IFA 2016

Dieter Zetsche im Gespräch: Wie ein Mercedes-Benz zur autonomen Zeitmaschine wird

Nicolas La Rocco
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Dieter Zetsche im Gespräch: Wie ein Mercedes-Benz zur autonomen Zeitmaschine wird

Im Nachgang der IFA-Keynote „The car as a quality time machine“ von Mercedes-Benz hat sich Dr. Dieter Zetsche, Vorsitzender des Vorstands der Daimler AG und Leiter Mercedes-Benz Cars, in einem Roundtable-Gespräch mit Journalisten, an dem auch ComputerBase teilgenommen hat, über die Zukunft des Automobils unterhalten.

Das größte Upgrade in der Geschichte des Automobils

Vollständig selbstfahrende Autos werden das größte Upgrade in der Geschichte des Automobils sein.“ Mit diesen markanten Worten eröffnete Dieter Zetsche die Daimler-Keynote der noch bis zum 7. September in Berlin stattfindenden IFA 2016.

Selbstfahrende Autos geben ihren dann nur noch Mitfahrern die Freiheit, das zu tun, was immer sie möchten. Das Automobil entwickele sich deshalb zu einer „quality time machine“, wie Zetsche erklärte, und für Mercedes-Benz habe diese Umstellung schon vor langer Zeit begonnen. Dabei will das Unternehmen eine Balance zwischen Verantwortung gegenüber dem Fahrer und Geschwindigkeit der Markteinführung wahren. Kunden sollen Schritt für Schritt Vertrauen in die stufenweise eingeführten Assistenzsysteme entwickeln, bis das autonome Fahren nach SAE-Level fünf schließlich möglich ist. Beim aktuellen Stand der Autonomie sieht sich Mercedes-Benz als führendes Unternehmen. „Mit den Fahrzeugen, die man heute kaufen kann, sind wir da ganz eindeutig vorne“, sagte Zetsche im Gespräch.

Dr. Dieter Zetsche zur Keynote „The car as a quality time machine“
Dr. Dieter Zetsche zur Keynote „The car as a quality time machine“

Das komplette erforderliche Know-how für das autonome Fahren will Daimler bei sich im Haus entwickeln. „Wir streben ganz eindeutig an, dass wir im Haus, mit eigener Kompetenz, vollumfänglich das autonome Fahren Stufe fünf darstellen können und darstellen werden“, antwortete Zetsche auf die Frage, ob bei der Entwicklung autonomer Systeme zum Beispiel eine Kooperation mit Firmen wie Uber denkbar sei. Wie, wo und auch mit wem solche vollständig autonomen Fahrzeuge dann eingesetzt werden, da könne laut Zetsche dann aber auch ein Fahrdienst wie Uber ein Thema sein.

Der Produktname ist wichtig

Bei der Namensgebung des autonomen Fahrens müsse dem Kunden zunächst klar kommuniziert werden, genau welches System man diesem gemäß der fünf SAE-Level (PDF) überhaupt anbietet. Diese Fähigkeiten müssten dann auch bestmöglich im Namen des angebotenen Produkts reflektiert werden. Es sei laut Zetsche aber auch legitim, dass „bei Produkten, die man verkaufen will, auch das Marketing mitsprechen darf.“ Das soll aber nicht im Sinne der Irreführung des Kunden geschehen, sondern „im Sinne der freundlichen Verpackung dessen, was man zu bieten hat.

Zu den Assistenzsystemen der aktuellen E-Klasse der Baureihe 213 zählen unter anderem mit den Namen „Drive Pilot“ und „Lenk-Pilot“ vermarktete Systeme. Die Namensgebung des Lenk-Piloten, der aktuell noch über eine Hands-on-Detektion verfügt, war für ComputerBase im Test etwas irreführend, weil das System nur eingeschränkt assistiert und nicht vollständig das Steuer übernehmen kann.

