Wikipedia vor dem GAU?

Sasan Abdi
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Für die Betreiber der deutschen Version des größten unabhängigen Online-Lexikons Wikipedia dürfte es wohl keinen schlimmeren Fall geben als den, der jetzt eingetreten zu sein scheint. Scheinbar stammen mehrere hundert Beiträge der freien Universalenzyklopädie aus DDR-Lexika. Damit würde der Wikipedia-Inhalt in Teilen gegen geltendes Urheberrecht, sowie gegen die eigene Maxime verstoßen, wonach die Texte nicht geschützt sein dürfen.

In einer großen Säuberungsaktion versuchen die Verantwortlichen nun, die Enzyklopädie von den genannten Artikeln zu befreien. Bisher wurden rund 200 Einträge aus der Datenbank gefischt, die nun in einer speziellen Kategorie „DDR-URV“ auf ihre Löschung warten. Neben den juristischen Problemen wirft das Ganze aber auch einen nicht zu unterschätzenden Image-Schatten auf die Wikipedia-Artikel: Der Inhalt der Artikel entstammt dem marxistisch-leninistischen Wörterbuch der Philosophie, das in den 70er Jahren ein echter DDR-Verkaufsschlager war.

Neben dem zweifelhaften ideologischen Hintergrund, der dem Anspruch von Enzyklopädien generell, wonach die Artikel inhaltlich neutral verfasst sein sollten, nicht gerecht wird, handelt es sich bei dem Material vor allem auch um höchst unaktuelle Beiträge, die zusätzlich dem Anspruch auf Aktualität entgegenstehen. Für Kritiker des freien Lexikons bedeutet der neuerliche Vorfall einen ungeahnten Auftrieb. Schon das Prinzip von „Wiki“, das jedem erlaubt, seine Artikel einzustellen, scheint für derlei Zwischenfälle fast schon zwangsweise anfällig. Nicht umsonst haben anonyme Autoren mit verschiedenen IP-Adressen allein in den vergangenen zwei Jahren soviel fragwürdiges Material in die Diamat-Ansicht von Wikipedia eingespeist, dass die Gegenleser kaum mit dem Löschen hinterher kamen.

Bis dato ist noch nicht klar, in welchem Ausmaß die Wiki-Datenbank letztlich tatsächlich mit den fragwürdigen Artikeln verseucht ist. Auch ist derzeit nicht klar, ob womöglich die im Buchhandel erhältlichen Wikipedia-DVDs und -CDs von dem GAU betroffen sind.