Aufbauspiel auf Irrwegen: Das neue Die Siedler erstickt Spielspaß im Keim

Fabian Vecellio del Monego
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Aufbauspiel auf Irrwegen: Das neue Die Siedler erstickt Spielspaß im Keim
Bild: Ubisoft

Vor einer Woche ist Die Siedler: Neue Allianzen nach langer Irrfahrt endlich erschienen, zumindest auf dem PC. Und wer dachte, er könne gar nicht mehr negativ überrascht werden, wurde eines Besseren belehrt. Dabei hätte der Titel so viel Potenzial gehabt – aber er ist dem Spielspaß konsequent selbst im Weg.

Der Auftakt sah so vielversprechend aus

Inzwischen viereinhalb Jahre ist es her, dass Ubisoft auf der Gamescom 2018 mit der Ankündigung eines Reboots der Siedler-Serie für Begeisterung sorgte. Der Publisher versprach ein gemütliches Aufbauspiel, bei dem das Besiedeln bildhaft schöner Landstriche und der Aufbau einer florierenden Wirtschaft im Mittelpunkt stehen sollten. Die Rede war von prozedural generierten Karten, dutzenden Produktionsketten und Gebäuden sowie üppiger Wuselei, die zum verträumten Zusehen und Bestaunen der fröhlichen Siedler einladen sollte. Insgesamt vier Technologiestufen sollten den Ausbau einer wachsenden Stadt begleiten und Spieler hätten aus insgesamt drei Siegbedingungen mit entsprechend verschiedenen Strategien wählen können sollen. Ein erster Trailer vermittelte bereits ein ansprechendes Bild des neuen Spiels.

Zwar war das Genre der Aufbauspiele zu der Zeit bereits reichhaltig besetzt, Indie-Games mit dem grundlegenden Konzept der Siedler-Reihe gab und gibt es zuhauf. Aber ein echtes Die Siedler, entwickelt mit Triple-A-Budget, mit toller Grafik und unter Aufsicht des Serienvaters Volker Wertich, den Ubisoft zur Schlüsselfigur der Vermarktung des neuen Teils machte? Das klang einfach gut. Zu gut, wie später deutlich werden sollte. Denn beinahe alles, was die Herzen der Genreliebhaber im Sommer 2018 höherschlagen ließ, hat Ubisoft rigoros aus dem Spiel gestrichen, wie Anfang 2022 schlagartig bei einer Betatestphase deutlich wurde. Und diese Closed Beta wurde für den Publisher zu einem Debakel, das eigentlich ein Warnschuss und Wachrütteln hätte sein müssen.

Ein merkwürdiger Release ohne Reviews und Volker Wertich

Zumindest Volker Wertich war sich des Damoklesschwertes über Die Siedler: Neue Allianzen bereits gewahr – er hatte der Entwicklung inzwischen den Rücken gekehrt. Ubisofts fundamentale Neuausrichtung sei mit seiner Vision unvereinbar, erklärte er. Der große Publisher hielt jedoch auch nach dem vernichtenden Feedback zur Betatestphase an ebenjener Neuausrichtung fest. Das Spiel wurde auf unbestimmte Zeit verschoben und schlägt nun ein Jahr später erneut auf, unter abgeändertem Namen und fortan als „Echtzeit-Aufbaustrategiespiel“. Nur ein Launch-Trailer fängt das Versprechen der Ankündigung vor einigen Jahren noch ein.

Am 17. Februar ist Die Siedler: Neue Allianzen dann zwar endlich erschienen, aber ein großes Medienecho bleibt aus. Ubisoft selbst rührt die Werbetrommel vergleichsweise zurückhaltend und hat die Fachpresse nicht mit Vorabversionen bedacht, wie es in der Branche eigentlich üblich ist. Dadurch sind auch eine Woche nach dem Start des Spiels keine respektive nur sehr wenige Testberichte und Eindrücke verfügbar. Und ohnehin erscheint Die Siedler: Neue Allianzen auf dem PC nur auf Ubisoft Connect und im Epic Games Store, wo Spieler in ihrer Möglichkeit, Rezensionen zu verfassen, durchaus eingeschränkt sind.

