keshkau
Commodore
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Von Systemkritikern, so will ich sie mal nennen, lese und höre ich viel darüber, was in Deutschland (oder in Welt) alles verbessert, verändert, eingeführt oder abgeschafft werden sollte. Die an der Kritik beteiligten Gruppierungen machen dabei die unterschiedlichsten Fässer auf.
Beispiele dafür sind: gesetzlicher Mindestlohn, bedingungsloses Grundeinkommen, Wertschöpfungsabgabe, Öffnung der EU-Grenzen für Importe aus Entwicklungsländern und gleichzeitiger Kampf gegen die Globalisierung, Schuldenerlass, Aufstockung der Entwicklungshilfe, radikale Steuerreform inkl. Subventionsabbau, Umverteilung von oben nach unten, stärkere Kontrolle der Finanzmärkte usw. – Andere Punkte wie „Konsumkritik“ lasse ich an dieser Stelle mal außen vor.
So interessant einzelne dieser Diskussionspunkte auch sein mögen, vermisse ich doch etwas ganz Entscheidendes. Nirgendwo sehe ich den ernsthaften Versuch, ein integriertes und umfassendes Konzept vorzustellen, das die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen den betroffenen Bereichen abzudecken vermag.
Am Beispiel der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen will ich das Kernproblem veranschaulichen. Nach diesem Modell erhält jeder Bürger monatlich eine Überweisung vom Staat, sagen wir 800 Euro für Erwachsene und 500 Euro für Kinder. Die konkreten Zahlen spielen in diesem Zusammenhang keine Rolle. Nun kommt irgendwann der Tag der Einführung und man muss sich im Vorfeld fragen, welche Auswirkungen damit verbunden sind. Meiner Meinung nach wird darauf von den Befürwortern viel zu wenig Wert gelegt.
Es wird z. B. damit argumentiert, dass die Sozialversicherungen überflüssig werden. Schön und gut. Aber was geschieht mit den Rentenbeiträgen, die ich aus meinem versteuerten Einkommen bezahlt habe und für die laut Bundesverfassungsgericht eine aus dem Grundgesetz abgeleitete Eigentumsgarantie besteht? Das sind ja keine Kleckerbeträge, über die wir hier reden. Was geschieht mit den Mitarbeitern der Rentenversicherungsanstalten? Der größte Versicherungsträger, die Deutsche Rentenversicherung Bund in Berlin, hatte 2004 rund 27.000 Beschäftigte. Hinzu kommen Mitarbeiter der knappschaftlichen Rentenversicherung und der mehrerer Regionalträger.
Eine Abschaffung der Sozialversicherungen dürfte auch an der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg nicht spurlos vorübergehen. Die größte deutsche Behörde beschäftigt 97.000 Menschen. Das dürfte nach der Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens kaum so bleiben.
Es ist aber nicht damit getan, auf die Einsparungen zu verweisen. Hier werden zugleich unzählige Existenzen zerstört. Man hat einen sicheren Job, vertraut auf das zukünftige Einkommen und plötzlich kann weder die neue Wohnung noch das auf Kredit finanzierte Auto länger bezahlt werden. Denn neue Jobs sind so schnell nicht in Sicht. Wer braucht schon Leute, die sich mit spezieller Behördensoftware auskennen und die Gesetze gepaukt haben, die ihre Gültigkeit verloren haben? Darüber lese ich nie etwas.
Ebenso ungeklärt bleibt die Frage, wie man es mit den Außengrenzen bzw. der Einwanderung halten möchte, wenn ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt wird. Kippt man die Freizügigkeit innerhalb der EU? Wohl kaum. Wartet man auf die Einführung in der gesamten EU? Das kann dauern? Wie geht man mit dem Problem um, dass ein garantiertes Grundeinkommen eine starke Sogwirkung auf einwanderungswillige Menschen ausüben kann? Nun gut, Sozialhilfe bekämen sie auch so, wenn sie regulär eingewandert sind. Aber allein der Name „bedingungsloses Grundeinkommen“ klingt doch schon verlockend. Der Betrag dürfte schließlich auch nicht ganz so niedrig angesetzt werden. Schließlich ist die Politik bereit zu akzeptieren, dass es nicht genügend Jobs für alle Menschen gibt. Aber die Leute müssen trotzdem davon leben können, zumal andere Leistungen konsequent gestrichen werden sollen. Das könnte sich nachteilig auf Kranke oder Alte auswirken.
