Handwerk vs. Handarbeit - warum so ungleich verteilt?

n8mahr

Captain
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Mir ist beim Durchsehen von Facebook (jedenfalls früher, nutze das schon länger nicht mehr) und auch anderen Nachbarschaftsforen folgendes aufgefallen:

Er werden sehr viele Handwerksleistungen angefragt und auch angeboten. Beispiele: Bretter sägen, Spiegel/Gardinen anbringen, Waschbecken abdichten, etc pp. Oder, wo wir schon hier bei den Techies sind, auch PC-Probleme lösen zähle ich im weiteren Sinne dazu.
Die Anfragen kommen überwiegend (so mein persönlicher, keine wissenschaftlich belegter) Eindruck von Frauen, die Angebote weit überwiegend von Männern.

Warum ist das so?

Blickwinkeländerung: Warum bietet kaum einer Handarbeitsleistungen an ODER fragt sie nach? Kleidung reparieren, Knopf annähen, Unterstützung beim Hausputz?
Das wird auch weder von Frauen noch von Männern oft angefragt. Lediglich "Reinigungskraft", dann aber immer gleich als Minijob.

Mein Gedanke dazu war, es ist Scham, denn nach "Knopf annähen" fragt man nicht. Warum eigentlich ?

Wie seht ihr das? Vielleicht ergibt sich ja hier ein konstruktiver Gedankenaustausch.

PS: mir ist klar, dass die Unterscheidung Handarbeit / Handwerk nicht ganz zutrifft, aber irgendwie fehlt mir der korrekte Oberbegriff.
 
Ich denke wenn mein Knopf angerissen ist, (und ich es selber nicht nähen kann) kann ich die Jacke noch zu einer Freundin/Mutti/Schneiderin tragen.
Das wird mit der Waschmaschine oder den Gardenien schwerer.

IMHO sind Klamotten auch meistens Wegwerfartikel. Wenn die kaputt gehen, kauft man eben etwas Neues. Fungiert die Kleidung auch als Erinnerungsstück, liegen die bei mir sowieso auf einem extra Stapel im Schrank.
 
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@Axxid du meinst also, es hängt hauptsächlich mit dem Preis für die Dienstleistung zusammen im Verhältnis zum Wert des Gegenstands zusammen?
Oder mit der transportierbarkeit? Weil, der Bohrer muss ja auch erstmal zur "Baustelle" kommen, da macht es vom Weg her keinen Unterschied, ob der Bohrer oder die Hose zur anderen Wohnung gebracht wird..
 
Ich meine das hängt zum größten Teil noch mit den Geschlechterrollen zusammen. Ich meine das absolut sachlich, mehr sag ich aber lieber nicht. ;-)
 
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@Binalog das ist vollkommen OK, mMn. Ich denke auch, dass es irgendwie auch damit zu tun hat. Daher meine Frage, ob es Scham ist, warum man das eine nachfragt, das andere aber nicht? Evtl sind das die anerzogenen Geschlechterrollen?
 
Ok, ich riskiere es. Vorweg: Ich bin älteres Semester.

Wenn bei mir ein Knopf lose ist, dann frag ich niemanden, auch nicht meine Frau. Wir haben Nähzeug, die Angelegenheit ist in maximal 5 Minuten erledigt.

Wenn gebohrt, gehämmert, gesägt, etc. werden muss, dann muss immer ich ran. Ich habe die Vermutung, dass dahinter eine ausgeklügelte Strategie des weiblichen Geschlechts steckt. "Frau" tut einfach so, als ob sie es nicht kann, dann macht es immer "Mann". Der "Frau" gefällt es dann, dass der wackere Recke mit der Säge in der Hand, die holde Maid aus der Not rettet und die Fingernägel heil bleiben.
 
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Kann ich so nachvollziehen. Bin ja selbst auch nicht mehr ganz frisch. 👨‍🦳

Aber : auch von jüngeren Generationen kommt da nix in der Richtung. Keine "Ich nähe Knöpfe an etc pp" Inserate. Hm!
 
wie meinst du das? Es gibt doch auch keine Bohr-app ?
 
Bezog sich auf die "jüngere Generation". Ich laufe Gefahr zu pauschalieren, aber m. E. machen junge Leute heute im handwerklichen/hauswirtschaftlichen Bereich tendenziell weniger als früher.
 
