Google Daydream (View) im Test: VR für die Massen mit Fernglas-Sichtfeld

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Jan-Frederik Timm (+1)
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Field of View, Bildschärfe und Flimmern

Der Blick durch eine VR-Brille ist auch mit Daydream nur schwer in Worten zu beschreiben. Aber es sind eindeutige Unterschiede zu Gear VR erkennbar. Das fängt beim Sichtfeld (Field of View) an.

Das Sichtfeld in Daydream View ist kreisrund

Mit Daydream View ist es annähernd kreisrund, es erinnert an den Blick durch ein Fernglas. Gear VR bietet insbesondere in der Vertikalen nach oben deutlich mehr Sichtfeld, in der Horizontalen fällt ein Urteil hingegen schwer. Daydream View schneidet kreisrund ab, bei Gear VR wird das Sichtfeld links und rechts gerade abgeschnitten. Das engt das Sichtfeld durch Daydream View in jedem Fall auch in den Ecken stärker ein.

Schematische Darstellung der Sichtfelder von Daydream View und Gear VR (vereinfacht)
Schematische Darstellung der Sichtfelder von Daydream View und Gear VR (vereinfacht)

Zugute kommt das engere Sichtfeld wie im Vergleich HTC Vive zu Oculus Rift der Bildschärfe in der Bildschirmmitte, die mit dem Pixel XL in Daydream View an das Niveau der Oculus Rift heran reicht. Bildpunkte bleiben mit dem Pixel XL bei QHD auf 5,5 Zoll zwar erkennbar, aber weniger deutlich als bei Gear VR mit dem Samsung Galaxy S7. Mit kleineren Smartphones sollte das Ergebnis noch besser ausfallen. Und das hat einen Grund.

Je größer das Smartphone, desto kleiner der Ausschnitt

Wird das beim Blick geradeaus erfasste Sichtfeld auf einem Screenshot der stereoskopischen Darstellung auf dem Display verglichen, überrascht der große Verschnitt: Auf dem Pixel XL wird deutlich mehr auf dem Display gerendert, als durch die Linsen am Ende zum Auge geführt wird. Die Abweichung ist oben und unten größer als links und rechts - das bestätigt die Beobachtung im Vergleich mit Gear VR.

Das Sichtfeld entspricht annähernd dem gestrichelten Kreis
Das Sichtfeld entspricht annähernd dem gestrichelten Kreis

Je kleiner das Display, desto größer die Schärfe

Der Versatz hat einen Grund: Daydream ist für Smartphones von 4,7 bis 6,0 Zoll freigegeben. Auch auf dem kleinsten zertifizierten Smartphone darf die gerenderte stereoskopische Darstellung den von den Linsen eingefangenen Bereich noch nicht unterschreiten. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass größere Smartphones Fläche verschwenden und letztendlich auch Inhalte rendern, die das Auge nicht sieht. Oder anders herum: Auf kleinen Smartphone sehen Daydream-Nutzer mehr – und das auch noch schärfer. Eine Anpassung des gerenderten Ausschnitts an das Verhältnis aus Diagonale und Auflösung findet nicht statt.

Das Sichtfeld sollte auf kleineren Smartphones damit zwar nicht größer oder gar kleiner aussehen, der Betrachter sieht aber mehr durch das virtuelle Fernrohr – und das auch noch schärfer.

Die zwei Linsen ohne Fresnel-Struktur
Die zwei Linsen ohne Fresnel-Struktur

Daydream mit dem Pixel XL flimmert weniger

Auffällig ist ferner, dass helle Bereiche bei Daydream View mit dem Pixel XL weniger stark zum Flimmern neigen als Gear VR mit dem Galaxy S7. Flimmern ist in den Augenwinkeln sichtbar, ein und dieselbe Person nimmt denselben Effekt bei Gear VR aber deutlich stärker wahr. Dabei nutzen beide Systeme einen Low-Persistency-Modus, der Pixel nur kurz aufleuchten lässt, um Motion Blur zu verhindern.

Eine Hand halb mit im Spiel

Wie die Oculus Rift durch die HTC Vive wird Gear VR beim Controller von Daydream überholt. Denn während in Gear VR mit dem Blick und einem Touchpad an der Seite des Gestells navigiert und alternativ ein Bluetooth-Gamepad zu Hand genommen wird, bringt Daydream mit einem Controller die Hand mit ins Spiel.

Im 41 Gramm leichten Controller stecken dafür dieselben Sensoren wie in Smartphones, Entwickler nutzen im Vorfeld der Veröffentlichung von Daydream View einfach ein anderes Smartphone ab Android 5.0 mit Controller-Emulator-App.

Auch der Controller erkennt wie das Smartphone seine Bewegungen nur selbst, also Inside-Out-Tracking im Vergleich zu Outside-In-Tracking bei HTC Vive und Oculus Rift. Seiner konkreten Lage im Raum ist er immer nur über die ermittelten Messwerte wie Neigungswinkel und Beschleunigung bewusst und das ist ungenau. Aber Daydream berücksichtigt das.

