Ausgepreßt und gefeuert
Niedriglohnjobs zerstören Körper und Psyche: Wie der Frankfurter Kerim S. krank und erwerbslos wurde
Von Gitta Düperthal
Er hatte geheiratet, war deutscher Staatsbürger geworden. Grundgesetz und Struwwelpeter bekam er zu seiner Einbürgerungsfeier im Kaisersaal des Frankfurter Rathauses geschenkt. Sie erhielten einen Ehrenplatz im Wohnzimmer. Weil er den europäischen Freigeist schätzte, war Kerim S. (Name von der Redaktion geändert) 2001 aus Algerien nach Deutschland gekommen. Doch jetzt, sechs Jahre später, nach einer üblichen Erwerbsbiographie im Niedriglohnbereich, ist der 36jährige körperlich und psychisch gebrochen: Leistenbruch, Bandscheibenvorfall, beide Kniegelenke kaputt, sein Vertrauen mißbraucht, seine Würde mit Füßen getreten.
Zahlreiche Leiharbeitsfirmen und Unternehmen im Billiglohnsektor in der Rhein-Main-Region hat er bereits durchlaufen. Unfreiwillig. Kerim S. ist ein bodenständiger Mensch; er schätzt es, in vertrauter Umgebung zu wirken, ist höflich, zuvorkommend, spricht fließend deutsch. Nichts wünschte er sehnlicher, als mit seiner Hände Arbeit einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten, in der er kulturell angekommen war. Doch dann mußte er erleben, wie ständig wechselnde Unternehmer das Äußerste verlangten: unbezahlte Überstunden, Nachtarbeit, harte Knochenarbeit bis zur Erschöpfung; Gebrechen verursachend. Menschliche Arbeitskraft als Wegwerfartikel.
Nach Phasen der Arbeitslosigkeit hatte er endlich wieder einen Job gefunden, bei Airport Personal Service GmbH (APS): Kerim S. war begeistert, am Rhein-Main-Flughafen zu arbeiten, und gab, wie auch sonst überall, sein Bestes. Im September 2005 hatte er die Arbeit noch im gesunden Zustand begonnen. Nach kurzer Zeit erlitt er als Gepäckdienstmitarbeiter einen Leistenbruch, mußte operiert werden. Ärzte der Fraport Personalserviceleistungen Gesundheit und Soziales schrieben: Aufgrund einer Erkrankung sei Herr Kerim S. nunmehr für leichte Tätigkeiten einzusetzen. Doch Udo Marquardt, Geschäftsführer der APS, zog es vor zu kündigen. Der Betriebsrat muß offenbar einverstanden gewesen sein. Im Schreiben der Geschäftsleitung hieß es: »Der Betriebsrat ist zu der Kündigung angehört worden. Er hat sich zu der Kündigung abschließend nicht geäußert.«
Halbwegs genesen, suchte Kerim S. wieder Arbeit. Die Suche gestaltete sich schwieriger. Es gab nun »ein Arbeitsvermittlungshemmnis«, wie es im Amtsjargon heißt: Er konnte nicht mehr schwer heben. Trotzdem fand er Arbeit, als Briefzusteller bei PIN Hessen. Auf ein Jahr befristet. Kerim S. trug Post aus, täglich mit dem Fahrrad von Frankfurt ins benachbarte Offenbach. Bald hatte er geschwollene Knie. Der Arzt untersagte Fahrrad- und Roller fahren, schrieb ihn krank. Doch Kerim S. fuhr weiter: aus Angst, den Job zu verlieren. Einige Male »durfte« er Auto fahren. Doch dann bedeutete ihm der Arbeitgeber, er müsse wieder ran. Sein neuer Arbeitsauftrag: Mit dem Roller täglich rund 50 Kilometer, von Frankfurt nach Hanau und zurück: Bei Regen und Kälte. Im Frankfurter Stadtgebiet wurden meist Deutsche eingesetzt. Nach einem Jahr wurde Kerim S. nicht weiterbeschäftigt.
Wieder arbeitslos. Bei Interschutz Süd, einem Werkschutzunternehmen, hieß es, Nachtdienste zu schieben. Mitunter brummte man den Kollegen Dienste auf, die um 15 Uhr nachmittags begannen und, mit wenigen Stunden Pause, bis zum nächsten Morgen um 4.30 Uhr andauerten. Dennoch war Kerim S. froh, einen Job zu haben.
Aufs Gemüt schlug ihm der Umgangston, bei allen Firmen ähnlich. Kein Danke und Bitte, kein Guten Tag. Irgendwann hieß es auch bei Interschutz: »Herr S., den Schlüssel haben Sie morgen in den Briefkasten zu werfen.« Schockiert spielte Kerim S. die Nachricht auf dem Anrufbeantworter seinen Freunden vor.
Was war geschehen? Gerade wollte er essen, sich ein wenig frisch machen vor der Nachtschicht: Da rief der Arbeitgeber an, und verlangte, er solle bereits eine dreiviertel Stunde früher als geplant, um 17 Uhr, anfangen und bis sieben Uhr morgens über die Autobahn fahren, von Werk zu Werk. Kerim S. war aufgeregt, tankte falsch, Benzin statt Diesel. Die Werkstattkosten, 271,14 Euro, zog die Firma vom Lohn ab. Für ständige Nachtdienste erhielt er einen Monatslohn von 737,80 Euro. Kerim S. fragte höflich nach, ob nicht ein Irrtum vorliege. Er nimmt Rechtsschutz bei der IG Metall wahr.
Von der europäischen Hochkultur ist er nicht mehr überzeugt. Öfter als zuvor geht er in die Moschee. Dort trifft er auf eine soziale Community. Und es gibt preisgünstig Essen.