Das stimmt schon, aber auch bei Jüngeren ist die Verteilung von Angebot und Nachfrage ähnlich wie bei Älteren. Zumindest in Berlin, wo es wohl viele Alleinstehende gibt, die eben nicht mal eben Familie fragen können...
 
1. Einerseits ist es stumpfe Statistik. Männer sind in handwerklichen Berufen in der Überzahl. Das ist, zumindest für mich, nicht wirklich überraschend. Männer sind in der Regel "stärker" gebaut, weshalb schwierigere handwerkliche Anforderungen besser gedeckt werden können.

Eine Mischung aus klassischen Geschlechterrollen und biologischen Hintergründen.

2. Kleidung wird teilweise zum Wegwerfen produziert. Ganz nüchtern betrachtet: Warum sollte ein Konsument sich sein Hemd reparieren (lassen), wenn man für nen' 10er (bei den Billigheimern) ein Neues bekommt?

Ich sehe die "Schuld" nicht nur bei den Konsumenten, sondern auch generell beim Markt. T-Shirt sieht nicht mehr so schön aus? Ich habe einen neuen Lappen und kaufe mir für nen' 10er ein Neues, sogar aus Bio-Baumwolle.

10er ist sogar lustig. Bei Primark und Konsorten bekommst du doch sogar neue T-Shirts für 3,00 € oder so.

Wenn dir jemand einen Knopf annäht, wie viel willst du der Person dann zahlen? Einen Euro? Für einen Knopf und der Dienstleistung? Rein aus der Sicht des Marktes gesehen. Der Sprit zu dir hin dürfte schon mehr Kosten verursachen.

Ganz früher hat man seine Schuhe noch geflickt, weil man auch keine Neuen für 20,00 € bekommen hat und das Angebot auch überschaubar war. Dem Konsumenten blieb auch nicht viel anderes übrig.

Heute gehst du nach Deichmann und holst dir ein neues Paar für 20,00 €. Was soll sich der Konsument ne' halbe Stunde Zeit nehmen und sich das Ding flicken (lassen). Davon abgesehen, dass es heutzutage ja uncool wäre. ;) Gesellschaftsbild und so aber das ist ein anderes Thema.
 
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Naja, ich kaufe mir ja keine Billigklamotten, weil ich die eben NICHT gleich wegwerfen möchte..da lohnt sich das schon. und es ging mir ja gerade nicht um bezahlte Arbeit, sondern um "Gefälligkeiten", Nachbarschaftshilfe, .. wie man es auch nennt, jedenfalls ohne Bezahlung.
Ich würde jedenfalls kein Geld dafür verlangen, meinen Nachbarn den Spiegel an die Wand zu hängen, mal so als Beispiel.

Du meinst also, der Grund, warum man keine "Ich nähe, koche, bastle kostenlos" Angebote sieht, liegt daran, dass sich die Arbeit nicht lohnt? Mh.. ok.. das mag beim Socken stopfen ein Grund sein, aber beim Knopf annähen.. das dauert ein paar Minuten, bestimmt genau so lange, wie ich für einen Spiegel anbringen benötige.. und ist auch eine Dienstleistung, für die ein Schneider (zu recht) Geld verlangt.. 🤔
 
Viele Markenklamotten sind ebenfalls "Made in Taiwan" etc. aber ja: Ich verstehe, was du meinst.

Unentgeltliche Leistungen scheitern meiner Meinung nach an der begrenzten freien Zeit und an mangelnder Hilfsbereitschaft.

In meiner begrenzten freien Zeit möchte ich mich um mich und meine Familie und Freunde kümmern und nicht um "Fremde". Am Wochenende möchte man sich erholen und, naja, leben. Klar, eine kleine Gefälligkeit mache ich auch gerne. Unsere direkten Nachbarn kommen ab und zu uns und haben Fragen zu Smartphones, Telefonen, Internet etc. Wie oft war ich schon in deren Wohnung und habe getüftelt.

Aber extra eine Anzeige schalten? Beispielsweise auf Kleinanzeigen? Dafür habe ich nicht viel Zeit. Ich glaube, dass es vielen so geht. Privat auf Nachfrage würden viele Menschen helfen aber irgendwie geniert man sich vielleicht davor zu Fragen.

