Schily: Furcht vor NSA habe „wahnhafte Züge“

Andreas Frischholz
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Ex-Innenminister Otto Schily verteidigt die digitale Überwachung durch Geheimdienste wie die NSA, berichtet der Spiegel. Datenschutz sei zwar wichtig, aber die Furcht vor dem Staat habe „wahnhafte Züge“. Schily ist nicht der einzige Befürworter, der die Debatte samt der Kritik an den Geheimdiensten am liebsten abwürgen würde.

Die Vorwürfe gegen Programme wie „Prism“ und „Tempora“, mit denen Geheimdienste die digitale Kommunikation praktisch vollständig überwachen und aufzeichnen können, hält Schily für „Getöse“. Diese seien nicht angemessen, weil die größte Gefahr nicht von der NSA ausgehe, sondern von Terrorismus und organisierter Kriminalität. Deswegen dürfe man es auch mit dem Datenschutz nicht übertreiben. Wenn die moderne Kommunikation über das Internet zur Vorbereitung von Verbrechen genutzt werde, müssten Sicherheitsbehörden aktiv werden.

Dass die zahlreichen Kritiker die digitalen Geheimdienst-Aktivitäten mit den Methoden eines Überwachungsstaats vergleichen, die den Rechtsstaat aushebeln, hält Schily dem Spiegel-Bericht zufolge für eine „paranoide“ Vorstellung. Hintergründe zu dieser Vorstellung bietet der YouTube-Channel manniac mit dem knapp elf Minuten langen Video „Überwachungsstaat - Was ist das?“:

Der SPD empfiehlt er indes, mit dem NSA-Skandal keinen Wahlkampf zu machen. „Law and Order sind sozialdemokratische Werte“, so Schily. Solche Äußerungen dürften der aktuellen SPD-Führungsriege allerdings ein Dorn im Auge sein. Immerhin versucht diese, die NSA-Überwachung für den Wahlkampf zu nutzen, kämpft aber mit dem Erbe der Regierungszeit von 1998 bis 2005. Schily erinnert nun daran, dass die damalige rot-grüne Regierung unter SPD-Kanzler Schröder ebenfalls die Kompetenzen von Polizeibehörden und Geheimdiensten deutlich erweitert hatten – etwa durch Schilys sogenannten „Otto-Katalog“, mit dem zahlreiche Sicherheitsgesetze infolge der Anschläge vom 11. September 2001 verschärft wurden.

Geheimdienste im digitalen Zeitalter und „deutsche Naivität“

Der ehemalige BND-Vizepräsident Rudolf G. Adam hat in einem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung erklärt, es wäre „erstaunlich, wie viel Naivität und unreflektierte Empörung in der Debatte um Prism und Tempora emporkommen“. Deutsche Vorstellungen über das Verhältnis von Sicherheit und Privatsphäre könne man nicht einfach auf Partnerstaaten übertragen. Zumal ein restriktiver Datenschutz mit dem Risiko einhergehe, dass die Geheimdienste anderer Staaten einen Informationsvorteil erhalten.

Das Internet beschreibt Adam als militärisches Kommunikationssystem, an dem das Militär trotz der zivilen Nutzung ein großes Interesse habe. In diesem Kontext nennt er Cyberwar als eine sich abzeichnende Bedrohung, etwa durch Cyber-Angriffe auf kritische Infrastruktur. Deswegen wäre es naiv anzunehmen, die Entwicklung von modernen Software-Systemen würde nicht „engstens von militärischen Experten beobachtet“ – das gelte insbesondere für die USA. Laut Adam ist „die Wahrscheinlichkeit, dass die NSA die Quellcodes der gängigen Computerprogramme kennt, wesentlich größer als das Gegenteil“ – obwohl solche Meldungen offiziell stets dementiert werden.

Ebenso wäre es keine „revolutionäre Erkenntnis, wenn geheime Nachrichtendienste Nachrichten sammeln, die eigentlich nicht für sie bestimmt sind“. Das technische Probleme liege dabei in der Analyse der Rohdaten-Sammlungen. „Aus den Bergen von Sand müssen die wenigen Goldkörner herausgefiltert werden“, so Adam. Angesichts dieser Herausforderung verteidigt er das Vorgehen der NSA. Bei dem US-Geheimdienst handele es sich um eine staatliche Institution, die damit an rechtliche Vorgaben gebunden wäre und der öffentlichen Kontrolle unterliege.

Überwachung der Geheimdienste ähnelt dem Doping im Radsport

Allerdings lautet einer der zentralen Vorwürfe von Edward Snowden, dass in der Praxis die von Adam beschriebenen Kontrollmechanismen nicht funktionieren. Für reichlich Kritik sorgte zudem die Aussage, die deutsche Empörung wäre naiv. Für den Publizist Frank Lübberding ähnelt Adams Argumentation der von Dopern im Radsport: Man muss betrügen, um konkurrenzfähig zu bleiben, weil es eben alle so machen.

In dem Beitrag auf Wieesaussieht kommt Lübberding daher zu dem Fazit:

Aus dem Grund ist es von gefährlicher Naivität, den Geheimdiensten die Interpretation unserer Welt zu überlassen. Wenn man sie machen lässt, was sie wollen, institutionalisieren sie nämlich am Ende die Paranoia.

Frank Lübberding