Das Leistungsschutzrecht: Ein Boulevard der Broken Dreams

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Andreas Frischholz
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Denn sie wissen nicht, was sie wollen

Bei der Frage, was das Leistungsschutzrecht nun konkret für die Nutzer bedeutet, scheiden sich selbst unter Juristen die Geister. Beispielhaft steht dafür die Einschätzung von Adrian Schneider, Jurist für Medienrecht und Mitbegründer der Juristenplattform Telemedicus.

Die Bundesregierung hat damit das Kunststück vollbracht, ein Gesetz zu entwerfen, ohne sich eindeutig festzulegen, was es genau regeln soll.

Adrian Schneider

Die Folgen dieses „Kunststücks“ beschreibt der IT-Anwalt Jens Ferner. Die Ansprüche der Presseverlage beschränken sich zunächst auf gewerbliche Anbieter von Suchmaschinen oder Diensten, die „Inhalte entsprechend aufbereiten“. Google steht also im Fokus, im Vergleich zu älteren Entwürfen versucht man aber zumindest, die Kollateralschäden zu begrenzen. Private Nutzer sowie „Unternehmen, Verbände, Rechtsanwaltskanzleien und Blogger“ klammert das Gesetz aus, bietet juristisch aber dennoch einige Haken und Ösen.

Unklar ist etwa, ob soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter als Suchmaschinen-ähnliche Dienste eingestuft werden, erklärt Thomas Hoeren in einem Kurzgutachten (PDF-Datei). Eigentlich standen diese nicht in der Debatte, jedoch ist selbst die Bundesregierung keine Hilfe bei dieser Frage und verweist auf die Gerichte, die das Gesetz letzten Endes bewerten müssen. Auch wenn die Presseverlage bereits bei Blogs gezeigt haben, dass sie ihre Social-Media-Mühen nicht durch das Leistungsschutzrecht verderben wollen und deswegen eine Lizenzpflicht für soziale Netzwerke eher unwahrscheinlich erscheint: bis zu dem kommenden Urteil besteht Unsicherheit.

Müssen Blogger & Co. Angst haben für die Zukunft wegen dem hier geplanten Leistungsschutzrecht für Presseverlage? Ich meine, ganz vorsichtig, nein.

Selbst wenn Facebook und Co. im Ganzen nicht unter das Leistungsschutzrecht fallen, befürchtet Jens Ferner, dass der Entwurf dennoch für einige Nutzer von Social-Media-Diensten zum Verhängnis werden könnte. Je nach Rechtsprechung könnten einige Twitter-Kanäle und Blogs unter das Leistungsschutzrecht fallen, sofern deren Beiträge eine Art Presseschau mit zahlreichen Links auf Artikel der Verlage darstellen. Fraglich ist zudem die Einstufung von Facebook- oder Twitter-Kanälen, die von den Nutzern zumindest zeitweise für berufliche Zwecke verwendet werden – zum Beispiel bei Selbstständigen, die mit ihrem privaten Nutzerkonto auch Informationen über ihr Geschäft verbreiten. Sollten diese zusätzlich noch Abschnitte aus leistungsrechtlich geschützten Presseartikeln teilen, könnten sie nach der Ansicht von Ferner bereits als gewerbliche Anbieter interpretiert werden und wären damit lizenzpflichtig. Das juristische Zauberwort ist hierbei „gewerbliche Anbieter“, das bei Gerichten immer wieder für kreative Interpretationswut sorgt.

Die Logik, dass man sich auf Twitter keine Sorgen machen muss, weil es dort nur 140 Zeichen gibt, wäre m.E. aber verfrüht angewandt.

Jens Fener

Dass man auf einen Presseartikel verweist, bedeutet aber nicht, dass man zwangsweise unter das Leistungsschutzrecht fällt. Zitate sind gemäß des Zitatrechts erlaubt, ebenso wie einfache Links auf Presseartikel. Folgen auf die Links zusätzliche Angaben wie die Überschrift oder Textauszüge, so wie es beim Teilen von Artikeln auf Twitter oder Facebook üblich ist, könnte es allerdings schon wieder kritisch werden. In diesen Fällen ist die Länge der Textauszüge entscheidend, allerdings lässt sich derzeit nicht absehen, wo die Grenze liegt. Zwar sind „einzelne Wörter und kleinste Textausschnitte“ nicht durch das Leistungsschutzrecht geschützt, es existiert aber keine präzise Definition, was Spekulationen Tür und Tor öffnet – selbst Überschriften könnten bereits über das „Kleinste“ hinausgehen. Nutzer, die ihre Konten bisweilen beruflich verwenden, sollten also aufpassen, empfiehlt Ferner.