Zudem spielen hier auch die lokalen Gegebenheiten eine Rolle. Auf dem Dorf kennt man sich und packt zusammen an. In der Stadt hat man seine Anonymität und fast alle anderen Mitmenschen sind eher fremd, um es Mal platt zu formulieren.
 
du hast recht, es hängt von der Zeit ab, die man hat. Aber haben Spiegel-Aufhänger so viel mehr Zeit als Knopf-Annäher?
 
Skaiy hat aus meiner Sicht die zwei wesentlichen Aspekte genannt:

1. Stadt <> Land. Bei uns "auf dem Land" kennt und hilft man sich. Allerdings wenn gebohrt wird, dann machen das die Y-Chromosomen, jedenfalls ist das bei den ca. 10 Nachbarschaftsfamilien so, die wir näher kennen.

2. "Wert" der Sache. Ein neues Hemd kostet nicht viel, aber ein "offizieller" Handwerker zum Spiegel aufhängen? Zudem wird wohl kaum ein Handwerker ein Angebot für 5min Arbeit erstellen.

Dazu kommt noch:

3. Man benötigt Werkzeuge sowie etwas Übung damit. Mit einer Stichsäge zu hantieren ist nicht jederfraus Sache.

Wahrscheinlich wird man auch beim Heimwerken nicht um eine Frauenquote herumkommen.
 
Soweit ich das sehe, ist es ein grundsätzlich gesellschaftliches Problem. Wobei ich nicht sicher bin, ob es der Bezeichnung auch gerecht wird. 😕

In einem Wort, heutzutage gibt es "im Normalfall" den sozialen Zusammenhalt nicht mehr. Nachbar kennt den Nachbarn nicht mal, mit der Tasse rüberlaufen für ne Prise Zucker? Auf die Idee kommt nicht mal jemand. Wenn der Zucker fehlt, gibts den Lieferdienst.

Dazu mag kommen (oder nicht kommen) daß das Handwerk als solches im Gegensatz zur IT tatsächlich massiven Fachkräftemangel hat. Wie soll ich den Malermeister beauftragen, wenn es den A nicht gibt oder er B bis nächstes Jahr Dienstag ausgebucht ist? Und da die Allgemeinheit (mich eingeschlossen) zum Malern zu blöde ist, muß halt - in diesem Sinne -- ein "Käufermarkt" her. Das wäre das beobachtete Phänomen.

Zu, ich bleib mal bei dem Begriff, handarbeitlichen Dienstleistungen wurde ja schon das Wichtigste gesagt. Die paar Schneider, die ich kenne, sind samt und sonders Änderungsschneider. Und von denen gibts bestenfalls eine Handvoll und die (gefühlt) meisten von denen findest in der Nähe von größeren Klamottenläden oder Einkaufszentren, wo man hauptsächlich solche zu kaufen bekommt.

Knopf annähen? Gott behüte! Da kauf ich lieber die neue Hose und schmeiße die alte weg, und wenn sie nur ne Woche alt war. Dasselbe mit Schuhen, Shirts und was weiß ich nicht noch.

Kennt noch jemand Mister Minit? Das war exemplarisch.
 
Naja, ich denke, ihr hängt euch zu sehr an dem Begriff "Knopf annhähen" auf. Kommt davon weg, und nehmt andere Dinge, für die man KEIN schweres Gerät braucht und die nicht "traditionell männlich besetzt" sind. Ich habe weiter oben schon ein paar Beispiele genannt, und vielleicht fallen euch noch mehr Dinge ein.
PS: Mr Minit kenne ich :)

