Also ich mach mal ein Zwischenfazit:
Die meisten kommen mit einer festen Überzeugung in den Thread, die es zu verteidigen gilt, ohne jegliche Bereitschaft es auch nur für eine Sekunde in Erwägung zu ziehen, dass die eigene Haltung potenziell falsch oder zumindest inkonsistent ist. Dabei wurden häufig andere Aspekte in den Ring geworfen, die halt schlicht nichts mit der eigentlichen These zu tun haben. Die Teilnehmeranzahl, die die Prämisse wirklich verstanden und angenommen haben, lässt sich an ein paar Fingern abzählen. Und dabei hab ich
wirklich viel Raum zum Einhaken gegeben, aber der Reihe nach - ich geh mal auf die bisher relevantesten Punkte ein:
Ich betreibe Missionierung / Suche nach Zuspruch / Lasse keinen Einspruch zu
Das ist ein recht steiler Vorwurf, vor allem weil hier keiner weiß, wie meine ganzheitliche Haltung zum Thema Abtreibung eigentlich aussieht. Man vertritt in Debatten regelmäßig eine Position, der man eigentlich nicht zustimmt; Sicherlich ist das hier „nur“ eine Diskussion, aber deshalb nicht weniger Denksport, bei der man schwierige Fragen durchdenken und die eigenen Überzeugungen hinterfragen kann.
Zumal ich sowieso die Ansicht vertrete, dass wenn man eine feste Überzeugung von etwas hat, man die Argumente der Gegenseite genauso gut präsentieren können muss, wie die Gegenseite selbst. Kann man das nicht, hat man sie entweder nicht alle erfasst oder nicht in Gänze verstanden.
Solange ihr also nicht wisst, ob ich hier wirklich meinen persönlichen Standpunkt vertrete oder den Devil’s Advocate spiele, laufen solche Punkte gegen die Wand.
Männer dürfen nicht darüber diskutieren, weil sie nicht betroffen sind
Ziemlich hanebüchen, ich glaub das muss ich nicht breittreten. Wäre das wahr, dann dürften über die ethische Bewertung des Holocausts auch nur Juden und Nationalsozialisten sprechen, weil ja nur sie betroffen sind.
Nur die Frau darf im Bezug auf ihre Schwangerschaft Entscheidungen treffen, weil nur sie persönlich betroffen ist
Geht in eine ähnliche Richtung wie oben, und verkennt die Realität völlig. Wir entziehen Betroffenen in schwierigen Fragen regelmäßig das Recht selbstständig Urteile fällen zu dürfen, eben weil wir davon ausgehen, dass eine rationale Entscheidung aufgrund Befangenheit unmöglich ist.
Zeigt sich am besten in der Tatsache, dass Richter existieren: Diese müssen regelmäßig eine Bewertung von Verhältnismäßigkeit, Erforderlichkeit, guten Glaubens, Sitte, Anstand, etc. treffen. Und ihre Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit ist kein Fehler, sondern notwendige Voraussetzung.
Und das geht runter bis in die spontane Zwangsgewahrsam durch Selbstgefährdung.
Meine Punkte widersprechen der Wissenschaft
Haben wir nun wiederholt gehört, und können wir gerne drauf eingehen: Reicht bitte Quellen für diese Tatsachenbehauptung nach.
Die Anfangsthese mit den Axiomen ist absolut formuliert und deshalb für die Diskussion ungeeignet
Den Punkt finde ich mittlerweile sogar nervig. Ich habe „Wichtig“ extra fett markiert, damit klar wird, dass „grundsätzlich“ und „immer“ zwei sehr verschiedene Aspekte sind. Sport ist grundsätzlich gesund, mit schlechter Technik und zu hoher Last trainieren ist es aber sicherlich nicht.
Zumal das eigentlich auch die größte Hintertür (oder wohl eher das Scheunentor) ist, um meine These ziemlich kritisch anzugreifen. Einige haben da schon den Finger drauf, aber mmn. nicht konsequent genug dargestellt,
warum das ein Problem ist. Aber da komme ich noch zu.