Ausgerechnet bei der Technik hapert es nun auch noch

Und das kommt mutmaßlich nicht von ungefähr. Zwar war das Spiel ohnehin angezählt, denn die Erwartungen an Gameplay und Umfang lagen niedrig. Und trotzdem schafft es Die Siedler: Neue Allianzen, zum Release noch einmal zu enttäuschen – ausgerechnet die Technik trübt den ersten Eindruck zusätzlich. Abstürze und Freezes sind an der Tagesordnung. DirectX 12 funktionierte bei vielen Spielern zunächst gar nicht. Und auch der Mehrspielermodus war zum Start eine einzige Katastrophe: Die Wartezeiten waren hoch, Partien kamen oft gar nicht erst zustande und wenn doch, dann endeten sie in den allermeisten Fällen abrupt durch Abstürze oder Verbindungsprobleme, bevor Spieler überhaupt das erste Mal mit ihrem Kontrahenten interagieren konnten.

Das überrascht, weil die Betaversion vor einem Jahr wesentlich runder lief. Andererseits ist es aber heutzutage fast schon die Regel, dass Triple-A-Produktionen, gerade nach einer derart holprigen Entwicklung, beim Spieler reifen müssen. Und ein erster Patch bessert inzwischen auch schon nach. Es sei also einfach mal angenommen, Ubisoft räume auch die übrigen technischen Fehltritte zeitnah aus der Welt – wäre das neue Die Siedler dann ein spielenswerter Titel? Technisch durchaus: Die Grafik ist selbst Jahre nach der Ankündigung noch überaus hübsch anzusehen, die Leistung ordentlich und der verspielte Stil mit den niedlichen Animationen weiß zu gefallen. Zwar wirken Charaktermodelle und -animationen in den Zwischensequenzen der Kampagne dem Jahre 2010 entsprungen, aber abseits dessen wird schnell deutlich: In dieses Projekt ist einmal sehr viel Liebe geflossen.

Die Siedler: Neue Allianzen ist kein gutes Spiel

Aber diese Erkenntnis macht die Erfahrung für viele langjährige Fans der Siedler-Reihe umso trauriger, denn so sehr Aufbauspieler auch versuchen, in Die Siedler: Neue Allianzen Spaß zu haben: Es will einfach nicht gelingen. Das Spiel stellt sich konsequent selbst ein Bein, unterdrückt Spielspaß im Keim und will stets etwas anderes sein. Und das ist für Siedler-Liebhaber unfassbar schade, hatte die ursprüngliche Vision als idyllisches Aufbauspiel doch so viel Potenzial.

Ein Aufbauspiel, das nicht zum Aufbau animiert

Aber der Versuch, Die Siedler: Neue Allianzen der Neuausrichtung zum Trotz als Aufbauspiel zu spielen, frustriert nachhaltig. Es gibt vergleichsweise wenige Ressourcen, Waren, Gebäude und Produktionsketten. Letztere bleiben überdies oberflächlich und bieten wenig Tiefgang für Optimierungen oder Tüftelei. Spieler erhalten kaum Möglichkeiten an die Hand, auf die Wirtschaft tatsächlich einen steuernden Einfluss zu nehmen: Sind einmal die zehn grundlegenden Gebäude errichtet, sind die Aufbauspielkapazitäten des Titels im Grunde genommen bereits erschöpft. Ein schnell limitierendes Siedlerlimit und zu knappe Ressourcen tun ihr Übriges und schieben ausgiebigem Stadtwachstum schnell einen Riegel vor.

Und ohnehin liefert Die Siedler: Neue Allianzen einfach keinen Anreiz zu siedeln. Denn das Ziel einer jeden Partie ist es einzig und allein, die gegnerischen Stämme auszulöschen. Sobald also einmal genug Gebäude errichtet sind, um die wenigen vorhandenen Kohle-Vorkommen auszureizen, gibt es streng genommen keinen Grund mehr, neue Bauvorhaben anzugehen. Auch die Nahrungserzeugung dient nicht etwa der Versorgung der Bevölkerung, sondern kann ausschließlich genutzt werden, um bestimmte Produktionsgebäude schneller arbeiten zu lassen. Der Ablauf einer Partie ist jedes Mal identisch und bietet einen Tiefgang, den viele Browser- oder Mobile-Games zu übertreffen wissen. Einzig und allein die Grafik macht deutlich, dass es sich um eine Triple-A-Produktion handelt.

