Forza Horizon 3 im Test: Ein Herz für Loser

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Max Doll
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Hier fährt der Chef

Nachdem die Qualität des Titels unzweifelhaft freigelegt wurde, bleibt Zeit, sich im Detail mit Neuerungen auseinanderzusetzen, die nicht durchgängig unzweifelhaft gelungen sind. Eine Wesentliche davon ist die Position des Spielers, der das Horizon-Event nicht mehr als Teilnehmer, sondern als Veranstalter begleitet. Das bedeutet: Hier fährt der Chef persönlich, und der braucht keine Armbänder mehr um die pelzigen Extremitäten zu wickeln, sondern kann fahren, was und wann er möchte. Zumindest theoretisch, denn neue Veranstaltungen sind an die Größe beziehungsweise die Stufe der vier Festival-Orte gebunden, die wiederum von „Fans“ abhängt, welche durch Fahrmanöver und das Absolvieren von Veranstaltungen gewonnen werden müssen.

Straßen sind wie üblich nur Routenempfehlungen
Straßen sind wie üblich nur Routenempfehlungen

Neue Freiheit, altes Hamsterrad

Dementsprechend verändert sich der Spielverlauf. Statt im Pulk von Ort zu Ort zu fahren, schalten und walten Chefs nach Belieben, begleitet lediglich von unterhaltsamen Kommentaren einer Assistentin. Vorgaben entfallen durch die Neupositionierung des Avatars, nicht einmal mehr eine Bindung an Meisterschaften gibt es. Entscheidend ist nur noch das Wollen des Nutzers, der aus allen Veranstaltungen und Aktivitäten sowie allen Fahrzeugklassen jederzeit frei wählen kann. Das Versprechen „Spiel was du willst, wie du willst“ wird allerdings ein Stück relativiert. Denn an der Notwendigkeit, Credits zu verdienen, ändert die Führungsrolle nichts. Auch als Veranstalter, der im eigenen Jet anreist, müssen Autos erspart werden. Die Stufenaufstiege haben hingegen keine Bedeutung mehr und sind nur noch ein Vorwand, dem Spieler per Glücksrad, das nun bunter denn je blinkt, zufällige Belohnungen in die Hand zu drücken.

In Szene gesetzt werden Autos wie gewohnt erstklassig
In Szene gesetzt werden Autos wie gewohnt erstklassig

Insgesamt gibt sich Horizon 3 gerade im Bereich der Faszination Auto erheblich knausriger als sein Vorgänger und spart sich besondere Belohnungen für das Erreichen spielerischer Meilensteine. Credits und Autos als Belohnung? Weder für abgeschlossene Meisterschaften noch für das Beenden der letzten Schauveranstaltung winkt eine Würdigung fahrerischer Fähigkeiten, was besonders stört, weil die begehrenswertesten Autos mit heftigen Preisschildern versehen sind – nicht einmal das Cover-Fahrzeug winkt als Prämie.

Selbst die Scheunenfunde zünden nicht. Die Mehrheit der 15 Autos sind obskure (australische) Fabrikate oder Geländewagen geringen Wertes. Die Freude über einen Toyota Land Cruiser oder einen Reliant Robin, ein Dreirad, das in schnellen Kurven einfach umkippt, hält sich in Grenzen. Will sagen: Sie bleibt an der Startlinie stehen. Es fehlt folglich die Freude über einen seltenen, besonders exklusiven Fund, der zur sofortigen Probefahrt einlädt.

Weil Spieler nun Chef sind, fehlt zudem eine Art roter Faden. Das Festival auszubauen dient sehr unverhüllt der zielgerichteten Progression – „Spaß haben“ als Maßgabe ersetzt aber keine zumindest rudimentäre Rahmung des Geschehens, die das befriedigende Erreichen eines Ziels erlauben würde. Als „Progression“ werden lediglich sieben Showcase-Veranstaltungen vorgesetzt. Hier hat sich zudem gegenüber dem Vorgänger nichts getan. Die Inszenierung ist zwar etwas knackiger, die Blaupause gleicht sich jedoch bei fast allen Events sowohl in diesem Titel als auch im Vergleich mit den beiden Vorgängern.

Überall warten spaßig zu befahrende Gegenden
Überall warten spaßig zu befahrende Gegenden

Nach den ersten beiden Veranstaltungen dieser Art folgen daher keine Überraschungen mehr. Wie bei den Bucket-List-Herausforderungen, die ein wenig zu sehr an knackiger Schärfe eingebüßt haben, hätten die Entwickler gerne auch einmal Spielmechaniken auf den Kopf stellen dürfen. Kennt man eine, kennt man alle: Diese Formel ist, speziell über Serienteile hinweg, kein Garant für ultimative Unterhaltung – erst recht, wenn retrospektiv nur diese ersten beiden Rennen im Gedächtnis geblieben sind.

