Ich habe in den letzten 15 Jahren wohl einiges in der Welt von Warcraft erlebt.
Als Fans von WC3 haben mein Freundeskreis und ich damals als Schüler mit WoW angefangen. Kurz vor Ende der Open Beta haben wir hineingeschnuppert, das Inferno zum Beta-Ende miterlebt und beschlossen voller Hype, uns das Spiel zu besorgen.
Meine Freunde hatten Eltern mit Kreditkarten und konnten schon am 11. Februar starten, ich musste auf den Release der Gamecards am 14. März warten und zog nach. Da ich so begeistert von dem Spiel war und viel Zeit investierte, konnte ich schnell mit meinen Freunden gleichziehen und gemeinsam Abenteuer erleben.
Ich werde nicht vergessen, wie der Adrenalinspiegel stieg, als wir während einer Erkundungstour die Höhle von Ashenvale ins Steinkrallengebirge fanden und uns ungewollt mitten ins Hordengebiet begaben, wo wir unsere ersten PvP-Konfrontationen hatten.
WoW, mein erstes MMO, konnte mich insbesondere aufgrund der großen Welt voller Spieler fesseln, die alle ihre eigene Klasse spielen, sich zusammentun oder bekämpfen. Ich konnte beispielsweise zufällig jemandem zuhilfe kommen, der gerade einen etwas zu großen Pull gemacht hat, und dann im Chat einen neuen Freund gewinnen. Ich konnte einem Hordler in den Rücken fallen, welcher dann seine Freunde holte und ich als Schurke mich dann natürlich aus dem Staub machen musste. 😅
Man hat seine eigene Geschichte geschrieben und Erlebnisse mit anderen Spielern kreiert, die einfach Spaß machten.
Das Gameplay ging auch smooth von der Hand. Es war nicht ungelenk, sondern fühlte sich sehr intuitiv an, wenn man Zauber wirkte, durch die Gegend sprang oder sein Inventar sortierte.
Als ich vier Monate nach Release Level 60 erreichte, ging der Spaß aber erst richtig los. Wir hatten eine Gilde gefunden, die sehr bald ihren ersten Raid ansetzen würde, und so fanden wir uns in einem großartigen sozialen Gefüge wieder, einer Mischung aus Tryhards, lustigen Leuten und kreativen Köpfen, die Geschichten, Comics und Videos aus unseren Abenteuern machten. Auch in der Gilde gab es ein Oktoberfest-Treffen, aber da war ich mit meinen 15 Jahren noch etwas zu jung für.
Ich erlebte Molten Core inklusive sehr epischem Ragnaros Kill, danach BWL mit Nefarian-Kill - die Jubelrufe der Gildenmitglieder wurden auf Video festgehalten, beim AQ-Event haben wir uns mit der Server First Gilde zusammengetan und allesamt beim Farmen ausgeholfen. Auch AQ konnten wir clearen, aber bei Naxx hat es nur für zwei Flügel gereicht - danach gingen uns die Mitspieler aus. Als die Gilde so langsam auseinanderfiel, zu einer Casual-Gilde wurde und auch der Großteil meiner Freunde aufhörte, endete dann meine eigentlich allerschönste Zeit in WoW.
Zu Burning Crusade wurden Schamanen für die Allianz und Paladine für die Horde eröffnet.
Eines unserer Gildenmitglieder hat zu Release sofort einen Schamanen auf Allianz-Seite innerhalb von einer Woche hochgezogen, was die Aufmerksamkeit der serverbesten Gilden auf sich gezogen hat - natürlich mit Abwerbeversuch. Er meinte, er würde nur Gilde wechseln, wenn er ein paar seiner Gildenmitglieder mitnehmen dürfe. So kam ich dann in eine leistungsorientierte Progress-Gilde.
Im Schlangenschrein haben wir um ein paar Stunden den Server-First-Kill verpasst. Im Auge des Sturms hatten wir unseren First Kill, und bei Illidan waren wir auf Platz 3 oder so. In einer Progress-Gilde, wo jeder das Spiel sehr gut kann und ernst nimmt, geht natürlich immer was weiter. Obwohl der äußerst freundschaftliche, fast schon familiäre Umgang wie in meiner Vanilla-Gilde fehlte, waren auch hier die Leute allesamt sehr nett, hilfsbereit und wir hatten immer lustige Momente. Es war harte Arbeit und ein riesiges Zeitinvestment erforderlich, um Erfolge am laufenden Band zu haben, aber mein echtes Leben wurde nach und nach immer weiter vernachlässigt. Ich musste ein Jahr an der Schule wiederholen, "aber egal, ich hatte mein Tier 6 Set". Trotzdem habe ich meine Konsequenzen gezogen und zurückgeschraubt. Ich hörte gegen Ende von BC mit WoW auf.