Schließlich die Frage nach der Aufrechterhaltung des Sozialprodukts. Der schlecht bezahlte Briefzusteller, der 40 Stunden in der Woche für 800 Euro netto arbeiten geht, steht sich zukünftig besser, wenn er das Geld vom Staat nimmt und zu Hause bleibt. Er stünde sich zwar noch besser, wenn er weiterhin (wahrscheinlich für einen noch geringeren Lohn) arbeiten ginge. Aber es ist keineswegs gesagt, dass er das machen würde. Stichwort Postmaterialismus. Er hätte mehr freie Zeit und keine finanziellen Einbußen. Das ist nicht zu unterschätzen. Gleiches gilt für viele Teilzeitkräfte, die z. B. einem Minijob nachgehen. Sie können lieber gleich zu Hause bleiben. Schließlich kommt dabei unter dem Strich mehr herum. Man sollte diesen Punkt nicht auf die leichte Schulter nehmen und darauf hoffen. Das Vertrauen darauf, dass plötzlich unzählige Langzeitarbeitslose die „Lust am Arbeiten“ wiederentdecken, um die entstandenen Lücken zu füllen, kann trügerisch sein.
Um nicht weiter auf dem Grundeinkommen herumzureiten, will ich jetzt den Mindestlohn einbeziehen. Es dürfte jedem klar sein, dass sich die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn mit der Einführung des Grundeinkommens erledigt hat. Ich gehe sogar davon aus, dass die Löhne auf breiter Front rapide sinken würden. Denn der Unternehmer wird seinen Angestellten sagen, dass er doch durch seine Steuerzahlungen bereits deren Grundeinkommen und das ihrer Angehörigen finanziert. Da können die Beschäftigten nicht auch noch erwarten, mit 2.800 Euro (Durchschnittslohn) brutto nach Hause zu sehen. Wenn das so eintreten sollte, stellt sich ein psychologisches Problem ein. Das Grundeinkommen wird von den Arbeitnehmern als gegeben hingenommen. Aber der Stundenlohn für zusätzliche Arbeit sinkt dann meinetwegen auf 6 Euro (ca. 1030 Euro brutto im Monat). Viele Menschen werden damit ein Problem haben, weil sie doch dieselbe Arbeit verrichten, aber ihrer Ansicht nach schlechter dafür bezahlt werden. Das wird sich negativ auf die Arbeitsmotivation und die Arbeitsbereitschaft auswirken.
Bis hier sind das nur zwei Punkte, die ich angeschnitten habe. Oben im zweiten Absatz stehen aber noch weitere Forderungen, etwa nach einer Wertschöpfungsabgabe und nach einer (dringend notwendigen) Steuerreform.
Eine dritte Baustelle sind die Subventionen. Der Einfachheit halber orientiere ich mich dabei an dem Gliederungsschema bei Wikipedia. Danach wird unterschieden zwischen
a) Subventionen im engeren Sinne (Zuschüsse, Kredite, Bürgschaften)
b) Subventionen im weiteren Sinne (Beispiele)
- Ausfuhrerstattungen, bei denen für landwirtschaftliche Exporte die Differenz zu einem niedrigeren Weltmarktpreis ausgeglichen wird
- Steuerbefreiungen, z. B. für politische Parteien und für Mieten
- Steuerfreibeträge, z. B. bei der Einkommensteuer
- Steuerermäßigungen, z. B. reduzierter Mehrwertsteuersatz, haushaltsnahe Dienstleistungen
- Steuervergünstigungen, z. B. Investitionszulagen
Man kann hier weitere Punkte anführen, etwa die Förderungen beim Wohnungsbau oder Förderungen von Investitionen in Energiesparmaßnahmen (Solarenergie und andere). Die pauschale Forderung nach einem Abbau der Subventionen bedarf also immer einer Konkretisierung. Auch die vermisse ich oft.
Ich hätte gern gewusst, wie das alles unter einen Hut passen soll. Denn wenn man die Sache auf dem Reißbrett entwerfen will, dann muss sie in sich schlüssig sein. Ist sie das nicht, steht man vor unlösbaren Problemen. Denn eine Rentenreform schüttelt man nicht mal so eben aus dem Ärmel. Und man kann sie auch nicht einfach wieder rückgängig machen, wenn sie nicht funktionieren sollte.