Frei Schnauze fahren

In dieser Hinsicht ist von Horizon also nichts zu erwarten. Stattdessen lässt sich feststellen, dass mit der Vergrößerung der Welt und der Möglichkeiten ein wenig die kreative Innovation verloren gegangen ist. Das soll jedoch nicht heißen, dass sich die Welt nicht genießen ließe oder grundsätzlich auf der Stelle treten würde. Dass Fortschritt nun an Fans gemessen wird, haben die Entwickler als Chance verstanden, eine Reihe Spielelemente aufzuwerten. Neue Anhänger gibt es nun auch für das Durchfahren von Radarfallen oder neuen Driftzonen, die in der offenen Welt auf Fahrer warten. Auch das Fahren im Konvoi zwischen einzelnen Veranstaltungsorten ist nun nativ eingebunden, weil sich andere Fahrer jederzeit per Hupen in einer Ad-hoc-Kolonne verpflichten lassen, was Boni auf Skill-Manöver gewährt.

Im Buggy durch den Dschungel: Das Setting bietet viel Abwechslung
Im Buggy durch den Dschungel: Das Setting bietet viel Abwechslung

Wer gerne im Verkehr fährt, kann diese Vorliebe zudem in nächtlichen Untergrundrennen ausleben, die zwar keine Fans, aber viele Credits einbringen und „Midnight-Battles“ freischalten – vier Veranstaltungen, in denen ein Gegner sein Auto wettet; eine hervorragende Gelegenheit, die neuen Bodykits unter anderem von Liberty Walk zu montieren, die aus einem Durchschnittswagen ein echtes Rennbiest machen. Auch hier versehen die Entwickler geschickt gewöhnliche Spielelemente mit einem Sinn. Teil des Untergrunds wird nur, wer eine gewisse Anzahl der Kopf-an-Kopf-Rennen auf der Spielkarte absolviert hat, zu denen sich umherfahrende Avatare anderer Spieler herausfordern lassen.

Ein Herz für Loser

Außerdem löst sich das Spiel endgültig vom Konzept des Gewinnens: Fans winken auch Fahrern, die Rennen auf den hinteren Plätzen beenden. Versager beziehungsweise tragische Helden dürfen ebenfalls Anziehungskraft entwickeln. Vorangeschritten wird im Spiel also bereits durch das Fahren selbst als zentrales Gameplay-Element. Was sich boshaft als „Casualisierung“ überschreiben ließe, führt allerdings dazu, dass bedenkenlos mit Parametern, Fahrhilfen und Schwierigkeitsgrad experimentiert und auch beim Fahren mehr Risiko eingegangen werden kann – eine spaßfördernde Maßnahme.

Nur die Großstadt wirkt etwas generisch
Nur die Großstadt wirkt etwas generisch

Die neue Freiheit erfasst auch Veranstaltungen selbst. Für jedes Rennen gibt es lediglich einen Vorschlag des Spiels, der Länge sowie anhand des gegenwärtigen Vehikels eine Fahrzeugklasse festlegt. Weil es aber unglaublich lästig ist, einen Asphaltkurs im klobigen Offroad-Jeep zu umrunden, kann auch mit Blaupausen anderer Spieler oder nach eigenen Maßgaben gefahren werden. Querfeldein-Kurse im Supersportwagen? Sind nicht sinnvoll, aber möglich. Ganz ausbalanciert sind die Drivatar-Kontrahenten dabei jedoch nicht: Sie sind nur abseits fester Straßen ein zäher Gegner, auf Asphalt hingegen das Rollenmodell linksschleichender Senioren, das bisweilen ein wenig zu offensichtlich Bonus-PS erhält oder vorbeiziehen lässt.

