Ach, herrlich, ich liebe es, mit Menschen zu diskutieren, die einen Standpunkt vertreten, der dem Meinen diametral entgegengesetzt ist, und trotzdem ehrlich von ihm überzeugt sind.
Zum Thema Galilei: Das Zitat zeigt zwar seinen Standpunkt, dass nämlich die Geheimnisse der Natur zu tief seien um je gelüftet zu werden, aber - Galilei als Wissenschaftler in Ehren - dieser Standpunkt ist vollkommen unbegründet. Ich sehe den Sachverhalt etwas anders als Galilei. Mich umgeben keine Geheimnisse, die gelüftet werden wollen, vielmehr sind es Rätsel oder, besser noch, Aufgaben, die gelöst werden wollen. Alle Aufgaben oder Rätsel aber können gelöst werden - oder aber es kann nachgewiesen werden, dass es keine Lösung für sie gibt.
Man schau sich das hier an:
http://en.wikipedia.org/wiki/Hilbert's_problems#Table_of_problems Da haben wir eine hübsche Zusammenstellung von mathematischen Problemen. Als diese Zusammenstellung 1900 erstellt wurde, waren alle diese Probleme ungelöst! Man wusste nicht, ob eine Lösung bzw. ein Nachweis deren Unmöglichkeit je gelingen wird. Trotzdem war man mutig und hat diese Liste zusammengestellt. Anmerkung am Rande: "mutig", weil meiner Meinung nach viel Mut dazu gehört, sich eines Problems "offiziell" anzunehmen, das mit großer Wahrscheinlichkeit zu schwer ist, um gelöst zu werden, denn wenn man scheitert, muss man allen und vor allem sich selbst die eigene Unfähigkeit eingestehen. Das habe ich in letzter Zeit, da ich viel an meiner Facharbeit arbeite, oft an mir selbst merken müssen: Es gibt eine psychologische Barriere ein Problem zu formulieren und auf Papier zu bringen, bei dem man noch absolut im Dunkeln tappt. Hat man diese Barriere aber erst überwunden und es gewagt, das Problem exakt zu formulieren, findet man sehr oft eine Lösung - oder sieht eben ein, dass und vor allem
warum es keine Lösung gibt.
So, genug der Ausschweifungen.

Was ich eigentlich zeigen wollte: Es gibt zumindest in der Mathematik keine Geheimnisse. Es gibt nur gelöste, ungelöste und unlösbare Probleme. Jedes Problem fängt als ungelöstes Problem an und endet entweder als gelöstes oder als unlösbares Problem. Es ist wie ein PC-Spiel, wie diese Sidescroller-Weltraumshooter: Es kommen auf einen haufenweise feindliche Raumschiffe zu, die einen schießt man ab (=>gelöste Probleme), die anderen lässt man durch (=>nachweislich unlösbare Probleme). Es kommen zwar immer mehr neue Raumschiffe nach (=>ungelöste Probleme), aber irgendwann ist das Level zu Ende und alle Raumschiffe sind hinter einem - ob abgeschossen oder nicht. Und so werden auch alle mathematischen Probleme irgendwann in der Vergangenheit sein, für jedes Problem wird sich ein schlauer Kopf finden, der es löst oder die Unmöglichkeit der Lösung nachweist.
In der Physik bzw. auch in anderen Wissenschaften, die sich mit der Natur beschäftigen, sieht es etwas anders aus. In der Mathematik hat man es mit abstrakten Gebilden zu tun. Alles ist sehr vereinfacht und idealisiert. Man hat ein abgeschlossenes System, in dem alles schön nach den Gesetzen läuft, die man selbst definiert hat. Im Prinzip erforscht der Mensch da seine eigene Schöpfung - denn er und kein anderer ist der Schöpfer der Mathematik. In der Physik hingegen erforscht man eine "fremde" Schöpfung. Man hat ein Universum vorgesetzt bekommen und versucht zu verstehen, wie es funktioniert. Man kann nicht an den Naturkonstanten drehen und schauen, wie sich das Universum dann verhält. Man kann nicht die Zeit vor- oder zurückdrehen und schauen, wie es sich im Verlauf der Zeit entwickelt. Man kann nicht mal an eine andere Stelle des Universums gehen und schauen, wie es dort aussieht. Wir kleben hier an einem Ort und in einer Zeit fest, alle Parameter sind fest vorgegeben und wir können nur beobachten und auch das sehr eingeschränkt.
Dennoch ist es ein Rätsel und kein Geheimnis! Und das aus einem ganz einfachen Grund. Es ist vorhersagbar. Es verhält sich so, wie wir es von ihm erwarten. Ein Stein fällt immer auf den Boden, die Sonne geht jeden Tag auf. Alles ist vorhersagbar. Genau auf diese Vorhersagbarkeit können wir uns beim Lösen des Rätsels stützen.
