Das besagt das Urteil (Az. 2-03 O 325/22) des Landgerichts Frankfurt am Main in einem Eilverfahren. Geklagt hatte der Antisemitismus­beauftragte des Landes Baden-Württemberg, Michael Blume. Im September 2022 wurde laut der Mitteilung des Landgerichts in diversen Twitter-Kommentaren behauptet, er habe „eine Nähe zur Pädophilie“ und er habe „einen Seitensprung gemacht“. Außerdem wurde über ihn verbreitet, er sei in „antisemitische Skandale“ verstrickt und er sei „Teil eines antisemitischen Packs“. Diese Behauptungen bewerten die Richter allerdings als unwahr und ehrverletzend.

Jemanden als Antisemiten zu bezeichnen, ist zwar zunächst eine Meinungsäußerung; in diesem Fall ging es laut dem Gericht aber nicht mehr um öffentliche Meinungsbildung. Vielmehr würden die Kommentare darauf abzielen, „in emotionalisierender Form Stimmung gegen den Antisemitismus­beauftragten zu machen“. In diesem Kontext wurden die Beiträge daher als rechtswidrig bewertet.

Keine Monitoring-Pflicht für Twitter

Twitter hätte die Kommentare also nicht weiterverbreiten dürfen, als diese gemeldet wurden. Und das gilt nicht nur für Beiträge mit demselben Inhalt, sondern auch für „solche Kommentare, die als gleichwertig anzusehen sind und die trotz gewisser Abweichungen einen identischen Äußerungskern aufweisen“, heißt es in der Mitteilung.

Für abweichende Äußerungen gilt das nicht. Im Fall des Antisemitismus­beauftragten betrifft das etwa seine Aufnahme auf die vom Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles veröffentlichte Liste der größten Antisemiten weltweit – darauf dürfen Nutzer hinweisen.

Das Urteil bedeute aber nicht, dass Twitter nun sämtliche Beiträge prüfen muss. „Twitter befindet sich damit in keiner anderen Situation, als wenn eine bestimmte Rechtsverletzung gemeldet wird. Auch in diesem Fall muss Twitter prüfen, ob diese Rechtsverletzung eine Löschung bedingt oder nicht“, so die Vorsitzende des Landgerichts.

Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Es kann mit der Berufung zum Oberlandesgericht Frankfurt am Main angefochten werden. Neu ist die Richtung des Urteils jedoch nicht. Das Landgericht Frankfurt hatte bereits im April entschieden, Facebook müsse Memes mit inhaltsgleichen Falschzitaten auch ohne erneuten Hinweis entfernen.

Im Konflikt mit Musks Twitter-Kurs

Unterstützt wurde das Verfahren durch die Organisation HateAid. Der Anwalt des Klägers Chan-jo Jun bezeichnet das Urteil in diesem Musterverfahren als Erfolg. Nun sei der Rechtsstaat gefordert, um „Twitter notfalls auch mit Ordnungsgeld und Ordnungshaft dazu zu zwingen, endlich einen wirksamen Schutz von Persönlichkeitsrechten zu installieren“, so Jun.

Was das Urteil zudem offenbart: Es steht im Widerspruch zum Kurs von Elon Musk. Dieser lautet: freedom of speech, not freedom of reach. Statt Beiträge zu löschen, will er also die Reichweite von Hatespeech-Fällen limitieren. Dabei dürfte er künftig aber sowohl mit dem deutschem als auch dem EU-Recht kollidieren.