Ein paar Monate später, zum Release der zweiten Erweiterung "Wrath of the Lich King", stieg ich mit meinen Freunden wieder ein, diesmal auf Hordenseite und mit der Prämisse, diesmal nicht so viel Zeit zu investieren wie damals. So spielte ich meinen Untoten Magier auf Level 80 und genoss das wunderschön umgesetzte Northrend. Ich hatte echt meinen Spaß am Spiel wieder gefunden, betrachtete es jedoch aus einem Casual-Blickwinkel ohne Leistungsdruck, wie es noch zu BC der Fall war.
Deshalb sah ich zu Wotlk-Zeiten auch nur Ulduar und die Prüfung des Kreuzfahrers von innen, den Lichkönig-Kill habe ich erst viele Jahre später nachgeholt. Ich genoss meine Zeit mit dem neu erschienenen Achievement-System, wo viele ulkige Erfolge dabei waren, aber auch viele Herausforderungen, wie z.B. die Dungeon-Erfolge mit einem Protodrachen-Mount als Belohnung.
Das ebenfalls eingeführte LFG-Tool, welches bis heute in Funktion ist, sah ich schon damals als Gut und Böse zugleich. Mir wurden die Mitspieler immer unbekannter. Zu Vanilla erkannte ich die Leute am Namen, teilweise am Equip von der Ferne. Jetzt geht man in die Gruppe, sagt sich "hi" und "ty bb" und das war's. Dafür ist es viel einfacher und geht schneller - daher "leider" die beste Methode, um mal eben einen Dungeon zu machen. Dass die Gruppensuche und das Anreisen zum Dungeon-Eingang als Teil der Erfahrung gestrichen wurde, störte mich anfangs nicht, später ging es mir zunehmend ab und ich war froh, dass es seit dem Einführen von Mythic-Inis wieder sowas wie Anreisen gibt - auch wenn die meisten sich immer noch teleportieren lassen.
Die langen Wartezeiten für DD-Klassen (wie meinen Schurken und meinen Magier) im LFG-Tool haben mich außerdem dazu verleitet, einen Todesritter als Twink hochzuspielen, um mal eine andere Rolle zu spielen, und zwar die des Tanks, was mir sehr viel Spaß machte.
Ich entwickelte so viel Freude am Todesritter, dass ich diesen zum Release der dritten Erweiterung, Cataclysm, zu meinem Main-Charakter machte - und das ist er auch heute noch. Ich fand es großartig, die alte, bekannte Welt in einer nun zunehmend zerstörten Umgebung wiederzufinden und die Ausmaße des Kataklysmus zu entdecken. Auch das Spiel selbst, also die Gebiete, das Quest-Design und die Instanzen machten weiterhin eine Menge Spaß. Ich sah jedoch keinen einzigen Raid von innen, da mich mein RL sehr beanspruchte.
Mit dem Panda-Addon war dann erstmal Schluss für mich, mir gefiel das Setting nicht und auch mein RL ließ das nicht zu. Ich begann gerade Vollzeit zu arbeiten, hatte viele Dienstreisen und einfach nicht die Zeit, noch WoW dazwischen zu spielen.
Auch das Draenor-Addon ließ ich vollständig aus. Das Orc-Setting aus Warcraft 1 war zwar recht spannend, aber man las nichts besonders Gutes über das Spiel - es gäbe zu wenig Content, und sogar dieser solle nicht besonders gut sein. Die Garnison mit ihrem Missionssystem erinnerte mich auch sehr an ein Handyspiel.
Die Vorstellung der sechsten Erweiterung, Legion, konnte mich jedoch ziemlich hypen. Mir gefiel das Konzept der Klassen-Artefaktwaffen (zumindest anfangs) und auch die Story um die Legion und Suramar, die gefallene Stadt der Elfen, übten auf mich eine ähnliche Faszination aus wie die Geschehnisse um den Lichkönig. Auch meine RL-Situation hatte sich ein wenig entspannt, also fasste ich einen Entschluss.
Ich startete mit dem Release von Legion wieder voll durch, fand mit meinem Todesritter-Tank schnell eine Gilde und wurde erstmal von vielen neuen Systemen überrumpelt. Mythic+, Artefaktwaffen, Klassenhallen-Missionen, Titanforging, skalierende Level-Gebiete... das Spiel hat sich über die Jahre einfach grundlegend verändert.
