Abmahnwelle „Google Fonts“: Bundesweite Durch­suchungen und 346.000 € sichergestellt

Frank Hüber
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Abmahnwelle „Google Fonts“: Bundesweite Durch­suchungen und 346.000 € sichergestellt
Bild: oberaichwald

Seit Monaten sorgen Abmahnungen von Website-Betreibern wegen der „Google Fonts“ für Aufsehen, was inzwischen auch die Justiz beschäftigt. Im Verfahren gegen zwei Beschuldigte kam es deshalb heute zu Durchsuchungen in mehreren Bundesländern.

IP-Übermittlung in die USA sorgte für Abmahnwelle

Die Google Fonts sind ein Verzeichnis mit über 1.400 von Google bereitgestellten Schriftarten, die auf Websites genutzt werden können. Die Bibliothek ist frei verfügbar und die Schriftarten müssen nicht auf dem eigenen Server bereitgehalten werden, um sie zugänglich zu machen, sondern der Browser lädt sie beim Besuchen der Website direkt von Google. Dabei wird notgedrungen die IP-Adresse des Besuchers an Google übermittelt. Das Landgericht München hat mit Urteil vom 20. Januar 2022 (Az. 3 O 17493/20) entschieden, dass diese automatische Weitergabe der IP‑Adresse – also eines personenbezogenen Datenwerts – durch den Betreiber einer Website einen datenschutzrechtlichen Eingriff darstelle, in den der Besucher der Seite meist nicht eingewilligt habe. Ohne Einwilligung verstößt dies aber gegen die DSGVO. Der Unterlassungsanspruch eines „unbedarften Nutzers“ gegen die Website dürfe also tatsächlich bestehen und das Gerichtsurteil war so auch Auslöser für die Abmahnwelle aufgrund der Google Fonts.

Zahlungen, um Gerichtsverfahren abzuwenden

Den Beschuldigten wird vorgeworfen, bundesweit Privatpersonen und Kleingewerbetreibende, die auf die Google Fonts zurückgegriffen haben, unrechtmäßig per Anwaltsschreiben abgemahnt zu haben. Die Beschuldigten sollen eine Software eingesetzt haben, um Websites aufzuspüren, die die Google Fonts nutzen, die daraufhin von einer anderen Software automatisiert aufgerufen wurden, um den oben genannten Datenschutzverstoß zu erwirken. Diese Zugriffe wurden protokolliert und dienten als Basis für die Behauptung der datenschutzrechtlichen Verstöße und die Geltendmachung von Schmerzensgeldansprüchen. Um ein Verfahren zu vermeiden, wurde den Website-Betreibern die Zahlung einer Vergleichssumme von jeweils 170 Euro angeboten. Den Beschuldigten soll bei ihrer Masche bewusst gewesen sein, dass die behaupteten Schmerzensgeldforderungen wegen Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gar nicht bestanden haben und dass für die Angeschriebenen kein Anlass für einen entsprechenden Vergleich bestand, da sie die angeblichen Forderungen gerichtlich gar nicht hätten durchsetzen können.

Die Software hat keine Persönlichkeitsrechte

Da nämlich eine Software zum Einsatz kam und keine Person die Websites besucht habe, könne gar keine Verletzung von Persönlichkeitsrechten aufgetreten sein. Zudem sei der Besuch der Websites bewusst mit dem Ziel der IP-Übermittlung in die USA vorgenommen worden, woraus sich im Umkehrschluss eine Einwilligung in die Übertragung ableiten ließe. Die Androhung eines Gerichtsverfahrens soll daher nur mit dem Ziel erfolgt sein, Druck zu erzeugen und einen Vergleich zu erwirken.

Fast 350.000 Euro beschlagnahmt

Wegen des Verdachts des versuchten Abmahnbetrugs und der (versuchten) Erpressung in mindestens 2.418 Fällen wurden deshalb heute durch die Polizei im Auftrag der Staatsanwaltschaft Berlin Durchsuchungsbeschlüsse in Berlin, Hannover, Ratzeburg und Baden-Baden sowie zwei Arrestbeschlüsse mit einer Gesamtsumme vom 346.000 Euro vollstreckt. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft wurden bei den heutigen Durchsuchungen Beweismittel sichergestellt, die nun ausgewertet werden. Sie sollen unter anderem über die Anzahl, Auswahlkriterien und Identität, die tatsächlichen Umsätze und die genaue Vorgehensweise weiteren Aufschluss geben.

2.000 Abgemahnte hatten gezahlt

Der Staatsanwaltschaft Berlin liegen inzwischen 420 Anzeigen von Abgemahnten vor, die die 170 Euro nicht gezahlt haben. Verbraucherschützer, Anwälte und Wirtschaftsverbände gehen inzwischen auch gegen die Abmahnwelle vor. Die Kontounterlagen der Beschuldigten zeigen laut Staatsanwaltschaft aber auch, dass rund 2.000 Personen das „Vergleichsangebot“ aus Sorge vor einem Zivilverfahren angenommen und gezahlt haben. Hieraus ergibt sich die Summe von 346.000 Euro, die nun beschlagnahmt wurde.