Level-3-Fahren mit 130 km/h: Mercedes gestaltet nächste ODD für Drive Pilot aus

Nicolas La Rocco
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Level-3-Fahren mit 130 km/h: Mercedes gestaltet nächste ODD für Drive Pilot aus

Hinter den Kulissen laufen bei Mercedes-Benz die Arbeiten an der nächsten Ausbaustufe des Level-3-Systems Drive Pilot, mit dem die Fahraufgabe vollständig an das Auto abgegeben werden kann. Hintergrund ist die Erweiterung der UN-Regelung Nr. 157, die solchen Systemen bis zu 130 km/h anstelle der bisherigen 60km/h erlaubt.

Mercedes-Benz ist der weltweit erste Automobilhersteller, der mit dem Drive Pilot (Test) ein nach Level 3 arbeitendes Assistenzsystem anbietet, bei dem der Fahrer die Fahraufgabe vollständig an das Fahrzeug abgeben und sich ganz legal mit anderen Dingen wie Filmen, Spielen oder Browser und E-Mail beschäftigen darf.

Drive Pilot ist bislang ein Stauassistent

Die bislang angebotene Version des Drive Pilot ist auf Autobahnen in Deutschland und eine Geschwindigkeit von maximal 60 km/h beschränkt, was das System weniger zu einer dauerhaften Unterstützung, sondern eher zu einem Assistenten für Stau und zähfließenden Verkehr macht. Höhere Geschwindigkeiten waren bislang allerdings auch nicht möglich, denn die UN-Regelung Nr. 157 für die Freigabe entsprechender Systeme legte das Tempolimit bislang auf 60 km/h fest.

Erweiterung auf 130 km/h und Spurwechsel

Eine im Juni durch die UNECE beschlossenen Erweiterung der Regelung, die im Januar 2023 in den bislang teilnehmenden Ländern, darunter auch Deutschland, in Kraft treten wird, sieht jedoch eine Anhebung der Geschwindigkeit für sogenannte „Automated Lane Keeping Systems“ (ALKS) auf 130 km/h vor. Darüber hinaus sollen künftig auch Spurwechsel von den ALKS durchgeführt werden dürfen. Damit steht entsprechenden Assistenzsystem eine deutliche Erweiterung bevor, die eine praktisch dauerhafte Nutzung auf Autobahnen mit Richtgeschwindigkeit ermöglichen würde.

Drive Pilot benötigt neue Operational Design Domain

Für den in der S-Klasse und im EQS zur Verfügung stehenden Drive Pilot, der seit dem 17. Mai als Sonderausstattung angeboten wird, steht die Erweiterung der Regelung allerdings nicht automatisch für eine Erweiterung der Fähigkeiten von 60 auf 130 km/h. Ausschlaggebend ist zunächst einmal die Definition einer neuen „Operational Design Domain“ (ODD), also der Bedingungen für die Nutzung des Drive Pilot, bevor eine erneute Zulassung durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) notwendig wird.

Bei der aktuellen Version des Drive Pilot sind Bestandteile der ODD unter anderem die Nutzung nur auf der Autobahn, das Tempolimit von 60 km/h, die Nutzung ausschließlich bei Tag und trockener Strecke, vom System erkannte Fahrbahnmarkierungen und ein vorausfahrendes Fahrzeug, das als ein Indikator einer Stausituation registriert wird. Es ist für die Aktivierung des Systems nicht ausreichend, einfach nur die Geschwindigkeit auf maximal 60 km/h zu reduzieren.

System „gegebenenfalls“ erweiterbar

Damit der Drive Pilot bei Geschwindigkeiten von über 60 km/h sicher funktioniere, werde es notwendig sein, das System auf die neue ODD anzupassen, erklärte ein Sprecher für Autonomes Fahren von Mercedes-Benz auf Nachfrage. Diese Veränderungen würden eine erneute Zertifizierung seitens des KBA mit sich ziehen. Die Systemarchitektur sei allerdings so ausgelegt, dass der Geschwindigkeitsbereich „gegebenenfalls im Rahmen von Weiterentwicklungen angepasst“ werden könne.

Die Sensorik des EQS mit Drive Pilot
Die Sensorik des EQS mit Drive Pilot

Was das konkret im Detail für derzeitige Besitzer einer S-Klasse oder eines EQS mit Drive Pilot bedeutet, dazu konnte sich der Hersteller noch nicht äußern. Ob die Investition von mindestens 5.950 Euro eines Tages das hochautomatisierte Fahren nach Level 3 mit bis zu 130 km/h beherrschen wird, bleibt vorerst abzuwarten. Auf die Frage, ob für eine Erweiterung Veränderungen an der Software ausreichend seien oder auch die Hardware überarbeitet werden müsse, erklärte der Hersteller, dass generell gelte, dass je weiter eine neue ODD von der heutigen entfernt sein wird, desto größer würden die Veränderungen am System aufseiten der Soft- respektive Soft- und Hardware werden, die für einen sicheren Betrieb notwendig seien und desto unwahrscheinlicher sei es, diese Anpassungen lediglich durch eine OTA-Maßnahme, also per Software-Update abdecken zu können.

Die genaue Ausgestaltung einer nächsten ODD für den Drive Pilot sei derzeit in Arbeit, Details dazu könne das Unternehmen jedoch noch nicht nennen. Ab 2024 will Mercedes-Benz mit Drive AGX Orin auf eine neue Plattform von Nvidia setzen.