Und was, wenn die vom Spiel vorgegebenen Ziele einfach zur Seite geschoben werden und ein Spieler beschließt, nach Lust und Laune des Siedelns willen zu siedeln? Dann wird er bereits im Hauptmenü feststellen, dass ein solches Spielen nicht vorgesehen ist. Die Siedler: Neue Allianzen bietet nicht die Möglichkeit, ein Endlosspiel ohne feindliche Parteien zu starten – oder ein Diplomatie-System, um mit jenen Frieden zu schließen oder gar Handel zu treiben. In einem solchen Modus gäbe es schlicht und ergreifend auch nichts, worauf Spieler hinarbeiten könnten: Ein jeder Siedler, ein jedes Gebäude und eine jede Produktionskette verlieren augenblicklich die Daseinsberechtigung, sobald auf einer Karte keine feindlichen Lagerhäuser zum Zerstören übrig sind. Wer ein friedliches Idyll zum gemütlichen Bauen sucht, eine florierende Wirtschaft erbauen mag und einfach Freude daran hat, wuselnden Siedlern bei der Arbeit zuzusehen, ist hier falsch.

Das vielleicht langsamste RTS der Welt

Nun gut, und wenn Die Siedler: Neue Allianzen gemäß Ubisofts Neuausrichtung eben nicht als Aufbauspiel, sondern als Echtzeitstrategiespiel aufgefasst wird? Dann ist der Titel nicht weniger frustrierend, weil keine Minute vergeht, in der nicht deutlich wird: Dieses Spiel wurde ganz anders konzipiert. Zwar sind die Militäreinheiten einzeln steuerbar, aber eben nur sehr hakelig und unpräzise. Die KI der Einheiten und Gegner stellt sich tölpelhaft an. Kampffähigkeiten sind einfältig, lassen sich viel zu einfach umgehen respektive kontern und passen überdies nicht sonderlich zum Siedler-Setting. Und regelmäßig wird deutlich: Mit absolutem Fokus aufs Militär wurde der Titel ursprünglich nicht gedacht – in dieser Hinsicht bietet zum Beispiel ein Age of Empires 4 das wesentlich interessantere und vor allem auch abwechslungsreichere Gameplay.

Die Sieder: Neue Allianzen wiederum ist für ein Echtzeitstrategiespiel nicht nur wenig dynamisch, sondern vor allem viel zu langsam. Das Aufbauen der Waffenproduktions­ketten ist nicht spannend, nicht herausfordernd und insbesondere nicht vielfältig, geht aber kämpferischen Auseinandersetzungen, die für das Genre RTS nun einmal elementar sind, voraus. Die erste Interaktion mit dem Feind wird also mitunter um 20 Minuten oder länger verzögert. Spieler verbringen die meiste Zeit mit bloßem Warten. Vorspulen lässt sich im neuen Siedler auch im Einzelspielermodus nicht.

Bei beiden Spielweisen respektive Ansätzen, diesen Titel – der selbst nicht so richtig zu wissen scheint, was er sein möchte – zu spielen, kommt erdrückend hinzu: Es gibt je Spielmodus nur wenige und kein Stück anpassbare Karten, die sich aber ohnehin alle ähnlich spielen, und nur drei Fraktionen, die beim Gameplay fast identisch sind und sich in erster Linie optisch voneinander unterscheiden. Und die Einzelspieler­kampagne? Erfahrungen zu jener sind derzeit noch rar, scheitert sie bei den allermeisten Spielern doch aufgrund wiederkehrender Abstürze. Sonderlich mitreißend ist sie jedenfalls nicht – aber das ist bei einem Siedler zweitrangig und gerade bei diesem konkreten Spiel das geringste Problem.

Das war ein Flop mit Ansage

Was lässt sich also abschließend sagen? Die Siedler: Neue Allianzen ist auch ein Jahr nach dem Beta-Debakel einfach noch immer kein gutes Spiel. Ja, die Entwickler haben in einigen Bereichen nachgebessert, an vielen Stellschrauben gedreht und sind mitunter auch auf das Feedback und die Wünsche der Community eingegangen. Und wenn man versucht, mit diesem Titel Spaß zu haben, und keine technischen Probleme querschießen, gibt es durchaus Momente, in denen eine gewisse Begeisterung und Lust aufs Bauen aufkommen. Aber Die Siedler: Neue Allianzen wirkt beinahe bemüht, diesen Anflügen von Freude am Spielen stets einen Riegel vorzuschieben. Zu einschränkend sind Karten und Möglichkeiten, zu oberflächlich die Wirtschaft und das Kampfsystem und zu belanglos die meisten der ohnehin schon wenigen Gebäude und Waren.