Klarheit werden erst Gerichte schaffen, doch selbst deren Urteile gelten nicht auf Dauer. Angenommen, die Richter interpretieren das Gesetz wie von den Verlagen geplant, dann sollten die sozialen Netzwerke derzeit nicht erfasst werden. Entwickeln die Betreiber aber neue Funktionen, die denen einer Suchmaschine ähneln, wären die Netzwerke juristisch wieder angreifbar. Technische Neuerungen können also entscheiden, ob ein Dienst unter das Leistungsschutzrecht fällt oder nicht. Gewiss, das ist alles „hätte, wäre, wenn“, solche Überlegungen verdeutlichen aber die vage Rechtslage.

Besonders relevant ist dabei die Frage nach der zulässigen Länge von Textausrissen, den sogenannten „Snippets“. Diese bestimmten den öffentlichen Streit zwischen den Verlagen und Google: Bereichert sich Google mit zu langen Textauszügen auf Kosten der Presseverlage?

„Snippets“ – Textausschnitte bei Diensten wie Google News
„Snippets“ – Textausschnitte bei Diensten wie Google News

Bei der Antwortsuche verwirrte der unklare Gesetzestext ohnehin, infolge der kurzfristig integrierten Ausnahme für „kleinste Textausschnitte“ mutiert die Interpretation aber endgültig zu einem juristischen Nebelstochern. Unter den Kollateralschäden leiden zunächst kleinere Internetdienste wie der Social-News-Aggregator Rivva. Aufgrund der Rechtsunsicherheit entschied der Betreiber Frank Westphal, zukünftig keine Snippets mehr auszuliefern, die finanziellen Risiken durch potentielle Abmahnungen sind zu groß. Der Frust sitzt tief, zum Gesetz findet er deutliche Worte:

Unzählige Programmierer haben unzählige Stunden damit verbracht, dieses Internet, mitsamt WWW und allem, ins Leben zu programmieren, „ohne je auf die Idee gekommen zu sein, dafür die Hand aufzuhalten.“ Auf Befürworterseite hatte man in puncto Leistungsschutzrecht oft genug mit diesem sogenannten „Geburtsfehler des Internets“ argumentiert. Dass jetzt Google der deutlichste Profiteur und deutsche Startups die deutlichsten Verlierer des heutigen Beschlusses sind, ist der Geburtsfehler dieses Gesetzes.

Frank Westphal, Rivva-Betreiber

Was Westphal als „Geburtsfehler“ bezeichnet, verdeutlicht aber vielmehr die unterschiedlichen Mentalitäten. Die Presseverlage hadern mit der digitalen Revolution, die geprägt ist von dem Ideal, das Wissen der Welt für jeden zugänglich aufzubereiten. Ausgehend vom Technologie-Biotop des Silicon Valley gründeten Netz-Avantgardisten Unternehmen wie Google, die Spielregeln im Internet festlegten und damit ein Freiheitsideal etablierten, das in der Tradition der Hippiebewegung steht. Während die Hippies aber an den bestehenden Institutionen scheiterten, setzten sich ihre digitalen Nachkommen durch – trotz Widerstand des Establishments. So zürnte etwa Mathias Döpfner, Chef vom Axel-Springer-Verlag:

Die verbreitete Gratiskultur im Netz ist ein Missbrauch der Freiheit, der die Freiheit selbst bedroht. Weil das Angebot schrumpfen wird und dadurch die Auswahl sinkt.

Mathias Döpfner, Vorsitzender Axel-Springer AG

Bedroht ist aber weniger die Freiheit an sich, es ist das klassische Geschäftsmodell der Verlage, das dem Untergang geweiht ist. Die Auflagen von Zeitungen und Zeitschriften sacken ab, die Werbeeinnahmen sinken ebenfalls. Darunter litten auch die Online-Geschäfte, die sich praktisch ausschließlich durch Werbung finanzieren – die Verlage schaffen es nicht, Online-Leser zum Bezahlen zu bringen. Gleichzeitig frisst die digitale Revolution ihre Kinder, Internetriesen wie Google sind eben nicht nur von digitalen Idealen geprägt, sondern auch von Aktionären und Investoren, die stetig wachsende Milliardenumsätze einfordern. Was auf wenig Gegenliebe bei Netzaktivisten stößt, den Bloggern und Bürgerrechtlern.

Hier zeichnen sich die Konflikte ab, die das Leistungsschutzrecht zu dem unausgegorenen Gesetz machen, das es ist. Für sich betrachtet ergibt das Gesetz wenig Sinn; der erschließt sich erst mit einem Blick auf die Entstehungsgeschichte, die Widersprüche und potentielle Folgen für den einfachen Nutzer offenbart.

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