1. Es wird nichts in Frage gestellt. Abbys Motivation ist Rache. Und nachdem sie damit abgeschlossen hat, die Rückkehr zu den Fireflies. Sie oder ihre z.T. ja doch besonnenen Freunde stellen nicht einmal die Frage in den Raum, ob nicht jemand anderes als ihr Vater einen Impfstoff finden könnte. Und das, obwohl Abby ja die Hoffnung, weitere Fireflies zu finden, bis zum Schluss nicht aufgibt! Weshalb? Niemand stellt sich diese Frage! Auch Ellie nicht, nachdem sie die Wahrheit erfährt. Sie wirft Joel vor, sie ihres Lebenswertes beraubt zu haben - und nimmt das einfach so hin??? Das hat mich wirklich verstört. Warum kommt NIEMAND in diesem ganzen Potpourri von Charakteren darauf, einen Neurowissenschaftler zu finden, der überlebt hat? Es geht mir gar nicht darum, dass die Story in diese Richtung hätte laufen müssen, aber dass es nie Thema wird, ist für mich einfach dumm. In Ellies oder Abbys Schuhen wäre das für mich ein ganz großer Antrieb!! Es würde Ellies Leben den Wert zurückgeben, es würde das Vermächtnis von Abbys Vater weiterführen. Beides wurde ihnen von Joel durch seinen Egoismus geraubt, den Charakter, den wir im ersten Teil so lieben gelernt haben. Was für eine Chance für beide!! Was für eine verpasste erzählerische Chance für diese Geschichte...
Was perfekt zum nächsten Punkt führt:
2. Die Hauptcharaktere reden nicht miteinander. Wobei, das stimmt nicht ganz. Die ganzen Joel/Ellie-Flashbacks sind gut und wirklich schön geschrieben. Aber sobald sich Ellie und Abby annähern, sind sie völlig blanke Charaktere, als wären sie unbespielte CDs. Abby WEISS ja sogar, wer Ellie ist - sie realisiert es, als sie zum Theater kommt. Ellie SAGT es ja sogar. Warum nimmt Abby sie nicht gefangen und zwingt sie, mit auf die Suche nach den Fireflies zu kommen? Was passiert stattdessen? Sie prügeln sich, bis Lev sagt "Hör auf." Dann geht Abby wieder. Sie geht einfach. Das kann ich einfach nicht nachvollziehen und ist für mich ein rein schreiberischer Aspekt, der nichts mit einer realistischen Charakterdarstellung zu tun hat. Der gleiche Fehler wird am Ende des Spiels wiederholt. Abby und Ellie hätten hier die Chance, nicht nur Schläge sondern auch verbal Wut auszutauschen. Das hätte für so viele Gefühle beim Spieler sorgen können... stattdessen wurde diese Gelegenheit VÖLLIG verpasst und so fühlt sich der Kampf einfach nur leer und dumpf an. Zumal er auch viel zu lang ist und z.T. nicht gut animiert wurde. Ich fand es ehrlich gesagt irgendwie lächerlich und auch schade.
Dazu passend:
3. Lev ist eine Notwendigkeit, aber nicht mehr. Er muss Abby stoppen, bevor sie Dina tötet, und er muss Ellies Erpressungsobjekt sein. Ansonsten erscheint seine Rolle nutzlos. Er macht auch keine nachvollziehbare Entwicklung durch. Bei Abby wie auch Ellie soll der Spieler sehen, was das Töten mit ihnen macht. Alleine schon bei Abby wird dieser Punkt verpasst. Der Spieler soll eine Beziehung mit ihr aufbauen, aber sie nimmt kaum eine Entwicklung. Sie bereut Joels Ermordung nicht (ist auch okay, aber sie fühlt sich deswegen nie offensichtlich schlecht), sie tötet im Handumdrehen ihre ehemaligen Freunde, sie war bereit dazu eine Schwangere zu töten - sie tut es nur wegen Lev nicht. Der im Grunde ihr einziger Nachweis ist, dass sie Schuldgefühle hat (Stichwort Traum). Ist schon nicht besonders gut gemacht, aaaber: Lev tötet seine MUTTER(!) und ist 5 Sekunden später wieder wie vorher. WTF? Seine Schwester stirbt. Dasselbe. Beide sterben übrigens WEGEN IHM! Weil er auf die Insel gefahren ist. Was für ein Dilemma, eine eigentlich spannende erzählerische Pointe. Aber hier ist das Spiel sooo inkonsequent und zeigt überhaupt nichts von Levs Seite. Lediglich, dass es Levs Rolle bloß als Träger für Abby benutzt. Was für eine bittere Degradierung eines eigentlich so interessanten Charakters.