Trotzdem hatte ich meinen Spaß mit dem Spiel. Über die Jahre ist der eigene Charakter vom kleinen Postboten, der Eberfleisch von A nach B bringt, zu einer bekannten Größe aufgestiegen und kämpft Seite an Seite mit Khadgar, Illidan und Tyrande. Großartige, dramatische Storyereignisse mit Zwischensequenzen! Ich war begeistert.
Der während der Levelphase für zu einfach befundene Schwierigkeitsgrad wurde dann schnell in Mythic+ Dungeons wieder herausfordernd gestaltet. Jeder konnte auf seinem Skill-Level spielen und Erfolg damit haben - Blizzard hat es geschafft, Casual- und Progress-Spieler den gleichen Content erleben zu lassen. Ich dachte wehmütig an Vanilla-Naxx zurück, wo meine Gilde genau an diesem Spagat gescheitert ist. Nach dem smaragdgrünen Alptraum, dem ersten Raid-Dungeon, habe ich jedoch sonst keinen Raid gemacht. Ich war dennoch begeistert von Suramar und den verheerten Inseln. Großartige, durchdachte Gebiete mit viel Story.
Ich spiele zurzeit auch BFA, die aktuelle Erweiterung, aktiv und bin mit meinem Todesritter einer Gilde beigetreten, welche sehr freundschaftlich miteinander umgeht und auch RL-Dinge miteinander unternimmt. Wir sind aktuell dabei, den ewigen Palast (aktuelle Raid-Instanz) auf mythisch zu machen und sind gar nicht so schlecht unterwegs. Ich habe gar nicht mehr den Anspruch, so extrem wie früher zu spielen, aber ich glaube auch, dass mythisches Raiden um ein Vielfaches schwerer ist, als Raids es damals waren. Viele Design-Veränderungen (jede Klasse kann "alles"), sind der beste Indikator der straffen Raids: würden die Klassenunterschiede heute noch so groß ausfallen wie damals, wären viele Encounter nicht möglich.
Ich freue mich übrigens sehr auf Shadowlands und werde auch das spielen. Ich liebe es, wie Blizzard die letzten Jahre mit Sylvanas vorgegangen ist. Vom Aufstieg zum Kriegshäuptling, den man aufgrund ihrer Kraft und Direktheit respektierte, über immer fragwürdigere Entscheidungen bis hin zu ihrer Enthüllung im Saurfang-Film bzw. Shadowlands-Trailer. Großartiges Storytelling in kleinen, wohlportionierten Stücken, bei dem ich mich mittendrin fühlte.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich sozusagen mit WoW aufgewachsen bin und es mich, mit einigen Pausen dazwischen, immer irgendwie begleitet hat. Die Freundschaften, die ich schloss, die Menschen, die ich traf, die Erlebnisse, die ich hatte, all das hat wohl teilweise dazu beigetragen, wer ich heute bin.
Das Spiel selbst entwickelte sich mit den Jahren, und Entwicklung war notwendig, um das Spiel weiter mit Content zu befüllen. Das aktuelle WoW ist keinesfalls schlecht, sondern einfach nur anders. Während man Vanilla als einen Rohdiamanten definieren könnte, mit seinen Ecken, Kanten und unangenehmen Stellen, bietet BFA nun eine zurechtgeschliffene Spielerfahrung. Es mag Features geben, die einem nicht gefallen, aber wo gehobelt wird, fallen Späne, und ich denke, wenn man möchte, findet man durchaus Personenkreise und/oder Features, mit denen man viel Spaß haben kann. Immerhin hat WoW mehr Content als jedes andere MMORPG, und ich denke, es wird für jeden konkurrierenden MMO-Entwickler schwer, diesen massiven Vorsprung aufzuholen.
Aus diesem Grunde wunderte es mich nicht besonders, dass der Release von WoW-Classic mich völlig kalt ließ. Ich vermisse Vanilla-WoW auf keinste Weise - vermutlich aus dem einfachen Grund, dass die Leute von damals nicht wiederkommen werden. Weil es nicht mehr meine erste MMO-Erfahrung sein kann und daher die rosarote Brille nicht mehr so gut sitzt wie damals. Und natürlich, weil ich den ganzen Content schon vor 15 Jahren gesehen habe und ich lieber etwas Neues erlebe, als etwas Altes.
Deshalb, danke an Computerbase, dass WoW ein wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird.
WoW gibt es schon länger, als Duke Nukem sich in Entwicklung befand, das muss man ja auch irgendwie würdigen. 😜
Gruß,
Tend