Innovation

Glas statt organisch: Intel will das Substrat für Chips neu erfunden haben

Update Volker Rißka
84 Kommentare
Glas statt organisch: Intel will das Substrat für Chips neu erfunden haben
Bild: Intel

Am Vortag der Hausmesse Intel Innovation darf Intels Forschungsabteilung ins Rampenlicht und präsentiert ein neues Glas-Substrat als Trägermaterial für Chips. Das verspricht im Formfaktor eines Packages mit klassischem Substrat nicht nur 50 Prozent mehr Chips unterzubringen, es soll auch viele weitere Vorteile bieten.

Glas soll im Packaging die Zukunft gehören

Im Jahr 1995 erfolgte die Einführung des Organic Substrate, wie es heute in jedem PC, Notebook oder Server in Form von LGA- oder BGA-Chips als Prozessor, Grafikkarte, Chipsatz oder sonstigem Chip steckt. Seinerzeit kam die organische, weil auf Kohlenstoff basierende Variante als Ablösung für die anorganische Variante mit Keramik, die nur eine relativ kurze Lebensspanne aufwies.

Nach fast 30 Jahren ist aber auch mit dem heutigen Substrat nicht mehr alles machbar, es zeigen sich Grenzen auf, die vor allem in den letzten Jahren deutlich sichtbarer wurden. Es wird Zeit für eine neue Revolution, Intel denkt es ist das Glas-Substrat.

Intel-Präsentation zu Glass Core Substrate 2023
Intel-Präsentation zu Glass Core Substrate 2023 (Bild: Intel)

Schon länger wird daran geforscht

Die Idee für ein Substrat auf Glasbasis ist nicht neu. Schon seit 15 Jahren wird daran geforscht, oft allerdings im kleineren Rahmen, in Universitäten und anderen Einrichtungen. Das Potenzial hatte die Wissenschaft schon lange erkannt, doch ein Problem blieb: Glas. Wie leicht vorstellbar, fangen die Probleme bereits bei der Handhabung an, beim Zuschnitt und in vielen anderen Bereichen, weshalb die Einstiegsanforderungen ziemlich hoch sind.

Intel-Präsentation zu Glass Core Substrate 2023
Intel-Präsentation zu Glass Core Substrate 2023 (Bild: Intel)

Intel hat viele Probleme inzwischen gelöst, erklärte der Hersteller in einem Pressegespräch vorab, aber auch noch nicht alle. Man hat sich Dinge aus dem Handling mit Silizium-Wafern abgeschaut, aber auch wie Hersteller große Panels für Fernseher produzieren, vermischt mit eigenen Errungenschaften beispielsweise in der Fertigung der EMIB-Chips. Deshalb sind aber sowohl Chemie-Riesen als auch Hersteller von Werkzeugen und Tools mit im Boot, weil sie letztlich gebraucht werden. Die Forschung in dem Bereich und Errichtung einer Pilotlinie für die nun ersten funktionsfähigen Chips auf Basis dieses Substrats hat so bereits über 1 Milliarde US-Dollar verschlungen. Dabei habe man viel gelernt, über 600 Erfindungen in der Richtung gemacht.

Was macht ein Glas-Substrat besser?

Auf dem Papier kann ein Glas-Substrat eigentlich fast alles besser als eine aktuelle organische Lösung, wenn man die Schwierigkeiten bei der Fertigung und die damit verbundenen höheren Kosten ausblendet. Zum Beispiel können auf der gleichen Fläche im Vergleich zum aktuellen organischen Substrat 50 Prozent mehr Chips verbaut werden. Und das ist nicht alles. Die aktuell laut Intel maximal mögliche Fläche von 120 mm × 120 mm für das Substrat kann mit einem Glas-Substrat auf 240 mm × 240 mm vervierfacht werden.

Die Kombination aus beiden Möglichkeiten macht klar, warum hier vor allem das HPC-Umfeld, AI und Datacenter angesprochen werden sollen, denn so können viel mehr Chips und damit Leistung auf ein einziges Package gepflanzt werden.

