EuGH: Vorratsdatenspeicherung grundrechtswidrig

Update 2 Maximilian Schlafer
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EuGH: Vorratsdatenspeicherung grundrechtswidrig
Bild: Olga Berrios | CC BY 2.0

Ersten Medienberichten zufolge soll der EuGH die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für grundrechtswidrig erachtet und daher aufgehoben haben. Die Entscheidung selbst ist noch nicht veröffentlicht worden, was aber im Laufe des Vormittags geschehen dürfte.

Gänzlich überraschend für die breite Öffentlichkeit kommt die Entscheidung jedoch nicht, denn schon im Dezember 2013 hatte Generalanwalt Villalón in seinem Schlussantrag die Grundrechtswidrigkeit als evident angesehen.

Das Verfahren selbst umfasst zwei nationale Rechtssachen, bei denen die darin involvierten obersten zuständigen Gerichtshöfe aus Irland (High Court) und Österreich (Verfassungsgerichtshof) entsprechende Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gestellt haben. Es handelt sich dabei um C-293/12 Digital Rights Ireland und C-594/12 Seitlinger and Others, welche vom EuGH zu einem einzelnen Verfahren zusammengelegt wurden. In diesen ersuchten die genannten Gerichtshöfe den EuGH die Gültigkeit der EU-Richtlinie zu überprüfen. Momentan sind zwei Optionen denkbar. Entweder hebt der EuGH die Richtlinie mit sofortiger Wirkung auf, dann fällt zeitgleich auch die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Vorratsdatenspeicherung zu betreiben. Die andere Option wäre, dass er dem Legislativapparat der EU eine Frist zur Erneuerung der Richtlinie setzt. Bis dahin würde dann die alte Version weitergelten. Erst nach Verstreichen der Frist würde die Richtlinie notfalls auch ersatzlos wegfallen.

Weitere Informationen erfolgen in Kürze.

Update

Aus der mittlerweile vorliegenden Pressemitteilung (PDF) des Gerichts lassen sich bereits nähere Informationen extrahieren.

Richtlinie aufgehoben

Der EuGH hat die Richtlinie 2006/24/EG für ungültig erklärt. Das bedeutet in diesem Fall, dass sie rückwirkend ab dem Erlassungsdatum keine Geltung hat. Sie ist hiermit rechtlich als niemals existent anzusehen.

An dieser Stelle ist vorauszuschicken, dass Grundrechtseingriffe prinzipiell erlaubt sein können, wenn sie ausreichend gerechtfertigt sind. Es wird daher zuerst geprüft, ob ein Eingriff vorliegt und wenn dem so ist, ob sich dafür eine Rechtfertigung findet und ob die Verhältnismäßigkeit zwischen Ziel und Mittel des Eingriffs gewahrt bleibt.

Der EuGH stellt fest, dass allein die Verpflichtung zur Speicherung der von der Richtlinie erfassten Daten einen „besonders schwerwiegenden Eingriff [...] in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten“ darstellt.

Auf Rechtfertigungsebene hält er allerdings fest, dass die Vorratsdatenspeicherung nicht den „Wesensgehalt“ der beiden genannten Grundrechte antaste, da sie nicht die inhaltliche „Kenntnisnahme“ der jeweiligen menschlichen Kommunikation anordne. Auch diene die Vorratsdatenspeicherung der öffentlichen Sicherheit und dem Gemeinwohl.

Jedoch kommt er dennoch zum Schluss, dass die Richtlinie nicht verhältnismäßig ist. Das stützt er darauf, dass obgleich die Eingriffe in die fraglichen Grundrechte besonders schwer sind, keine adäquaten Sicherungsmechanismen in der Richtlinie enthalten sind. Diese sind nach Ansicht des EuGH jedoch notwendig, um die Eingriffe auf „das absolute notwendige" Maß zu minimieren.

Denn sie erstreckte sich einerseits auf „sämtliche Personen, Kommunikationsmittel und Verkehrsdaten“, sah jedoch keine einzige Differenzierung oder Einschränkung bezüglich ihres Zieles – der Bekämpfung schwerer Straftaten – vor. Es lagen auch keine objektiven Kriterien vor, nach denen der Zugriff von Behördenseite reglementiert gewesen wäre. Auch moniert er das Fehlen einer vorgeschalteten Zugriffskontrolle bezüglich der Datenbestände durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle. Auch bei der Dauer der Speicherung fehlt es dem EuGH an einer objektiven und verhältnismäßigen Vorgabe, die eine auf das Notwendigste beschränkte Speicherung gewährleisten hätte können.