Das Fahren durch Pfützen ist eine der wesentlichen Neuerungen
Das Fahren durch Pfützen ist eine der wesentlichen Neuerungen

Ein Paradies für Autonarren

Auch die Reihenfolge der Veranstaltungen ist völliger Wahlfreiheit unterworfen. Dank einer riesigen Anzahl Events lässt sich auch die letzte Showcase-Veranstaltung freischalten, wenn sich Spieler lediglich auf ihre Lieblingstypen beschränken; nach dem finalen Duell warten noch immer etwa drei Viertel aller Veranstaltungen sowie Kooperativ– und Online-Modi. Es gibt also, ganz im Stil billiger Heimwerker-Werbung, immer etwas zu tun mit den eigenen vier Rädern. Rennen auf Rundkursen oder im Sprint, über Straßen, Feldwege oder querfeldein erstmals durch Wasser und Pfützen schaffen hierbei grundsätzlich eine überaus unterhaltsame Bandbreite in völlig unterschiedlichen Umgebungen, die alleine oder kooperativ unter die Räder genommen werden können. Hier sind die neuen Buggys mit entsprechend sprunglastigen Buckelpisten ein Heidenspaß, weil sie eine andere Herangehensweise nötig machen.

Auch bei Regen ist Australien hübsch anzusehen
Auch bei Regen ist Australien hübsch anzusehen

Und zwischen all dem, den neuen Freiheiten und der großen Welt, liegt der alte neue Reiz von Horizon. Wer sich dabei ertappt, einfach nur in der Welt herumzufahren, wer bemerkt, beim Fahren von A nach B permanent von verschiedenen Dingen spontan abgelenkt zu werden, die Welt auf neue Arten erkundet oder nur die Sicht genießt, das Geschwindigkeitsgefühl und den Soundtrack schätzt, stellt fest, dass der dritte Teil der Serie die Aspekte Sandbox und Fahrspaß am bislang besten umgesetzt hat – ein Gute-Laune-Simulator mit Festival-Atmosphäre in Dauerschleife, der auch nach dutzenden Stunden und dem Ende des Showcase-Bombasts nichts an Faszination eingebüßt hat. Der Verzicht auf Rahmung? Er ärgert, schmälert aber den langfristigen Spaß kein Stück.

Jetzt neu: Das Autocasino

Nagende Zweifel bleiben hingegen mit Blick auf die Progression beim Ausbau des Fuhrparks. Durch die gestrichenen Belohnungen wird das Element Zufall weit wichtiger. Hier lauert ein potenzielles Grinding-Hamsterrad, das angeheizt wird durch besonders gestaltete „Elite-Fahrzeuge“, die Boni auf Skill-Punkte geben und nur über das Glücksspiel beim Stufenaufstieg freigeschaltet werden können. Dass der VIP-Pass Credit-Belohnungen dieser Art verdoppelt, kann als ein Fingerzeig in Richtung einer möglichen Entwicklung verstanden werden.

Auch wenn es noch keine Mikrotransaktionen, ergo die Möglichkeit zum gezielten Kauf von Autos oder den „Spins“ als Ersatz für die Beutekisten anderer Titel gibt: In den letzten Forza-Titeln wurden die Kleinkäufe einige Wochen nach der Veröffentlichung per Patch scharf geschaltet. In Horizon 3 ist, aufgrund der besseren Basis zur Monetarisierung, von einer Wiederholung dieser Strategie auszugehen. Außerdem stört, dass die Option zum Abspielen eigener Musik ebenfalls Geld kostet. Die Nachfrage nach einem solchen Feature wird von Microsoft an ein Abo des Groove-Musikdienstes gekoppelt, das nach einer 14-tägigen Probephase 10 Euro im Monat kostet.

Anders gesagt beginnt der Fisch nach übermäßiger Kommerzialisierung zu riechen. Selbst mit dem VIP-Pass, den Microsoft Testern zur Verfügung gestellt hat, war nach Abschluss der „Rahmenhandlung“ nicht an einen Kauf in der teuersten Fahrzeugkategorie oberhalb einer Million Credits zu denken – natürlich auch, weil hier und da ein sportives Fahrzeug und ein ansehnlicher Fuhrpark mit schnellen, aber günstigeren Vehikeln gekauft wurden.

Quantitativ besteht hinsichtlich der Fuhrparkgröße, die ohne Weiteres M-BMW, AMG-Mercedes und Sportwagen vom Kaliber einer Corvette aufwärts umfassen kann, also kein Grund zur Sorge. Trotzdem stimmt dieser Punkt zwiespältig, weil Horizon 3 ohne den VIP-Bonus gefühlt ein wenig mehr zu „Grind“ auffordert als der Vorgänger, andererseits aber genug Spaß und Abwechslung zur Verfügung stellt, um diesen Punkt in Unterhaltung umzumünzen – sie ist nur nicht so wahlfrei, wie die Welt suggeriert. Zur Freizeitpark-Konzeption würde dennoch ein freierer Zugang zu Fahrzeugen weit besser passen.