Der Controller ist mehr ein Laserpointer

In Anwendungen und Spielen agiert der Controller in der Regel wie ein Laserpointer, mit dem von seiner virtuellen Position rechts neben dem Rumpf des Spielers Flächen angeklickt oder bewegt werden können – wahlweise lässt sich der Controller auch in die virtuelle linke Hand legen. Im Spiel Wonderglade kann mit dem Controller zwar auch ein Feuerwehrschlauch auf brennende Häuser ausgerichtet werden, der ist im Spiel aber wieder am unteren Bildschirmende fixiert. Abermals lässt sich damit nur die Richtung, in die er zeigt, betätigen. Richtig im Spiel ist die Hand damit nie – ein Grund, warum die bisher verfügbaren Apps den Controller nicht im direkten Sichtfeld anzeigen; er wäre nie da, wo die Hand in dem Moment tatsächlich ist.

Die Steuerung ist intuitiv und gut umgesetzt

Nichtsdestoweniger geht die Steuerung der zum Test bereitgestellten Inhalte sehr intuitiv und zielsicher von der Hand. Kein Vergleich zur Navigation mittels Blickrichtung und Touchpad-Eingabe bei Gear VR. Auch als Minigolfschläger taugt der Controller. Auffällig wird das Inside-Out-Tracking nur dann, wenn beispielsweise ein Gegenstand hinter einem Hindernis ergriffen werden soll, den der Spieler aus seiner Position sieht. Hier kann der Spieler den Arm noch so weit nach oben über seinen Kopf strecken und mit dem Controller über die Mauer zielen, er bleibt im Spiel nahe seiner Ausgansposition auf Hüfthöhe und der Gegenstand damit unerreichbar. Das geht mit Oculus Rift mit Touch und HTC Vive besser.

Alternativ lassen sich Anwendungen auch über das integrierte Touchpad am oberen Ende steuern. So lässt es sich durch Galerien wischen oder die Spielfigur in Wonderglade über den virtuellen Rummelplatz navigieren. Über die App-Taste darunter kann das Menü jeder App aufgerufen, über die Home-Taste darunter zum Startbildschirm zurück gekehrt werden; alternativ richtet ein langes Drücken die Sicht und den Controller neu aus.

So sieht die Steuerung in der Praxis aus

Einen guten Einblick in die Steuerung der Apps mit dem Daydream-Controller liefert Googles Übersicht der zum Start verfügbaren Anwendungen. Darüber, ob in Daydream auch Gamepads eingebunden werden können, hat Google bisher übrigens keine Auskunft gegeben.

Der Controller ist oft nur beim Blick nach unten zu sehen und bleibt auch dort
Der Controller ist oft nur beim Blick nach unten zu sehen und bleibt auch dort

Tragekomfort, Lichteinfall und Kondenswasser

Daydream ist leicht, 220 Gramm wiegt das Gestell ohne Smartphone. Gear VR wiegt mit 320 Gramm fast 50 Prozent mehr. Das geringe Gewicht, der angenehm weiche Stoffüberzug und der breite Riemen sorgen für einen hohen Tragekomfort. „Gemütlicher“ ist die einhellige Meinung beim direkten Vergleich mit Gear VR. Weniger abschreckend ist der Anblick eines Daydream-View-Trägers auch. Das Ziel Massenkompatibilität durch Optik, Haptik und Tragekomfort hat Google erreicht.

Uneins sind die Meinungen über den einfacheren Gurt: Ohne den zusätzlichen Gurt über den Kopf ist Daydream View nicht so leicht in der richtigen Höhe zu verankern, zumal das Verschlusssystem nach langer Nutzung immer etwas nachlässt. Für die meisten Anwender muss Daydream etwas höher sitzen um scharf abzubilden, als es auf den ersten Blick erscheint. Das kompakte Design hat aber auch einen handfesten Nachteil.

Woher kommt das Licht?

Nicht Lensflare vom Display sondern zwischen den Schläfen und dem Headset einfallendes Licht macht Daydream View auf vielen Köpfen zu schaffen. Mit einer Lampe im Rücken ist VR kaum möglich. Eine andere Orientierung oder weniger Licht hinter dem Betrachter helfen. Enger anlegen lässt sich die Brille an dieser Stelle über das einfache Gurtsystem hingegen nicht. Das Problem existiert leicht auch bei Gear VR, auf denselben Köpfen aber nicht so stark.

Licht fällt von hinten in die Brille ein
Licht fällt von hinten in die Brille ein

Weniger ein Problem ist Licht, das von Oben zwischen Display und Gestell einfallen kann. Es äußert sich lediglich in besser sichtbaren Fusseln auf der Linse, nicht aber in einem allgemein schlechteren Bild. Auch nicht, wenn mit einer Taschenlampe in die Lücke geleuchtet wird.

Kondenswasser stört nur selten und dann kurz

Nicht die Offenheit an den Seiten sondern um die Nase herum bedingt ein weiteres Problem, das aber nur von kurzer Dauer ist: Sind die Linsen noch kalt, weil Daydream beim Lüften oder dem Transport abgekühlt ist, bildet sich kurz nach dem Aufsetzen schnell Kondenswasser aus der Atemluft auf den Linsen. Die Linsen erwärmen sich beim Tragen aber schnell, der Wasserfilm verschwindet dann von alleine.

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