Einen eigenen Absatz widmet die Presseerklärung dem Umstand, dass die Richtlinie „hinreichender Garantien“ für die Sicherung der Datenbestände vor „Missbrauchsrisiken sowie vor jedem unberechtigten Zugang und jeder unberechtigten Nutzung“ entbehre. So würde sie sogar das Sicherheitsniveau von den wirtschaftlichen Erwägungen der zur Speicherung verpflichteten Dienstebetreibern – beispielsweise ISPs – abhängig machen. Auch mangelte es der Richtlinie an einer Garantie, dass die Daten nach Ablauf der Speicherfrist „unwiderruflich vernichtet“ werden.

Ebenso wird der Umstand gerügt, dass die Speicherung der hochsensiblen Datenbestände nicht einmal auf Unionsgebiet stattfinden musste. Dadurch ergab sich ein weiteres Loch im Datenschutz, das zudem der Europäischen Grundrechtecharta zuwiderlief.

Was bedeutet das Urteil konkret?

Vorratsdatenspeicherung ist unter strengen Voraussetzungen prinzipiell erlaubt. Mit der Ungültigkeitserklärung fällt vorerst allerdings die unionsrechtliche Verpflichtung für Mitgliedstaaten weg, Vorratsdatenspeicherung zu betreiben. Wenn die EU-Legislative – auf Initiative der Kommission, mit Zustimmung von EU-Parlament und EU-Rat – erneut derartiges einführen möchte, kann sie das faktisch nur unter Beachtung der vom EuGH aufgestellten Einschränkungen und Sicherungsmaßnahmen.

Auch dürfte sich nun der Spielraum für nationalstaatliche Vorratsdatenspeicherungen eingeschränkt haben. Diese sollten nun uneingeschränkt von nationalen Höchstgerichten überprüfbar sein.

Update

Mittlerweile ist auch das Urteil selbst im Volltext auf Deutsch abrufbar (Link).

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Themen:
  • Maximilian Schlafer E-Mail
    … ist die erste Anlaufstelle für alles, was Recht ist auf ComputerBase. Paragraphen haben es ihm angetan.
Quelle: Europäische Union

Ergänzungen aus der Community

  • Herdware 08.04.2014 10:59
    Jetzt kommt es auf die Urteilsbegründung an!

    Hat das EuGH die verdachtsunabhängige Voratsdatenspeicherung grundsätzlich als unzulässigen Eingriff in die Freiheitsrechte der Bürger abgelehnt, oder sich nur an Details der derzeitigen Umsetzung (EU-Richtlinie und nationale Gesetze) gestört?

    Davon wird es abhängen, ob das Thema VDS endgültig erledigt ist, oder ob die diversen EU-Staaten nur ihre Gesetze leicht modifizieren müssen, z.B. bei Speicherfrist und den Bedingungen, wann, wie und durch wen darauf zugegriffen werden darf.
    Dann würde auch in Deutschland sofort mit Hochtouren an einer Wiedereinführung der VDS gearbeitet.

    Im zweite Fall wäre das EuGH-Urteil eher schädlich als nützlich, denn es würde die VDS, die unabhängig von Speicherfrist und formalen Nutzungsbeschränkugnen trotzdem ein schwerer Eingriff in die Freiheitsrechte bleibt und erwiesenermaßen nicht mal was bei den Aufklärungsquoten bringt, nur auf rechtlich sicherere Füße stellen.

    Unsere Politiker in der EU und der nationalen Regierung, machen leider eine wahre Kunst daraus, die Grenzen des gerade noch so als nicht komplett grundrechts- und verfassungswidrig befundenen, bis ins Extrem auszureizen. Die formulieren die Gesetze so, dass sie sich hauteng an die Urteile der Verfassungsgerichte anschmiegen.