Gesetze und juristische Formulierungen
Gesetze sind ein Produkt der Ethik, nicht die Quelle. Wenn man diese als Basis für moralische Vorstellungen nimmt, führt das nur zu einem Zirkelschluss.
Körperliches Selbstbestimmungsrecht
Selbst wenn man das als absolutes Recht anerkennt, kann man das Argument schlicht umkehren und die Frage stellen, warum ein ungeborenes Kind sein Leben lassen muss, um potenzielle gesundheitliche Risiken der Mutter zu vermindern.
Risikobehaftete Hilfe vs. Sichere Hilfe
Ich habe vorher das Beispiel mit dem Swimmingpool gebracht: Ist es ethisch vertretbar, ein Kind vor den eigenen Augen ertrinken zu lassen, obwohl man helfen könnte? Selbst als Schwimmer ist die Chance bei einer Rettungsaktion zu ertrinken größer 0%, ist das aber wirklich ausreichend?
Religion
Ich bin nicht religiös und beziehe mich auf keine theistischen Lehren.
Überlebenschancen außerhalb der Mutter / Inkubation
Wie schon erwähnt, kann die ethische Bewertung von einem Menschenleben nicht vom aktuellen Stand der Technik abhängig sein. Auf die Spitze getrieben ist dann nämlich eine Frühgeburt in Nigeria weniger wert als eine in Deutschland, weils nur mit hiesiger Technologie überleben kann.
Die befruchtete Eizelle fällt nicht unter „Leben“, wissenschaftlich erwiesen
Solch hochgradiger Quatsch, dass es nicht mehr lustig ist. Schlagt doch bitte das Wort „Nekrose“ nach, und stellt fest, dass es den Tod einzelner oder mehrerer Zellen beschreibt. Wenn einzelne Zellen sterben können, dann müssen sie vorher zwangsweise am Leben gewesen sein. Aber wir können uns auch eine
Checkliste fürs Leben vom Max-Planck-Institut besorgen, und schauen, ob diese Punkte auf eine befruchtete Eizelle zutreffen:
- Kompartimente (bestehen oder entstehen aus mindestens einer Zelle)
- Programm (Es existiert ein Informationsträger)
- Stoffwechsel (Metabolismus):
- Katalyse (Es laufen komplexe chemische Reaktionen ab, die Energie verbrauchen)
- Regulation (Energie- und Stofffluss)
- Wachstum
- Reproduktion (Programm, lässt sich vervielfältigen und an Tochterzellen vererben)
- Anpassung/Evolution: (Veränderung durch zufällige Mutationen im Informationsträger)
Und Schock schwere Not! Das trifft ja tatsächlich auf die Eizelle zu!
Man kann niemanden dazu zwingen sich für andere in Gefahr zu bringen oder zu opfern
Roter Hering der am Thema vorbei schwimmt. Wir diskutieren nicht, ob wir Frauen zum Austragen zwingen sollten, sondern ob Abtreiben unethisch ist. Ich persönlich finde ja Lügen unethisch, leitest du davon dann auch ab, dass ich alle dazu zwingen will immer die Wahrheit zu sagen?
Kritik an Axiom 1: Eine objektive ethische Beurteilung ist möglich
Da das nun wiederholt Thema war, führe ich es aus: Ich folge der Argumentation von Sam Harris, die er im Moral Landscape beschrieben hat. Stellt euch ein Universum vor, in dem alles, was in irgendeiner Weise empfindungsfähig ist, das größtmögliche Leid für die größtmögliche Zeit erfährt. Das ist objektiv schlecht, und es gibt konzeptionell nichts was schlimmer sein könnte. Wenn das
nicht schlecht ist, dann hat das Wort „schlecht“ keinerlei Bedeutung. Umgekehrt können wir sagen: Jede Veränderung dieses Zustandes, also beispielsweise, dass ein einziges Wesen kein größtmögliches Leid mehr ertragen muss, ist objektiv besser als vorher.
Und das reicht aus, um aufzuzeigen, dass objektive Werturteile möglich sind.