Eben weil der Fahrer heutzutage – unabhängig vom aktivieren Assistenzsystem – noch voll verantwortlich für das Fahren ist, spielen die Themen Versicherung und Haftung bei einem Unfall mit einem teilautomatisierten Fahrzeug noch keine Rolle. Beim autonomen Fahren seien „sicherlich noch nicht alle Fragen geklärt“, so Zetsche, aber „im Grundsatz wird es wohl auf die gleichen Schemata hinauslaufen.“ Der Roboter, also das autonome Fahrzeug, müsse immer „State of the Art“ sein und im Sinne dessen „all das leisten, was man zu diesem Zeitpunkt in der Lage ist zu leisten. Was darüber hinaus passieren kann, ist dann im Zweifelsfall höhere Gewalt und nicht von einer Produkthaftung abgedeckt.“ Das sieht Zetsche allerdings auch selbst noch als zu vage Beschreibung, bei der Mercedes-Benz in Zukunft noch spezifischer werden müsse.

Das Auto wird zum Manager, Fitnesstrainer und Assistenten

Gemäß der Vision von Mercedes-Benz soll sich das Automobil in naher Zukunft zum Office-Manager, Fitnesstrainer und persönlichen Assistenten wandeln. Das alles sind Möglichkeiten, die sich erst durch den steigenden Grad der Automatisierung ergeben.

Im ersten Halbjahr des nächsten Jahres soll das sogenannte „In Car Office“ Einzug in die Modellpflege der C-Klasse halten, die im kommenden Jahr mit einem überarbeiteten Infotainmentsystem ausgestattet werden soll. Das In Car Office bringt zunächst Microsoft Exchange ins Automobil und kann zum Beispiel automatisch die Einwahl zu einer Telefonkonferenz vornehmen. Der Dienst erkennt zudem anstehende Termine und startet automatisch die Navigation zur hinterlegten Adresse. Außerdem schlägt das System mit Bezug auf gespeicherte Termine durchzuführende Telefonate vor und präsentiert dem Nutzer dafür eine intelligent ausgewählte, dynamische Anruferliste.

Das „In Car Office“ mit Terminplanung
Das „In Car Office“ mit Terminplanung

Microsoft Exchange ist erst der Anfang

Für Microsoft Exchange habe sich Daimler ganz einfach deshalb entschieden, weil die Office-Lösungen von Microsoft mit einem Marktanteil von 90 Prozent der logische erste Schritt gewesen seien, erklärte Zetsche auf Nachfrage von ComputerBase.

Wenn das Automobil erst einmal einen größeren Anteil des Fahrens selbstständig durchführt, gibt es keinen Grund mehr, warum nicht auch Videokonferenzen sowie Skype- und FaceTime-Anrufe im Auto abgewickelt werden können“, sagte Zetsche im Rahmen der Präsentation zur IFA.

Mercedes-Benz habe große Pläne mit dem In Car Office, darunter auch die Unterstützung von Googles Gmail, und will das stetig wachsende Sortiment an Anwendungen langfristig in allen Fahrzeugklassen des Konzerns anbieten. In China wird aktuell flächendeckend die Integration des Chat-Dienstes WeChat getestet. Umso mehr Arbeit man auf der Straße erledigen könne, desto weniger Zeit verbringe man im Büro, und dadurch „gewinne man gemeinsame Zeit mit den Liebsten“, so die Zielsetzung des In Car Office.

Gesünder aussteigen als einsteigen

Mit „Motion Seating“ will Mercedes-Benz im Bereich Gesundheit einen Beitrag leisten und den Sitz zum Fitnesstrainer machen. Polster und Lehnen sollen sich hin und wieder automatisch bewegen, damit der Körper nicht über mehrere Stunden in der gleichen Position gehalten wird. Das soll vor allem bei längeren Fahrten den Rücken entlasten.

Wir wollen, dass jeder Mercedes-Fahrer sein Fahrzeug in einer besseren körperlichen und mentalen Verfassung verlässt, als er eingestiegen ist“, sagte Zetsche auf der Bühne. Das „Motion Seating“ soll bestehende Funktionen wie Beleuchtung, Klimatisierung, Beduftung, Massage, Heizung und Musik ergänzen, die Mercedes-Benz unter dem Sammelbegriff „Active Comfort“ mit einem Knopfdruck zugänglich macht.

