Hickhack um EU-Verordnung für Netzneutralität

Andreas Frischholz
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Die EU-Kommission rudert bei den Plänen für die Netzneutralität-Regulierung zurück. In der letzten Woche sickerte ein Arbeitspapier durch, das Bürgerrechtler empörte, weil die Vorschläge der EU-Kommission nicht zu den Aussagen von Neelie Kroes passen.

Die EU-Kommissarin hatte in der Vergangenheit mehrfach zugesichert, die Netzneutralität per Gesetz zu garantieren und damit das offene Internet zu bewahren. Allerdings hat die Bürgerrechtsorganisation EDRi in der letzten Woche einen Entwurf für die entsprechende Verordnung veröffentlicht. Dieser entspricht weniger den Vorstellungen der Netzgemeinde, sondern vielmehr den Wünschen der Telekom. Diese dürfte äußerst zufrieden sein, wenn die kommende EU-Verordnung tatsächlich diesem Entwurf entsprechen sollte – das gilt insbesondere im Bereich der „Managed Services“.

Demnach sollen Provider die Möglichkeit haben, den Breitband-Kunden Tarife mit begrenzten Datenvolumen anzubieten, solange die Einschränkungen transparent dargestellt werden. Einzelne Internetdienste können davon ausgenommen werden und zudem ein besseres „Quality-of-Service“-Level erhalten. Dabei handelt es sich um die sogenannten „Managed Services“, bei denen der Traffic gegen Bezahlung mit einer höheren Priorisierung geliefert wird. Mit den Anbietern von Internetdiensten dürfen die Provider ebenfalls separate Verträge abschließen, um das verfügbare Daten-Volumen und die Traffic-Priorisierung zu regulieren.

Für Bürgerrechtler haben diese Pläne jedoch nichts mit Netzneutralität zu tun, sondern entsprechen ziemlich genau dem Gegenteil davon. So kritisiert Netzpolitik.org, dass der Entwurf den Exklusiv-Deal von Spotify und der Telekom im Mobilfunk-Bereich legitimieren. Bei Mobilfunk-Tarifen könnten weiterhin VoIP-Anwendungen, Filesharing und Instant Messaging in den AGB untersagt werden. Um das Verhalten der EU-Kommission zu beschreiben, vergleicht es EDRi mit Schrödingers Katze: Angesichts der Widersprüche in den öffentlichen Äußerungen von Kroes und dem Inhalt des Entwurfs wisse man nicht, ob die Netzneutralität nun tot oder lebendig ist.

Kritik erhält der Entwurf auch von der Opposition. Der Grünen-Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht bezeichnet die Pläne der EU-Kommission „als Sargnagel für den freien Datenfluss“. Zumindest ein Teil des Internets müsse beim Datenfluss vollkommen neutral bleiben. „In seiner jetzigen Form wäre das ein Bärendienst für die Netzneutralität und somit für die Bürger“, so Albrecht.

Ein interessanter Aspekt an dem Papier der EU ist, dass nicht nur die Bürgerrechtler und die Opposition über den laxen Entwurf empören, selbst die Bundesregierung übt Kritik, trotz der bisherigen Skepsis über eine gesetzliche Netzneutralität. Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) erklärte im Handelsblatt: „Das, was wir gesehen haben, reicht uns in Bezug auf die Gewährleistung der Netzneutralität nicht aus.“ Zudem hat er angekündigt, in Brüssel gegen die Pläne zu intervenieren.

Kroes hat mittlerweile auf die Berichte reagiert. Ihr Sprecher Ryan Heath sagte, der durchgesickerte Entwurf sei zwar echt, aber bereits zwei Wochen alt. Mittlerweile habe man diesen überarbeitet, die Verordnung soll sich an dem niederländischen Gesetz orientieren. Demnach dürfen Internetdienste aus wirtschaftlichen Gründen weder geblockt noch verlangsamt werden. An konkreten Details mangelt es aber weiterhin, weswegen immer noch Unsicherheit über die Managed-Service-Pläne der Telekom besteht.

Derweil hält Rösler an der Entscheidung fest, die Netzneutralität in Deutschland mit einer Verordnung anstatt eines Gesetzes zu sichern. Die ist zwar nicht so offen formuliert wie der Entwurf der EU-Kommission, hat im Prinzip aber dieselbe Kritik geerntet – dieser ist zu vage formuliert und Managed Services werden gestattet. Grundsätzlich zeigt sich bei der Diskussion um den EU-Entwurf erneut das Problem, dass bei dem Streit um die Netzneutralität zentrale Begriffe nicht präzise definiert sind. So verstehen etwa Internet-Anbieter wie die Telekom unter Netzneutralität grob formuliert, dass jeder Internetdienst gleich behandelt werden muss – es reicht also, wenn jeder Dienst für dasselbe Entgelt eine bessere Traffic-Priorisierung oder unbegrenztes Datenvolumen erhalten kann.

Kritiker bemängeln, mit diesen Plänen werde ein Zwei-Klassen-Internet geschaffen, was dem Ende eines freien und offenen Internets entspricht. Von Bürgerrechtlern wird die Netzneutralität vielmehr als „Internetneutralität“ interpretiert, bei der alle Daten gleich behandelt werden – unabhängig davon, ob es sich um klassische Internetdienste wie etwa Googles Video-Plattform YouTube handelt oder um Managed Services wie das IPTV im Entertain-Paket der Telekom.