Intel-Präsentation zu Glass Core Substrate 2023 (Bild: Intel)

Das neue Substrat lässt dabei auch das Pendant zu TSVs (Through Silicon Vias), Through Glass Vias (TGV) genannt, zu. Auch viele andere Dinge, die auf den ersten Blick bei Glas schwer vorstellbar sind, aber bei den klassischen organischen Substraten funktionieren, können umgesetzt werden, zum Teil sogar besser. Intel nennt als Beispiel optische Verbindungen für schnellere Datentransfers, die heute über zusätzliche optische Chips auf dem organischen Substrat gelöst werden müssen – Glas bringt hier passende Eigenschaften direkt ab Werk mit.

Anfangs keine Lösung für den Massenmarkt

Die angesprochenen höheren Kosten beim Glas-Substrat könnten jedoch zum Teil durch entsprechend angepasste Produkte wieder ausgeglichen werden. Weniger Layer beim Chip, der darauf sitzt, eine angepasste Stromversorgung, mehr Spielraum bei der Temperatur und mehr lassen den Chip letztlich günstiger in der Produktion werden, sodass am Ende eventuell sogar ein ähnliches Ergebnis herauskommt, wenn der fertige Chip dann in einem Sockel sitzt, hofft Intel. Dennoch wird die neue Technologie erst einmal im Hochpreissegment starten, wo sich die meisten Vorteile am ehesten umsetzen lassen. Der funktionsfähige Testchip ähnelt hingegen erst einmal eher einem heutigen Notebook-Prozessor.

Das klassische ABF-Substrat ist aber keinesfalls tot, vielmehr geht es Hand in Hand mit dem Glas-Substrat, deckt es zum Teil ja sogar oben und unten, vor allem als Dielektrikum, ab – produktspezifisch kann dies in Zukunft aber anders ausfallen. Heutzutage ist der Griff zur bekannten Lösung der einfachste Weg um so den klassischen BGA-Chip als Prototyp aufzulegen. Ende der Dekade könnte der neue Ansatz dann in Serie gehen.

Vom Hochpreissegment könnte sich das Glas-Substrat mit der Zeit und mit der passenden Infrastruktur dann bis hinab zu einer Grundlage auch für kleine Chips entwickeln. Denn auch diese könnten von den Möglichkeiten letztlich profitieren.

Intel-Präsentation zu Glass Core Substrate 2023 (Bild: Intel)
Update

Im Rahmen der Intel Innovation 2023 hat sich eine Session auch mit dem Thema beschäftigt. Dabei hat Intel vor Ort auch eine kleine Roadmap vorgelegt. Demnach wird es im kommenden Jahr Testchips in Zusammenarbeit mit Partnern geben. Diese orientieren sich primär an heutigen Lösungen, werden dann aber auf das neue Substrat umgestellt.

Die aktuelle Roadmap für Glas-Substrat
Die aktuelle Roadmap für Glas-Substrat

Ab 2026 geht es dann ans Eingemachte. Nun kommen die Möglichkeiten ins Spiel, die Intel für die Zukunft sieht. Übergroße Chips sollen vom Band laufen, viele der neuen noch theoretischen Möglichkeiten erprobt werden.

Vor Ort bot sich dann auch noch die Chance, den ersten Glas-Chip in der Hand zu halten. Die Ängste, Glas ist zerbrechlich, will Intel in den nächsten Jahren stets weiter zerstreuen, am Ende sollen die „Glas-Chips“ genau so halten wie heutige Lösungen.

ComputerBase hat Informationen zu diesem Artikel von Intel unter NDA erhalten. Die einzige Vorgabe war der frühestmögliche Veröffentlichungszeitpunkt.

Intel Innovation 2023 (19.–20. September 2023): ComputerBase war vor Ort!
  • Für Notebooks & AIOs: Intel Meteor Lake kommt nicht für „klassische Desktop-PCs“
  • Moore's Law lebt: Das „Grundgesetz“ wird mit neuen Technologien am Leben gehalten
  • 576 E-Cores im Server: „Pro Kern will die Lizenz eher niemand bezahlen“
  • +27 weitere News