Seit 2003 feiert sich die Spielebranche im Rahmen der alljährlich zum Jahresende stattfindenden Video Game Awards, kurz VGA. Die inzwischen zum Industriestandard herangewachsene Veranstaltung entwickelte sich zunehmend zu einem Format, das ähnlich der Oscar-Verleihung in großen Bildern und viel Opulenz zu schwelgen wusste. Dabei hatte die Festivität schon immer ein Problem damit, ein Gleichgewicht zu finden zwischen exklusiven Ankündigungen neuer Spiele, der Verleihung der begehrten VGA-Preise und einer unterhaltsamen und kurzweiligen Show. Kritiker brachten vor, dass die von Werbeblöcken zerstückelte Veranstaltung zu viel Zeit einräumte für B und C-Promis, die augenscheinlich keinerlei Ahnung der Materie aufweisen konnten, einem zu oft genauso ahnungslosen Gastgeber, der durch den Abend zu führen suchte, und völlig sinnfreien und kindischen Events, die wohl für gute Laune sorgen sollten. Fremdschämen war immer ein fester Bestandteil einer Sendung, die zu den "Großen" im Entertainment-Business gehören wollte und dabei daran scheiterte, erwachsen zu sein.
Dank dieser Schwächen durfte man also gespannt sein, als für dieses Jahr angekündigt wurde, dass man dieses Jahr die als VGX neu getaufte Veranstaltung einen völlig neuen Aufbau gönnen wollte. Drei Stunden werbefreie Zelebrierung der Videospiele, volle Konzentration auf Brancheninsider, die Entwickler, Neuankündigungen und natürlich die Preisverleihungen. Klang nach einem guten Vorhaben.
Die Halbzeit des Marathons war noch nicht erreicht, da fragte Gastgeber Geoff Keighley den anwesenden Chef von Nintendo USA, Reggie Fils-Aime: "Habt Ihr nicht noch irgendwas anderes zu zeigen?" worauf hin dieser etwas ungehalten antwortete: "Immer wollt ihr mehr, Du hältst Dich nicht ans Skript, was soll das?"
Ein Moment, der den Abend perfekt zusammenfasste.
Was als Genesung von den Problemen der Vergangenheit gedacht war, scheiterte vollständig. Man strich den opulenten Rahmen, die große Bühne, das Publikum. Wenn man so will all das, was die Veranstaltung groß gemacht hatte. Der zweite Preis, der an diesem Abend innerhalb der erste Stunde verliehen wurde, war bereits der zum "Spiel des Jahres". Als der Sieger Grand Theft Auto V genannt wurde, klatschten in der lieblichen Akustik einer Nachmittags-Trash-Talksendung des deutschen Fernsehens die gefühlt fünf anwesenden Zuschauer. Beim nächsten Preis klatschte außer dem Gastgeber niemand mehr. Konsequent strich man das Klatschen für die folgenden Preise vollständig. So sieht also die Zelebrierung eines in vieler Hinsicht beeindruckenden Spielejahres 2013 aus.
Positiv war, dass zahlreiche Branchengrößen und Repräsentanten diverser Entwicklerstudios einen Rahmen erhielten und etwa zehnminütige Gespräche auf der Couch führen durften. Wirkte alles ein bisschen wie eine überlange Folge von Gametrailers-TV, aber was soll's, es waren zumindest die richtigen Gäste. Blöd, dass eben zwar die Größe des Rahmens gestrichen worden war, dafür aber das Fremdschämen sorgsam konserviert wurde. Allem voran in Gestalt des Co-Gastgebers Joel McHale, der mit Penis- und Windelwitzen glänzte und so manchem Gast ein etwas betretenes Lächeln abringen durfte.
Die Show hatte maximal den Charme eines unausgegorenen Late Night Talks, die Preisträger hätte man dank des Fehlens jeglichen festiven Rahmens auch einfach ins Internet stellen können. Wie sah es also zumindest mit dem dritten Bestandteil, den Neuankündigen aus? Schließlich hatten in zurückliegenden Jahren solche Kaliber wie Bioshock: Infinite, The Last of Us, Batman: Arkham City und The Elder Scrolls V: Skyrim in der Show ihren ersten Auftritt.
Lara Croft kommt in der Tomb Raider-Portierung auf die NextGen Konsolen und hat nun eine viel bessere Haar-Simulation. The Division kann Schnee ganz toll zeigen. Reggie Fils-Aime, von zahlreichen Wii U Besitzern in Hoffnung auf endlich eintreffenden Spiele-Nachschub heiß erwartet, zeigte für Donkey Kong Country Tropical Freeze einen zweiten Charakter, Cranky Kong. Das gezeigte Material zu Dying Light hatte man zuvor schon so ähnlich auf YouTube gesehen. Zu Witcher 3, Destiny und South Park gab es (mal wieder) einen neuen Trailer. Angeblich spannend zu Broken Age: Elijah Wood ist ein Synchronsprecher. Über Quantum Break weiß man nun, dass es wohl ein Cover-Shooter mit Spezialkräften werden wird. Und zuletzt die "aufregende Enthüllung" zu Titanfall: Eine nie zuvor gezeigte Titan-Roboterklasse! Doch für Titanfall solle man dran bleiben, da kam am Schluss noch mehr: Noch eine nie zuvor gezeigte Titan-Roboterklasse!
Wer die letzte spannende Enthüllung live erleben wollte, musste sich aber zunächst durch ein knapp halbstündiges Live-Konzert des Grand Theft Auto V-Soundtracks quälen. Wer die Art der Musik mag, hatte sicher keine Einwände, aber es fällt schwer, sich nicht an den Gänsehaut hervorrufenden Moment zu erinnern, als bei den VGA 2010 Jose Gonzalez das Lied "Far Away" aus Red Dead Redemption auf der Bühne live vortrug. Hätte man nicht statt 30 Minuten GTA V auch die anderen Nominierten in der Kategorie "Bester Soundtrack" mit einer Performance würdigen und in Häppchen in die Show einfügen können? Gut, diese Idee ist auch wirklich so weit hergeholt, dass es dem Veranstalter verziehen sei, da nicht selbst darauf gekommen zu sein.
Ja, es gab auch die Enthüllungen von Spielen, die man nicht unbedingt kommen sah. Über Game of Thrones von Telltale Games war zuvor zwar schon gemunkelt worden, aber Tales from the Borderlands (auch von Telltale Games) kam wirklich aus dem Nichts. Und eine wirklich interessante Überraschung war das Science Fiction Erforschungsspiel No Man's Sky. Ein Indie-Spiel des 4-Personen-Entwicklungsstudios Hello Games, das angeblich irgendwie alles kann. Von beiden Entwicklern darf man aber nicht unbedingt behaupten, dass es sich um Titanen der Spielebranche handelt. Als große Vorlage für das kommende Jahr 2014, das Jahr der NextGen Konsolen, etwas dürftig. Es bleibt allein die Hoffnung, dass das für die nächsten zwölf Monate nicht alles war.
Man muss sich ernsthaft die Frage stellen, welchen Zweck diese Veranstaltung erfüllen sollte. Die Würdigung der teils großartigen Spiele aus 2013 war erbärmlich und unangemessen. Im Gewand einer Award Show war das einer Beleidigung nahe. Der überwiegende Anteil der "Exklusiven Enthüllungen" hätten bei Veröffentlichung im Internet ein paar tausend User zum Klick bewegt - mehr aber auch nicht. Und über die Unterhaltungs-Qualität der Show selbst ist bereits genug gesagt.
In dieser Form braucht unsere Branche die VGAs - oder meinetwegen jetzt VGX - ganz sicher nicht mehr.