Auch die Chance, ein Bonding der beiden zu erleben, als sie in Santa Barabara nach den Fireflies suchen, wird nur angekratzt. Ja, die beiden reden ein wenig vertrauter miteinander. Aber es ist nichts im Vergleich zu dem, was mit Joel und Ellie vorher passiert ist. Es muss ja auch nicht so sein, es sind ja völlig andere Charaktere - aber es wirkt einfach nur unzureichend umgesetzt, Naughty Dog hat bewiesen, dass sie es besser können, und das ist bitter.
4. Das Spiel will uns Abby sympathisch machen, indem es sie zu ihrem Vater sagen lässt: "Wenn ich das wäre, würde ich wollen, dass Du mich operierst." Diese Aussage ist völlig wertlos. Denn Ellie hat diese Chance nie bekommen - was ein riesengroßer Punkt in der Geschichte ist, aber nie geklärt wurde. Warum? Warum ist nie jemand auf die Idee gekommen, Ellie zu fragen, was SIE SELBST darüber denkt? Warum stellt sie niemand vor die Wahl, warum zeigt ihr niemand die Fakten? Warum Marlene nicht, die ja selbst den Vergleich anbringt sich wie ihre Mutter zu fühlen? Warum Abbys Vater, der behandelnde Arzt, nicht?? Warum kommt niemand dort im Krankenhaus auf die Idee "Warum wecken wir sie nicht wieder auf und lassen sie selbst entscheiden?" Haben die Fireflies Angst, dass Ellie 'Nein' sagt? Dann sollte man das so auch darstellen. Funktioniert aber leider nicht, wenn die Fireflies die 'Guten' der Geschichte sein sollen, hm? Fühlt sich unglaublich konstruiert an und macht mich wütend.
Auch hier wäre es einfach gewesen, es nachvollziehbar zu machen. Sie hätten einfach dieses Vorhaben planen und es Joel mitteilen können, dieser will die Gefahr, dass Ellie 'ja' sagt und stirbt aber nicht eingehen. Schwupps, Problem gelöst. Die Fireflies bleiben die Good Guys, Joel rettet Ellie bevor diese aus der Narkose aufwacht, belügt sie, und alles ist wie vorher. So bleibt ein unglaublich fader Beigeschmack und all das führt zu...
--> ... einem
Uncanny Valley-Effekt auf Story-Ebene. Naughty Dog hat es in TLOU1 wie vielleicht kein Team vor ihnen verstanden, Charaktere zu erzeugen, sie von allen Seiten zu beleuchten. Ohne schwarz-weiß, ohne blanke Eindimensionalität. Jetzt ist die Kehrseite der Medaille in TLOU2: die Charaktere sind zu wenig mehrdimensional um echt zu sein. Sie sind dann doch zu sehr vom Zweck der Story getrieben, erfüllen nur einen Effekt in der Geschichte. In jedem anderen Spiel wären es die vielleicht komplexesten Charaktere, aber hier nimmt man ihnen gewisse Handlungen einfach nicht ab. Weil wir davon ausgehen, dass sie sich Gedanken machen. Weil wir glauben, dass ein Mensch das tun würde! Diese z.T. Ignoranz gewissen Möglichkeiten gegenüber tut weh. Es passt nicht zu den Charakteren. Und es wird ihnen nicht gerecht.