In Zukunft sollen darüber hinaus Sensorinformationen vom Auto selbst sowie von Wearables während der Fahrt erfasst werden, um die gesundheitliche und mentale Verfassung messen und entsprechend darauf reagieren zu können.

„Active Comfort“ mit einem Knopfdruck aktiviert
„Active Comfort“ mit einem Knopfdruck aktiviert

Concierge Service startet mit der neuen E-Klasse

Über den „Concierge Service“ als Bestandteil der Mercedes-me-Plattform kommt ein persönlicher Assistent ins Automobil, der Empfehlungen für Restaurants ausspricht und auch gleich die Reservierung vornehmen kann, Sehenswürdigkeiten empfiehlt oder Tickets für eine Show bucht. Im ersten Jahr der Nutzung ist der Dienst kostenlos, wie die Preisgestaltung danach aussehe, müsse laut Zetsche noch erörtert werden und hänge auch von der Attraktivität des Produktes für den Kunden ab. Welche Erlöse mit solchen Diensten potenziell erwirtschaftet werden können, sei noch nicht klar. Der Concierge Service kann über das Infotainment des Automobils oder die Mercedes-me-App aufgerufen werden und ist erstmals in der neuen E-Klasse verfügbar. Für weitere Modelle, auch für bereits heute verkaufte Automobile, soll der Dienst folgen.

Für solche einzelnen Softwareumfänge, und „nächste Level, die weiteren Fortschritt in der Entwicklung repräsentieren“, will Mercedes-Benz Over-the-Air-Updates anbieten. Für Kartenmaterial sind solche drahtlosen Updates nicht mehr nur in der Planung, sondern bereits in der Umsetzung. „Updates, die in die Grundfunktionen des Fahrzeuges eingreifen und damit potenziell das Risiko erhöhen können, dass das auch Dritte mit anderer Zielsetzung tun können“, so Zetsche, sollen hingegen nicht Over-the-Air durchführbar sein.

Höheres SAE-Level kommt nicht per Software-Update

Ein tiefgreifendes Software-Update für die aktuelle E-Klasse, das das Fahrzeug vom aktuellen SAE-Level zwei um die Fähigkeiten des in Nevada eingesetzten, autonomen Versuchsträgers ergänzt, schließt Zetsche deshalb aus. „Das Fahrzeug, das sie heute oder gestern gekauft haben, wird in dieser technisch das Fahren bestimmenden Funktionalität in einem Jahr nicht anders sein.“ Auf eine vollständig neue Fahrzeuggeneration müssen Kunden aller Wahrscheinlichkeit nach aber nicht warten: „Wenn sie in einem Jahr oder zwei oder gar bei dem Facelift die E-Klasse dieser Generation kaufen, dann kann diese durchaus einen Schritt weiter gegangen sein, aber nicht im Sinne von Flashen und nachträglichem Update – bisher zumindest.

Dr. Dieter Zetsche mit neuer E-Klasse im Hintergrund
Dr. Dieter Zetsche mit neuer E-Klasse im Hintergrund

Over-the-Air-Updates sollen bei Mercedes-Benz grundsätzlich nur von einem eigenen Server beziehungsweise Back-End des Konzerns stattfinden können, Drittparteien sind somit ausgeschlossen. Obwohl Assistenzsysteme teilweise von Zulieferern stammen, will Daimler auch hier die Cyber-Sicherheit feste in eigener Hand haben. „Mercedes-Benz hat konzeptionell, bei den Algorithmen und der Grundsoftware der Komponenten die absolute Entwicklungshoheit und Führung“, erklärte Zetsche.

Das Paket aus Software und Hardware ist wichtig

Wann schließlich das erste autonome Fahrzeug bei Mercedes-Benz vom Band rollen wird, dazu gab es keine konkreten Angaben. „Wir wissen nicht genau, wie das Automobil in zehn Jahren aussehen wird.“. Software alleine werde aber niemanden von A nach B bringen, was auch als Seitenhieb in Richtung Tesla interpretiert werden kann, die ihren „Autopiloten“ für 3.900 Euro als Software-Update nach der Fahrzeugauslieferung freischalten. Das komplette Paket sei stattdessen ausschlaggebend für den Erfolg.

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