    Ich vergleiche die Grundrechte (die den Unterschied zwischen einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat und einem willkürlichen Unrechtsregime ausmachen) gerne mit der Trennlinie zwischen den beiden Fahrtrichtungen einer Autobahn und die Urteile der Verfassungsgerichte sind die Leitplanken.
    Ein geistig gesunder Autofahrer würde von sich aus einen angemessenen Sicherheitsabstand zu der Trennlinie einhalten und eine Berührung mit den Leitplanken um jeden Preis vermeiden. Sie würden sich ausschließlich klar auf der sicheren Seite bewegen und nicht auf Teufel komm raus den gesammten Spielraum der Fahrbahn ausnutzen.
    Aber unsere Politiker sehen es als erstrebenswert an, immer wieder und wieder mit Vollgas gegen die Leitplanken zu donnern und funkensprühend daran entlangzuschrammen. Und wir Bürger sitzen hilflos auf der Rückbank und müssen Blut und Wasser schwitzen und hoffen, dass wir nicht irgendwann doch die Trennlinie durchbrechen. :(
  • KlackKlack 08.04.2014 11:07
    Soll man sich nun freuen, dass es von EuGH gekippt worden ist oder weinen, dass es erst bis zum EuGH kommen musste um gekippt zu werden?

    [...] "flo36, post: 15536043
    Ich weiß leider nicht wie du das meinst.

    Ein nationales Gericht kann keinen Rechtsakt der EU verwerfen. Daher musste ein europäisches Gericht entscheiden.

    Mal ein ganz allgemeiner Post, nicht konkret in Bezug auf deinen Beitrag: Ich finde es bedauerlich, dass Gerichtsentscheidungen, die Entscheidungen über das Recht sind, und keine politischen Entscheidungen, wie letztere diskutiert werden. Das konnte man allgemein bei den Entscheidungen zur Eurorettung sehen, aber dasselbe spielt sich auf IT-Seiten bei Vorratsdatenspeicherung oder Urteilen über Steam ab. Ich bin kein Freund der Vorratsdatenspeicherung und halte die Ausgestaltung, wie sie auf europäischer Ebene und dann auf nationaler Ebene erfolgte, für falsch. Das ändert aber nichts daran, dass ein Gericht nicht "Europa" oder das Abendland allgemein verteidigen kann. Sondern bloß das Recht. Wenn man sich also vom Bundesverfassungsgericht "verraten" fühlt, weil die einen vermeintlich im Stich lassen (wobei die Vorratsdatenspeicherung ja gerade nicht durchgewunken wurde), so setzt die Kritik falsch an.
  • KlackKlack 08.04.2014 11:32
    Es wäre schön gewesen, hätten die Politiker die Argumente der Gegner ernster genommen und diesen ganzen Mist gar nicht erst in Kraft gesetzt. Stattdessen wurde mittlerweile in ALLEN Ländern außer Deutschland eine VDS installiert und erst jetzt durch den Eu-GH die Sache für unvereinbar mit den Grundrechten erklärt. Das hätte man anders regeln können.

    Und davon ab ... die VDS in Europa wird kommen ... denn es gibt genügend große Schlupflöcher im Urteil, um sie mit ner 3 Monatsfrist doch einzuführen. Wartet es ab. "keldana, post: 15536292
    Dein Post zeigt mir, was ich an der Diskussion um Gerichtsurteile nicht mag.

    Es ist eben vorrangig eine politische Frage, ob und wie die VDS gestaltet wird. Wenn man was dagegen machen will, muss man sich politisch engagieren. Es ist natürlich bequemer anzunehmen, dass das alles nichts nütze und man sowieso "von denen da oben" schlecht behandelt wird. Dass diese Einstellung aber ebenfalls nichts bringt, wird dabei billigend in Kauf genommen.

    Das Urteil enthält auch keine "Schlupflöcher". Vielmehr gibt es halt keine ausdrückliche Bestimmung in den Grundrechten, die ausdrücklich die VDS untersagt. Dann ist es eben eine Abwägungsfrage. Und unter bestimmten Umständen ist es eben vertretbar - und mehr fordern die Grundrechte gerade nicht - die VDS einzuführen. Noch mal: wenn man das nicht will, muss man Politik betreiben. Aber keine Gerichtsschelte.