Abtreibungen sind im Kern „unsichtbar“, stören also die Umwelt nicht und haben keine äußeren Konsequenzen
Das könnte man aber genauso gut auf eine heimliche Schwangerschaft/Geburt anwenden, bei der die Mutter das Kind nach Geburt tötet. Denn ob vor oder nach der Entbindung, ein Wesen muss im Prozess sterben, damit es wirklich ohne externe Konsequenz bleibt.
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Und hier folgend die Argumente und Kontras, die ich eigentlich erwartet hätte. Einige wurden schon angeschnitten oder erwähnt, aber teils nicht fokussiert genug auf den Punkt gebracht (inb4 „genau das hab ich doch gesagt!“

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Fehlschluss / Voreilige Verallgemeinerung
„Menschen töten ist grundsätzlich unethisch“ lässt sich übersetzen in:
- Gruppe 1: Gruppe von Tötungsdelikten die ethisch vertretbar sind
- Gruppe 2: Gruppe von Tötungsdelikten die ethisch nicht vertretbar sind
Anzuerkennen, dass Föten Menschen sind, ist nicht ausreichend, um zu sagen dass das Töten selbiger grundsätzlich unethisch ist, denn sie könnten ja auch allesamt in Gruppe 1 liegen.
Ein konkretes Beispiel wäre: Menschen töten ist grundsätzlich unethisch, angreifende Soldaten sind Menschen, -> Angreifende Soldaten zu töten ist grundsätzlich unethisch. Was natürlich offensichtlich falsch ist.
Frage nach der Relevanz
Gegeben, dass man Abtreibungen als grundsätzlich unethisch anerkennt, fehlt die Gewichtung. Man kann beispielsweise felsenfest davon überzeugt sein, dass eine einzelne Ameise zu zertreten eine unethische Handlung darstellt. Da aber das „Gewicht“ des unethischen Verhaltens bei de facto null liegt, hat es keinerlei Relevanz für Menschen im Alltag.
Implizite Annahme eines gleichbleibenden Wertes
Ich habe den Wert des Menschen als Konstante angenommen, und viele haben den Punkt auch als Argument pro-choice benutzt, was mich ehrlicherweise überrascht hat. Ein viel stärkeres Kontra ist doch umgekehrt zu sagen, dass abseits vom Gesetz jeder Mensch eben nicht den gleichen Wert hat. Wenn man bspw. die Wahl hat, ein Baby oder eine 95-jährige Oma zu retten, dann wären die meisten intuitiv zu einem ethischen Urteil fähig.
Falsche Notwendigkeit: Grenze Zelle / Mensch
Ich habe unterstellt, dass wenn man eine Grenze zieht, diese begründbar sein muss. Das kann man angreifen. Beispielsweise wissen wir, dass ein 8 Jähriger ein Kind und ein 30 Jähriger ein Erwachsener ist. Aber wo ist die Grenze? Geschlechtsreife, Körpergröße, „geistige Reifheit“? Alles was wir haben ist eine willkürliche Zahl mit einer Menge willkürlicher Alternativen. Davon aber abzuleiten, dass wir ohne feste Grenze alle Kinder als Erwachsene betrachten sollten, ist natürlich Quatsch.
Biologisches Argument inkonsistent mit der Realität
Die meisten Argumente irgendeine Grenze als „richtig“ darstellen zu wollen halte ich immer noch für einen Kampf gegen Windmühlen, auch das Witzlose „es ist nur ein Zellhaufen“, ohne den Satz zu Ende zu denken. Was aber auf jeden Fall geht: Selbst wenn man akzeptiert, dass eine befruchtete Eizelle schon menschliches Leben darstellt, ist sie unbestreitbar in einem frühestmöglichen Stadium. Man kann da also durchaus reingrätschen und den Vergleich mit ähnlich „simplen“ Strukturen machen, die sich nicht groß von einer menschlichen Eizelle unterscheiden und wie man diesen ethisch bewertet.
…
Da gibt’s noch einige mehr, aber ich glaub das reicht auch erstmal mitm Roman. Wenn da einer was weiter ausbauen möchte; Bitte gern. Ich schau später mal, ob man den Karren für meine Anfangsthese noch aus dem Dreck gezogen bekommt.