Das Wirtschaftssystem Europas in der Neuzeit/Rennaissance/Industrielle Revolution

DeepComputer schrieb:
Nur dass die Moral zu dieser Zeit eine geringe Rolle spielte.
Dabei würde ich mir nicht so sicher sein.
Auch in der Renaissance spielten moralische Fragen durchaus eine große Rolle, nur waren die Bezugssysteme noch etwas andere (lokal, regional, religiös ... das nationale oder gar globale war noch lange nicht so wichtig wie heute) und auch die Werte waren nicht ganz mit unseren heutigen identisch.

Nimm zum Beispiel den Calvinismus ... wirtschaftlicher Erfolg ist ein Beleg für ein auch moralisch gottgefälliges Leben. Im Umkehrschluss wurde Misserfolg oder Armut auch auf ein wenig gottgefälliges Leben zurückgeführt ... denn Gott würde schon dafür sorgen, "dass die seinen ein gutes Leben führen können".

Da ist es relativ unerheblich, wie die Westindienkompanie in Batavia gehandelt hat, bzw. konnte es nicht wichtig werden, weil die Menschen hier halt eh nicht viel davon wussten und ihnen auch ziemlich egal war, wie es den Menschen geht, von denen man Gewürze kaufte. Man hat sogar eine bewaffnete Truppe aufgebaut, um sich Inselmonopole zu sichern, falls mal jemand lieber mit englischen, portugiesischen, arabischen oder chinesischen Händlern kooperieren wollte.
Hochgradig unmoralisch aus unserer heutigen Sicht (obwohl da auch "nur" nationale Wirtschaftsinteressen vertreten wurden) ... damals aber vollkommen OK.

Zusätzlich war auch die Konfession um einiges wichtiger ... z.B. das konfessionelle "Wir", der Christen vs. das der Muslime ... oder allgemeiner ... das "gläubige Wir" gegen die ungläubigen anderen.
Wenn man Moral an Religion oder bestimmrte Glaubensbekenntnisse (Konfessionen) knüpft, dann liegt die Frage nicht fern, ob moralische Grundsätze der eigenen auch auf die Anhänger anderer Religionen anzuwenden sind.
Es war eben moralisch wenig verwerflich, einen Ungläubigen, der sich nicht bekehren ließ, zu töten. Man sah das doch eher als "Erlösung von einem gottlosen Leben" ... das ist aus der damaligen Sicht beinahe eine gute Tat.

Heute geht die Forderung nach moralischem Handel eigentlich eher darauf zurück, dass der Kunde eine hohe Moral gepflegt sehen will und Vestöße gegen allgemein anerkannte Regeln daher auf Kosten des Firmenimage gehen könnten. Heute sind die Chancen, dass Verstöße öffentlich breitgetreten werden, sehr viel besser, als noch vor 300 Jahren ... und daher ist es natürlich auch für die Unternehmen wichtig, wenigstens ein Image zu pflegen, welches sie als moralinteger erscheinen lässt.
Ohne diese Öffentlichkeit wäre es heute sehr wahrscheinlich nichts anderes, als zum Beginn des Kolonialismus.
Moral wäre nur im Bezug auf das jeweilige "Wir" eine echte Frage.
 
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DeepComputer schrieb:
Mich interessiert die Frage - was hat sich ein Kaufmann von damals so erhofft, erwartet, erwünscht vom Handeln? Woran hat er geglaubt, wie hat er gedacht? Vielleicht sogar als Beispiel die Medici.
Über die Medici + Fugger & Co. gibt es eine Menge an guten Dokumentationen und Erzählungen, in die man sich einlesen kann.

Ich meine, eine hauptsächliche Triebfeder der damaligen Zeit war die gesellschaftliche Anerkennung, gab es doch feste Stände mit fast keiner Möglichkeit des ständeübergreifenden Aufstieges, es sei denn, man konnte ihn sich erkaufen, was nur sehr teuer möglich war.
Aus Gründen des gesellschaftlichen Aufstieges finanzierten die Fuggers/Medici usw. jeweilige Kaiser/Päpste, auch wenn sie wussten, dass dies kaufmännisch verlorene Gelder waren.