Also etwas weniger Utopie und etwas mehr Pragmatik. Ich bin gespannt, was mir hier angeboten wird. Es dürfte jedem klar sein, dass es bei diesem Thema mit einer dreizeiligen Kurzantwort nicht getan ist. Da muss schon mehr kommen.
Beispiele dafür sind: gesetzlicher Mindestlohn, bedingungsloses Grundeinkommen, Wertschöpfungsabgabe, Öffnung der EU-Grenzen für Importe aus Entwicklungsländern und gleichzeitiger Kampf gegen die Globalisierung, Schuldenerlass, Aufstockung der Entwicklungshilfe, radikale Steuerreform inkl. Subventionsabbau, Umverteilung von oben nach unten, stärkere Kontrolle der Finanzmärkte usw. – Andere Punkte wie „Konsumkritik“ lasse ich an dieser Stelle mal außen vor.
So interessant einzelne dieser Diskussionspunkte auch sein mögen, vermisse ich doch etwas ganz Entscheidendes. Nirgendwo sehe ich den ernsthaften Versuch, ein integriertes und umfassendes Konzept vorzustellen, das die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen den betroffenen Bereichen abzudecken vermag.
Am Beispiel der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen will ich das Kernproblem veranschaulichen. Nach diesem Modell erhält jeder Bürger monatlich eine Überweisung vom Staat, sagen wir 800 Euro für Erwachsene und 500 Euro für Kinder. Die konkreten Zahlen spielen in diesem Zusammenhang keine Rolle. Nun kommt irgendwann der Tag der Einführung und man muss sich im Vorfeld fragen, welche Auswirkungen damit verbunden sind. Meiner Meinung nach wird darauf von den Befürwortern viel zu wenig Wert gelegt.
Es wird z. B. damit argumentiert, dass die Sozialversicherungen überflüssig werden. Schön und gut. Aber was geschieht mit den Rentenbeiträgen, die ich aus meinem versteuerten Einkommen bezahlt habe und für die laut Bundesverfassungsgericht eine aus dem Grundgesetz abgeleitete Eigentumsgarantie besteht? Das sind ja keine Kleckerbeträge, über die wir hier reden. Was geschieht mit den Mitarbeitern der Rentenversicherungsanstalten? Der größte Versicherungsträger, die Deutsche Rentenversicherung Bund in Berlin, hatte 2004 rund 27.000 Beschäftigte. Hinzu kommen Mitarbeiter der knappschaftlichen Rentenversicherung und der mehrerer Regionalträger.
Eine Abschaffung der Sozialversicherungen dürfte auch an der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg nicht spurlos vorübergehen. Die größte deutsche Behörde beschäftigt 97.000 Menschen. Das dürfte nach der Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens kaum so bleiben.
Es ist aber nicht damit getan, auf die Einsparungen zu verweisen. Hier werden zugleich unzählige Existenzen zerstört. Man hat einen sicheren Job, vertraut auf das zukünftige Einkommen und plötzlich kann weder die neue Wohnung noch das auf Kredit finanzierte Auto länger bezahlt werden. Denn neue Jobs sind so schnell nicht in Sicht. Wer braucht schon Leute, die sich mit spezieller Behördensoftware auskennen und die Gesetze gepaukt haben, die ihre Gültigkeit verloren haben? Darüber lese ich nie etwas.
Ebenso ungeklärt bleibt die Frage, wie man es mit den Außengrenzen bzw. der Einwanderung halten möchte, wenn ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt wird. Kippt man die Freizügigkeit innerhalb der EU? Wohl kaum. Wartet man auf die Einführung in der gesamten EU? Das kann dauern? Wie geht man mit dem Problem um, dass ein garantiertes Grundeinkommen eine starke Sogwirkung auf einwanderungswillige Menschen ausüben kann? Nun gut, Sozialhilfe bekämen sie auch so, wenn sie regulär eingewandert sind. Aber allein der Name „bedingungsloses Grundeinkommen“ klingt doch schon verlockend. Der Betrag dürfte schließlich auch nicht ganz so niedrig angesetzt werden. Schließlich ist die Politik bereit zu akzeptieren, dass es nicht genügend Jobs für alle Menschen gibt. Aber die Leute müssen trotzdem davon leben können, zumal andere Leistungen konsequent gestrichen werden sollen. Das könnte sich nachteilig auf Kranke oder Alte auswirken.