Binalog schrieb:
1. Stadt <> Land. Bei uns "auf dem Land" kennt und hilft man sich. Allerdings wenn gebohrt wird, dann machen das die Y-Chromosomen, jedenfalls ist das bei den ca. 10 Nachbarschaftsfamilien so, die wir näher kennen.
ist halt "traditionell" so.
Binalog schrieb:
2. "Wert" der Sache. Ein neues Hemd kostet nicht viel, aber ein "offizieller" Handwerker zum Spiegel aufhängen? Zudem wird wohl kaum ein Handwerker ein Angebot für 5min Arbeit erstellen.
Korrekt, aber anders herum, Handarbeit kann auch von - bis dauern. Und wie du schon sagst, es ist oft im Verhältnis zum Ergebnis zu teuer, genau so, wie ein Handwerker, der 100€ kosten würde, um einen 30€ Spiegel aufzuhängen.
Binalog schrieb:
Dazu kommt noch:
3. Man benötigt Werkzeuge sowie etwas Übung damit. Mit einer Stichsäge zu hantieren ist nicht jederfraus Sache.
Wahrscheinlich wird man auch beim Heimwerken nicht um eine Frauenquote herumkommen.
Ja, aber auch "typisch weibliche" Dinge erfordern Können. Schneidern, kochen, ... ich kann es nicht, müsste es üben. Davon abgesehen bin ich gegen Quoten.

Also fasse ich mal kurz zusammen:
1. Traditionelle Rollenbilder : Mann ist "Ritter", Frau "Prinzessin"
2. Traditionelle Interessen: Männer oft Handwerk und Technik, Frauen oft (keine Ahnung, bin keine Frau) Malen, Kochen, Dekoration, Schneiderei?
3. "Wert" der Arbeit; Kleidung reparieren lohnt nicht, im Gegensatz zu zB Elektrogerätereparatur. (Stimmt zwar nicht immer, einige Klamotten können mehr als ein durchschnittliches Mobiltelefon kosten, aber das ist ein anderes Thema..)

Das alles erklärt sicherlich zu einem Teil den Unterschied im Angebot / Nachfrage, aber nicht komplett mMn.
 
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n8mahr schrieb:
Kommt davon weg, und nehmt andere Dinge, für die man KEIN schweres Gerät braucht und die nicht "traditionell männlich besetzt" sind.
1. Kochen: Wenn ich etwas nicht kochen kann, gehe ich ins Restaurant. Auch wenn (zu) viel zu kochen waere, wuerde ich eher Freunde/Familie fragen, als mir jemand Fremden in die Kueche zu stellen. Das ist mit Freunden/Familie ja schon eine Belastungsprobe.
2. Waesche: bekomme ich etwas trotz Waschmachine und Fleckenpray nicht sauber, bringe ich es in eine Reinigung. Buegeln und Zusammenlegen laeuft unter "gut genug". Wobei das auch eher Fleissarbeiten sind.
3. Putzen: Wieder Fleissarbeit oder man bucht direkt eine Reinigungskraft.
4. Basteln: Basteln ist eine Freizeitaktivitaet. Es selber zu machen ist eben der Sinn dahinter. Ich kaufe ja auch keine fertig gebauten Lego-Sets oder Puzzles.

Ich denke der Unterschied ist, dass viele "weibliche" Taetigkeiten eben Fleisstaetigkeiten sind, die man(n) schon gut genug schafft. Eine Hilfe waere hauptsaechlich ein Zeitfaktor, wohingegen Handwerkertaetigkeiten schneller erledigt sind, aber etwas Erfahrung/Werkzeug benoetigen.
 
Weiß nicht, wenn bei mir irgendwas ist, lass ich schon jemanden kommen. Sei es das Anschließen eines neuen Kochfelds oder das Aufhängen einer Lampe. Ich trau mich nicht, in die Wand zu bohren. Außerdem hab ich nicht mal einen Bohrer.

Also alles was in Richtung Handwerk geht, da lass ich die Finger davon. Schäm ich mich nicht mal für, andere rufen halt jemanden an, wenn der PC verreckt oder das Smartphone lustige Sachen macht. Solche Dinge krieg ich halt ohne Hilfe auf die Reihe. So hat jeder seine eigenen Talente.

Bisher kam ich noch nie in die Verlegenheit, einen Knopf wieder annähen zu müssen. Aber selbst wenn mal einer vom Anzug abfliegen sollte, das krieg ich noch irgendwie hin. Knöpfe annähen haben wir beim Bund damals noch gelernt. Sah bei mir immer furchtbar aus, hat aber gehalten, ha!

Welche gesamtgesellschaftlichen Faktoren da nun dahinterstecken, keine Ahnung. Aber dass man für Kleinigkeiten nicht gleich jemanden einfliegen lässt, hat glaube ich vor allem praktikable und finanzielle Gründe.
 
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