EuGH-Urteil: Löschpflicht auch für „sinngleiche“ Hassbeiträge

Andreas Frischholz
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EuGH-Urteil: Löschpflicht auch für „sinngleiche“ Hassbeiträge
Bild: geralt | CC0 1.0

Wenn Plattformbetreiber wie Facebook auf rechtswidrige Inhalte hingewiesen werden, müssen sie diese löschen. Doch Gerichte können auch weitergehende Löschverpflichtungen auferlegen, hat nun der EuGH entschieden. So müssten die Plattformen dann auch ähnliche Beleidigungen suchen und entfernen.

Vorausgegangen ist eine Klage von der österreichischen Grünen-Politikerin Eva Glawischnig-Piesczek. Sie wollte erreichen, dass Facebook die Beleidigung eines Nutzers entfernt und zudem auch wort- und sinngleiche Beleidigungen löscht. Das Verfahren ging bis zum obersten Gerichtshof in Österreich, der 2017 den EuGH mit Prüfung beauftragte, ob so eine weitergehende Löschpflicht mit dem EU-Recht vereinbar sei.

Bei dem Verfahren vor dem EuGH handelt es sich um ein Vorabentscheidungsersuchen. Die EU-Richter urteilen also nicht im konkreten Fall, sondern klären für ein nationales Gericht, wie das EU-Recht auszulegen ist.

„Sinngleiche“ Inhalte automatisiert erfassen

Grundsätzlich gilt in Europa für Plattform-Betreiber das Hosting-Privileg. Das bedeutet: Die Unternehmen haften nicht für illegale Inhalte der Nutzer, wenn sie keine Kenntnis davon haben. Tätig werden müssen sie erst dann, wenn Hinweise erfolgen.

Der EuGH dehnt diese Regelung nun aus. Laut dem aktuellen Urteil haben Gerichte in den einzelnen EU-Staaten das Recht, nicht nur illegale Beleidigungen entfernen zu lassen. Sondern können die Hosting-Anbieter darüber hinaus auch dazu verpflichten, wortgleiche Beiträge zu entfernen, die zuvor als rechtswidrig eingestuft wurden.

Möglich ist außerdem noch das Entfernen lassen von Beiträgen, die sinngleich sind mit denjenigen, die zuvor als rechtswidrig eingestuft wurden. Selbst wenn die Formulierung abweicht, muss der Inhalt „im Wesentlich unverändert“ sein. Für die Praxis heißt das, dass soziale Netzwerke wie Facebook entsprechende Beiträge nicht per Hand prüfen müssen. Eine automatisierte Suche soll ausreichen. Konkret heißt es in der Mitteilung des EuGH: „So kann der Hosting-Anbieter auf automatisierte Techniken und Mittel zur Nachforschung zurückgreifen.“

Zudem haben die Gerichte in den EU-Staaten noch Spielraum bei der Reichweite der Löschpflicht. Möglich ist es demnach, Beiträge sogar weltweit aus den sozialen Netzwerken entfernen zu lassen.

Härtere Vorgaben als erwartet

Es ist ein Urteil, dass ganz sicher noch für einige Diskussionen sorgen wird. Vor allem weil es härter ausgefallen ist, als zuvor erwartet wurde. Wie Spiegel Online berichtet, gehen die EU-Richter sogar weiter als das, was der EU-Generalanwalt in seinem Plädoyer gefordert hatte. Wenn ein Unternehmen wie Facebook auch wort- und sinngleiche Kommentare löschen soll, gefährde das demnach die Meinungs- und Informationsfreiheit. Außerdem seien die Kosten für solche automatisierten Systeme nicht angemessen.

Facebook selbst bezeichnet das Urteil laut Spiegel als Schritt in die falsche Richtung. Es befördere Auflagen, die die Unternehmen zwingen würden, Inhalte der Nutzer proaktiv zu überwachen. Auch die weltweite Löschauflage wird kritisiert. Es verletze den Grundsatz, dass ein Land keinem anderen Land vorschreibe, wie die Meinungsfreiheit auszulegen sei. Glawischnig-Piesczek ist hingegen zufrieden. Es sei ein Erfolg für den Persönlichkeitsschutz von Betroffenen, die von Beleidigungen und Hassrede betroffen sind.

Bundesregierung will NetzDG verschärfen

Das Abwägen zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz bleibt also der heikle Punkt, der aktuell nicht nur Gerichte, sondern auch die Politik beschäftigt. So arbeitet die Bundesregierung derzeit an verschärften Vorgaben für soziale Medien. Wie die Süddeutsche kürzlich berichtet, lautet der aktuelle Vorschlag von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, dass soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und YouTube die gemeldeten Beleidigungen direkt an die Staatsanwalt übermitteln müssen. So habe diese mehr Zeit, um bei ermittlungswürdigen Fällen die Identität der Täter festzustellen. Im Kern läuft es also auf ein verschärftes Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) hinaus.

Bislang bestehe laut dem Bericht das Problem, dass die Ermittlungen oftmals zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Beleidigungen müssten von Betroffenen selbst angezeigt werden, erst dann folgen die Ermittlungen. Daher dauere es, bis Behörden bei den sozialen Netzwerken etwa nach IP-Adressen fragen. Teilweise wären die Daten dann bereits gelöscht, heißt es von Vertretern der Sicherheitsbehörden.

In diesem Kontext ist auch eine erweiterte Vorratsdatenspeicherung im Gespräch. Entsprechende Vorstöße hatte das Innenministerium lanciert, was ebenfalls den Kampf gegen Hasskriminalität im Netz verstärken will.

Was ist eigentlich eine Beleidigung?

Was aber bleibt, ist das Aufsehen, für das die Fälle immer wieder sorgen. Zuletzt war das bei Renate Künast der Fall. Sie wollte vor Gericht erwirken, dass Facebook die persönlichen Daten von 22 Kommentatoren herausgeben muss. Der Hintergrund waren Beleidigungen wie „Drecks Fotze“, „Geisteskrank“ oder „Alte perverse Dreckssau“, die sich auf missverständlich interpretierbare Äußerungen von Künast aus den 1980er Jahren bezogen.

Das Landgericht Berlin entschied allerdings, die Aussagen würden im „Kontext einer Sachauseinandersetzung“ stehen und wären daher noch zulässig. Ein Beschluss, der selbst Juristen erstaunte. Renate Künast hat mittlerweile Berufung eingelegt, Juristen wie Lawblogger Udo Vetter rechnen ihr dabei gute Chancen aus.

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