Schließlich die Frage nach der Aufrechterhaltung des Sozialprodukts. Der schlecht bezahlte Briefzusteller, der 40 Stunden in der Woche für 800 Euro netto arbeiten geht, steht sich zukünftig besser, wenn er das Geld vom Staat nimmt und zu Hause bleibt. Er stünde sich zwar noch besser, wenn er weiterhin (wahrscheinlich für einen noch geringeren Lohn) arbeiten ginge. Aber es ist keineswegs gesagt, dass er das machen würde. Stichwort Postmaterialismus. Er hätte mehr freie Zeit und keine finanziellen Einbußen. Das ist nicht zu unterschätzen. Gleiches gilt für viele Teilzeitkräfte, die z. B. einem Minijob nachgehen. Sie können lieber gleich zu Hause bleiben. Schließlich kommt dabei unter dem Strich mehr herum. Man sollte diesen Punkt nicht auf die leichte Schulter nehmen und darauf hoffen. Das Vertrauen darauf, dass plötzlich unzählige Langzeitarbeitslose die „Lust am Arbeiten“ wiederentdecken, um die entstandenen Lücken zu füllen, kann trügerisch sein.
Um nicht weiter auf dem Grundeinkommen herumzureiten, will ich jetzt den Mindestlohn einbeziehen. Es dürfte jedem klar sein, dass sich die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn mit der Einführung des Grundeinkommens erledigt hat. Ich gehe sogar davon aus, dass die Löhne auf breiter Front rapide sinken würden. Denn der Unternehmer wird seinen Angestellten sagen, dass er doch durch seine Steuerzahlungen bereits deren Grundeinkommen und das ihrer Angehörigen finanziert. Da können die Beschäftigten nicht auch noch erwarten, mit 2.800 Euro (Durchschnittslohn) brutto nach Hause zu sehen. Wenn das so eintreten sollte, stellt sich ein psychologisches Problem ein. Das Grundeinkommen wird von den Arbeitnehmern als gegeben hingenommen. Aber der Stundenlohn für zusätzliche Arbeit sinkt dann meinetwegen auf 6 Euro (ca. 1030 Euro brutto im Monat). Viele Menschen werden damit ein Problem haben, weil sie doch dieselbe Arbeit verrichten, aber ihrer Ansicht nach schlechter dafür bezahlt werden. Das wird sich negativ auf die Arbeitsmotivation und die Arbeitsbereitschaft auswirken.
Bis hier sind das nur zwei Punkte, die ich angeschnitten habe. Oben im zweiten Absatz stehen aber noch weitere Forderungen, etwa nach einer Wertschöpfungsabgabe und nach einer (dringend notwendigen) Steuerreform.
Eine dritte Baustelle sind die Subventionen. Der Einfachheit halber orientiere ich mich dabei an dem Gliederungsschema bei Wikipedia. Danach wird unterschieden zwischen
a) Subventionen im engeren Sinne (Zuschüsse, Kredite, Bürgschaften)
b) Subventionen im weiteren Sinne (Beispiele)
- Ausfuhrerstattungen, bei denen für landwirtschaftliche Exporte die Differenz zu einem niedrigeren Weltmarktpreis ausgeglichen wird
- Steuerbefreiungen, z. B. für politische Parteien und für Mieten
- Steuerfreibeträge, z. B. bei der Einkommensteuer
- Steuerermäßigungen, z. B. reduzierter Mehrwertsteuersatz, haushaltsnahe Dienstleistungen
- Steuervergünstigungen, z. B. Investitionszulagen
Man kann hier weitere Punkte anführen, etwa die Förderungen beim Wohnungsbau oder Förderungen von Investitionen in Energiesparmaßnahmen (Solarenergie und andere). Die pauschale Forderung nach einem Abbau der Subventionen bedarf also immer einer Konkretisierung. Auch die vermisse ich oft.
Ich hätte gern gewusst, wie das alles unter einen Hut passen soll. Denn wenn man die Sache auf dem Reißbrett entwerfen will, dann muss sie in sich schlüssig sein. Ist sie das nicht, steht man vor unlösbaren Problemen. Denn eine Rentenreform schüttelt man nicht mal so eben aus dem Ärmel. Und man kann sie auch nicht einfach wieder rückgängig machen, wenn sie nicht funktionieren sollte.
Also etwas weniger Utopie und etwas mehr Pragmatik. Ich bin gespannt, was mir hier angeboten wird. Es dürfte jedem klar sein, dass es bei diesem Thema mit einer dreizeiligen Kurzantwort nicht getan ist. Da muss schon mehr kommen.
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