@barista
Bei Dir lese ich mehr Ideologie als Fakten:
Die einen wollen durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft nur leben. Die anderen wollen bekanntermaßen ihr Geld vermehren, leben tun sie ja sozusagen nebenbei und gar nicht schlecht.
So ist das also? Jetzt gehe mal weg von den Großkonzernen, die bereits Rücklagen gebildet haben, und wende Dich einem kleineren Unternehmer zu, etwa dem Lebensmittelhändler um die Ecke, der vier Angestellte hat. Du unterstellst eine völlige Abhängigkeit der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber. Aber das ist eine einseitige Sichtweise. Wenn nämlich die Beschäftigten nicht im Laden erscheinen, dann kann der Eigentümer sein Geschäft schließen. Dann ist niemand da, der die angelieferte Ware einräumt, der Kunden berät, der hinter der Theke steht oder der an der Kasse sitzt. Die eine Seite kann nicht ohne die andere. Und dass der Unternehme ruckzuck pleite sein kann, darf auch nicht übersehen werden.
Seit dieses Theaterstück vorgeführt wird, sind keine Zeiten bekannt, wo das Vermögen auf der Seite der Reichen nicht gewachsen ist
Auch hier möchte ich etwas entgegnen. Dazu bediene ich mich eines Beispiels, das dem aus #176 des Threads über die Entfremdung angelehnt ist: Ein Küntler stellt sich vor die Tür des Kölner Doms, wo er Sketche aufführt und Geld von den Passanten einsammelt. Nach einer Weile entschließt er sich, zu einer Agentur zu gehen, die ihm Arbeitsgelegenheiten (Aufträge) vermitteln kann. Die Mühe, sich selbst zu überlegen, wo er am besten auftreten kann, kann er sich von nun an schenken. Dafür überlasst er der Agentur 10 Prozent seiner Einnahmen. Dieser Preis (nach Marx: Mehrwert) erscheint ihm gerecht, weil die Agentur dafür eine Leistung erbringt. Nun kann die Agentur von einem Künstler allein schlecht leben. Nach einer Weile haben sich bereits zehn Künstler dort eingetragen. Der Arbeitsaufwand für die Agentur wächst, die Einnahmen ebenfalls. Nach fünf Jahren sind 500 Künstler bei der Vermittlungsagentur eingeschrieben. Die Agentur hat ihre Arbeitsabläufe optimiert und verdient nun auch gut.
Meine Frage dazu: Ist der Reichtum der Agentur nun etwas Schlechtes oder haben sich die dort arbeitenden Leute nicht vielleicht ihr Geld redlich verdient? Wer will das leichtfertig beurteilen bzw. verurteilen? – Die Arbeitnehmer, die sich dazu entschlossen haben, nicht selbst als Unternehmer tätig zu sein (z. B. weil ihnen die notwendige Qualifikation fehlt), sondern in ein Arbeitsverhältnis einzuwilligen, machen im Grunde das, was auch der Künstler aus meinem Beispiel macht. Sie geben einen geldwerten Teil ihrer Produktivität ab (den Mehrwert), um dafür einige Annehmlichkeiten zu haben, etwa das garantierte Monatseinkommen, da sie als Selbstständige nicht hätten.
Und wenn da etwas in die Hose geht, werden Löhne gekürzt, Leute vors Tor gesetzt, Fabrik geschlossen.
Das hört sich bei Dir so an, als ob es dem Unternehmer weiterhin gut ginge und lediglich die Arbeitnehmer die Suppe auslöffeln müssten. Dem ist aber nicht so. Die Inhaber einer oHG zum Beispiel sind nach einer solchen Firmenpleite selbst pleite. Sie verlieren ihr Haus, ihr Auto, ihre Aktien, praktisch alles. Der Arbeitnehmer hat dagegen nichts riskiert. Er verliert seinen Job, kann sich aber sogleich einen neuen suchen und bis dahin die Abfindung aus dem Sozialplan auf den Kopf hauen.
Und so geht es in Deinem Beitrag in einer Tour weiter. Wo ist der Bezug zum Thema, wo bleibt die Objektivtät? Meine Darstellung sollte nur deutlich machen, dass die Dinge nicht unumstößlich so sind, wie Du sie beschrieben hast, sondern dass man die objektiven Sachverhalte auch anders bewerten kann.
Weiterhin gehört zum Arbeitsmarkt folgende Eigenschaft: Wenn der Freiberufler oder der selbstständige Schuhmacher einen Tag lang nicht arbeitet, dann verdient er nichts, auch wenn seine betrieblichen Kosten weiterlaufen. Der Arbeitnehmer dagegen macht sechs Wochen Urlaub im Jahr, die ihm der Arbeitgeber bezahlt. Und wenn er darüber hinaus noch sechs Wochen krank ist, dann zahlt ihm der Arbeitgeber trotzdem seinen Lohn weiter. So kann es kommen, dass jemand fast ein viertel Jahr keinen Handschlag für seinen Boss macht und trotzdem gut davon leben kann. So dreckig kann es den Arbeitnehmern also gar nicht gehen.