Es lief mangels grenzüberschreitender kaufmännischer Gesetze viel über die kaufmännische Ehre/Vertrauen, was den damaligen Handel sehr erschwerte.
 
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ThomasK_7 schrieb:
Ich meine, eine hauptsächliche Triebfeder der damaligen Zeit war die gesellschaftliche Anerkennung, gab es doch feste Stände mit fast keiner Möglichkeit des ständeübergreifenden Aufstieges, es sei denn, man konnte ihn sich erkaufen, was nur sehr teuer möglich war.
Anerkennung spielt auch heute noch eine große Rolle ... allerdings ist die Öffentlichkeit dabei heute weniger wichtig.
Für die Fugger, die Medici oder den Bürgermeister von Osnabrück war es damals noch um einiges wichtiger, dass die Leute wissen, wer sie sind, wer zu ihrer Familie gehört und vor allen, was die eigene Sippe für die Stadt tut.

In Augsburg gibts die Fuggerei ... eine der ersten Arbeitersiedlungen in Deutschland.

Die Medici sind uns heute nicht nur als Bankiersfamilie in Erinnerung, sondern ebenfalls als große Kunstmäzene ihrer Zeit. Unter den großen Künstlern der Renaissance finden sich nur relativ wenige, die NICHT mit den Medici zu tun hatten ... auch für die Päpste oder allgemein die Kirche haben viele von ihnen zwischenzeitlich gearbeitet.
Als freiberuflicher Musiker freue ich mich natürlich, wenn ich auf Betriebsfeiern, städtischen Veranstaltungen oder Gartenfesten bei "Reichen" oder für die Kirche spielen kann, das ist zwar meist totlangweilig bis peinlich, aber dafür stimmt die Gage.
Heute gibt es also noch die selbe Verbindung zwischen Kunst, Musik und Wirtschaft/Reichtum/Macht. Weil die Reichen und Mächtigen eben auch weiterhin repräsentieren müssen ... es ist nur nicht mehr so persönlich wie früher ... heute repräsentiert nicht Fr. Klatten sondern BMW ... man weiß halt, dass die Alte dahintersteht.
Die Superreichen halten sich recht gerne im Hintergrund.


Die soziale Durchlässigkeit ist heute um ein vielfaches größer ... im Grunde ist der amerikanische Traum (vom Tellerwäscher zum Millionär) heute zumindest in Deutschland für jeden möglich. Das war in der Rennaissance sicherlich etwas anders.
Das steife Sozialschichtsystem hat ja auch dazu geführt, dass man meist den Beruf des Vaters erlernte, um dann den Hof, die Schmiede, Töpferei, Mühle (what ever) oder eben das Kontor zu übernehmen.
Auch das Zunftsystem aus dem Mittelalter bestand ja noch eine ganze Weile fort ... und das bezog sich eben nicht allein aufs Handwerk.

Allerdings geht es hier ja nicht um die Frage, wie man Händler wird, sondern was die Motivation ist, wenn man bereits Händler IST. Ob die Gesellschaft heute durchlässiger ist, spielt für diese Frage keine so bedeutende Rolle.
Ehre, Berufsethos ... das alles sollte heute noch immer eine bedeutende Rolle spielen ... tut es aber scheinbar nicht so besonders oft, solange die Zahlen stimmen.


Man darf sich die Renaissance auch nicht als einen bestimmten Zeitpunkt vorstellen, an dem es "Puff" gemacht hat, und ab dem die Leute dann alles mögliche anders gemacht haben.
Die Renaissance reicht über mehrere Jahrhunderte und ist der Prozess einer "Wiederentdeckung" der antiken Welt des Mittelmeerraumes.
 
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