60 Euro für Early-Access-Qualität

Nun ließe sich sagen: Die Entwickler sind einfach nicht fertig geworden, aber Die Siedler: Neue Allianzen bietet eine hervorragende Basis für ein tolles Aufbauspiel – da lässt sich noch viel herausholen. Aber nein, nach vielen Jahren Entwicklungszeit und mehreren Verschiebungen ist das Wunschdenken. Dieses Werk wird nicht mehr besser werden, weil die Entwickler zu diesem Zweck Ubisofts Neuausrichtung revidieren oder aber ganz ans Reißbrett zurückkehren müssten. Diesen Schritt hielt der Publisher schon vor einem Jahr nicht für angebracht, sondern hielt an dem Konzept fest, das eigentlich niemand haben wollte. Es wirkt beinahe so, als habe Ubisoft Die Siedler: Neue Allianzen allen Warnungen der Spieler, allen kritischen Stimmen und allen Ratschlägen Volker Wertichs zum Trotz mit Absicht gegen die Wand gefahren.

Grafik und Art Design sind die einzigen echten Stärken
Grafik und Art Design sind die einzigen echten Stärken (Bild: Ubisoft)

Nun ließe sich ebenso sagen: Als Free-to-Play-Titel oder aber Early-Access-Spiel zum Preis von 25 Euro wäre Die Siedler: Neue Allianzen durchaus interessant. Aber nein, Ubisoft verlangt mindestens 60 Euro für das Spiel – eine Deluxe-Edition kostet gar 80 Euro. Und ein Ingame-Shop soll für weitere Einnahmen sorgen. Die hat Ubisoft freilich bitter nötig: Der Publisher ist nach zahlreichen Fehlschlägen in Schieflage geraten. Die Entwicklung des neuen Siedler-Ablegers soll fast zehn Jahre gedauert und rund 50 Millionen Euro verschlungen haben, wie der Spielejournalist Jochen Gebauer in Erfahrung gebracht haben will. Darüber hinaus wüssten alle Beteiligten, dass der Titel ein Reinfall ist – nur war eine fortlaufende Entwicklung wirtschaftlich wohl nicht mehr haltbar. Die Release-Notbremse soll nun mutmaßlich den Verlust begrenzen.

Ende mit Schrecken schafft Platz für Neues

Im Ergebnis steht auf Metacritic derzeit ein User Score von nur 2,4/10 Punkten. Sollte sich die Wertung nicht deutlich verbessern – und derzeit zeigt die Tendenz eher nach unten –, dann würde sich Die Siedler: Neue Allianzen gemäß User Score einen Platz unter den am schlechtesten bewerteten PC-Spielen aller Zeiten sichern. Der Metascore auf Basis von bislang acht Rezensionen der Fachpresse liegt immerhin bei 60/100 Punkten.

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Nachdem bereits der Vorgänger und insbesondere Die Siedler: Königreiche von Anteria ein Fiasko waren, dürfte Ubisoft die einst prestigeträchtige Aufbauspielserie diesmal endgültig zu Grabe tragen. Und angesichts der durchaus beeindruckenden Gabe des Publishers, eine derart vielversprechende Vision allen Warnungen zum Trotz in den Sand zu setzen, wäre ein Ende mit Schrecken wohl das Beste, was den geplagten Siedlern passieren könnte. Nicht nur an diesem Punkt erinnert Die Siedler: Neue Allianzen an das gescheiterte Sim City 5, das EAs Städtebau-Serie beendete und Platz für Cities Skylines machte.

Und so ruht die Hoffnung vieler Spieler, die sich zur Ankündigung im Sommer 2018 auf ein neues wuseliges Aufbauspiel gefreut haben, nun unter anderem auf Pioneers of Pagonia. Volker Wertich blieb nach der von Ubisoft aufgezwungenen Neuausrichtung seines Spielkonzepts nicht untätig und arbeitet mit seinem Entwicklerteam von Envision Entertainment an dem Projekt, das Die Siedler: Neue Allianzen einmal hätte sein sollen. Noch gibt es kein Gameplay, aber spätestens im Dezember dieses Jahres soll der Titel auf Steam in den Early Access starten – und in dieser Fassung bereits mehr Gebäude, Waren und Produktionsketten beinhalten als Ubisofts „Echtzeit-Aufbaustrategiespiel“.

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