Fortsetzung folgt.
Nun zu der Alternative, die du beschreibst. Zunächst mal zu dem Link. Ich hab den Text nicht ganz gelesen, weil er schon am Anfang offensichtlichen Mist verzapft. Die Fischblase zum Beispiel. Das Verhältnis des Rechtecks ist
nicht der Goldene Schnitt, sondern ein bisschen größer, nämlich sqrt3/1, also ungefähr 1,732; der Goldene Schnitt wäre aber (1+sqrt5)/2, also ungefähr 1,618. Das Rechteck begrenzt nämlich zwei gleichseitige (nicht nur gleichschenklige) Dreiecke, deren Seite jeweils dem Radius der Kreise entspricht.
Aber auch abgesehen von diesem Schnitzer gefällt mir der Gedankengang nicht. Es wird nicht argumentiert, sondern Postuliert. Nichts folgt aus dem Vorhergehenden, alles wird einfach so, ohne Zusammenhang niedergeschrieben. Es erinnert ein bisschen an Schulchemie: Man betrachtet zusammenhanglos irgendwelche Stoffe, ihre Eigenschaften, Reaktionen, Vorkommen, Nutzungsmöglichkeiten. Aber es gibt keinen roten Faden, keine Logik, die die einzelnen Stoffe miteinander verknüpft. Genauso werden hier irgendwelche Figuren genommen und ihnen werden grundlos irgendwelche mystische Eigenschaften zugeschrieben. Aber warum sollen zum Beispiel in der "Blume des Lebens" Informationen über das gesamte Universum gespeichert sein? Ich sehe da nur Kreise. Die Figur ist sehr einfach und symmetrisch und bietet deswegen einfach nicht den Platz um nennenswerte Informationen zu speichern.
Genauso die Behauptung, das Universum basiere auf der Geometrie und nicht auf Zahlen. Da kann ich mich dank meinem Facharbeitsthema fast schon als Fachmann bezeichnen.

Das Thema sind n-dimensionale Polyeder. Diese sind um Welten vielfältiger als diese zweidimensionalen Figuren. Dennoch lassen sie sich mithilfe von einfachen Tabellen (also im Prinzip allgemeinen Zusammenhängen von Zahlen) sehr schön beschreiben. Ich kann mithilfe einer kleinen allgemeinen Tabelle (je nach Dimensionalität des Polyeders natürlich) alle Polyeder eine gegebenen Dimensionalität beschreiben, setze ich eine Zahlenkombination ein kriege ich eine ganz bestimmte Polyederfamilie. Aus den Tabellen lassen sich Formeln herleiten, die für beliebige Polyeder gelten. Man kann mit Polyedern also rechnen, wie mit Zahlen. Ich kann zum Beispiel ein beliebiges n-dimensionales Polyeder nehmen, mit seinen Parametern eine bestimmte Operation durchführen und schon kriege ich eine n+1-dimensionale Pyramide mit dem ursprünglichen Polyeder als Basis. Eine andere Operation gibt mir ein n+1-dimensionales Prisma mit dem ursprünglichen Polyeder als Grund- und Deckfläche, eine dritte eine Bipyramide, usw...
Ich kann also diese gesamte Geometrie, die so mystisch anmutet, in Zahlen und Formeln fassen, die gesamte Vielfalt an Polyedern durch wenige Parameter ausdrücken. Und schon verschwindet der mystische Glanz und man kommt nicht mehr auf den Gedanken Polyedern irgendwelche mystische Eigenschaften zuzuschreiben - warum? wozu? - keiner kann es genau sagen, obwohl noch Platon seinen fünf platonischen Körpern die vier Elemente und das Weltall zugeordnet hat - vollkommen willkürlich und ohne jegliche Erklärung.
Der Widerspruch zwischen der Zweiteiligkeit und dem einheitlichen Ganzen ist sehr interessant. Ich habe mir noch nie wirklich Gedanken darüber gemacht und die Dialektik des Seins als gegeben betrachtet. Die Mathematik basiert auf ihr (Plus/Minus, mal/geteilt durch, Quadrat/Quadratwurzel), die Physik (kalt/warm, schnell/langsam, stark/schwach), die Psychologie (Liebe/Hass, Mut/Angst, Freigiebigkeit/Geiz). Die Zeit und der Raum haben auch ein Früh und Spät, ein Vorne und Hinten, Oben und Unten, Rechts und Links. Eine jede Dimension besteht aus zwei Richtungen. Eine Einheit kann nur nulldimensional sein, aber wo ist da die Vielfalt? Es ist ein Punkt ohne Ausdehnung... Ausdehnung impliziert ja schon eine Richtung, einen Vektor, der seinerseits einen Start- und einen Endpunkt hat, ein Vorne und ein Hinten. Wie soll denn eine "nicht-dialektische" Welt aussehen?
MfG Photon
