Spähsoftware Pegasus: Ausschuss nimmt im polnischen „Watergate“ Arbeit auf

Michael Schäfer
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Spähsoftware Pegasus: Ausschuss nimmt im polnischen „Watergate“ Arbeit auf
Bild: Alexandra_Koch | gemeinfrei

Bei der Affäre rund um die Verwendung der Überwachungssoftware „Pegasus“ in Polen löst die amtierende polnische Regierung ihr Versprechen ein und treibt die Aufklärung der Vorkommnisse voran. Nun tagte zum ersten Mal der Untersuchungsausschuss, gleichzeitig kamen neue Details an die Öffentlichkeit.

Konnte die damalige polnische Regierungspartei PiS (Prawo i Sprawiedliwość – Recht und Gerechtigkeit) während ihrer Amtszeit die Vorgänge rund um die Spionage-Software Pegasus noch weitestgehend vor den Augen der Öffentlichkeit und vor allem der eigenen Reihen verbergen, setzt die neue Mitte-Links-Regierung neben anderen Feldern wie der Rücknahme des Umbaus der öffentlich-rechtlichen Medien und der Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit vor allem auf Aufklärung. Jetzt hat zum ersten Mal die Untersuchungskommission zur Aufarbeitung des Pegasus-Überwachungsskandals getagt.

Liste mit politischer Brisanz

In der bereits als polnischer „Watergate“-Skandal titulierten Affäre verdichten sich immer mehr Hinweise darauf, dass die bei den letzten Wahlen im Oktober abgewählte konservative Regierung nicht nur Oppositionspolitiker und Gegner, sondern auch eigene Parteimitglieder überwacht hat. Dies geht aus einer Liste hervor, die laut Medienberichten in der letzten Woche aus Parteikreisen an die Öffentlichkeit gelangt ist. Auf dem Schriftstück sollen sich rund ein Dutzend Namen befinden, darunter auch Abgeordnete aus dem ehemaligen Regierungslager wie der ehemalige Landwirtschaftsminister Jan Krzysztof Ardanowski oder der ehemalige Parlamentspräsident Marek Kuchciński. Mit Adam Bielan, Abgeordneter des Europäischen Parlaments und einer der engsten Vertrauten des PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński, findet sich ein weiterer prominenter Name auf der Liste. Gleiches gilt für den ehemaligen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki, der den aktuellen Erkenntnissen nach über anderthalb Jahre mit Pegasus ausgespäht worden sei. Zu den Drahtziehern hinter den Aktionen sollen Maciej Wąsik und Mariusz Kaminski gehören, letzterer wurde im Dezember des letzten Jahres wegen Amtsmissbrauchs zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt. Die Anzahl der beteiligten oder überwachten hochrangigen Politiker zeigt die Brisanz der Vorfälle.

Einfluss auf die Wahl von 2019

Bereits im September des letzten Jahres kam der polnische Senat in seinem Abschlussbericht zu dem Ergebnis, dass die Überwachungsaktion mit Pegasus verfassungswidrig und damit illegal war. Zudem hätten die Ereignisse zu einer Verzerrung der Wahl von 2019 geführt. Konsequenzen hatte die damalige PiS-Regierung jedoch nicht zu befürchten, da diese alle dafür wichtigen Institutionen kontrolliert hatte. Neben der Staatsanwältin Ewa Wrzosek und dem Oppositionellenanwalt Roman Giertych wurde auch der Politiker Krzysztof Brejza überwacht, dessen Smartphone im Wahljahr 2019 30 Mal infiltriert wurde. Zu diesem Ergebnis kamen die Forensiker des an der Universität Toronto ansässigen Citizen Lab. Bei den Angriffen wurden unter anderem private Nachrichten erbeutet, die über den damals unter PiS-Kontrolle stehenden öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbreitet wurden, um Stimmung gegen die politischen Gegner zu machen, wie später bekannt wurde.

Stecker gezogen

Dass die PiS es mit der Überwachung übertrieben hat, zeigt sich auch in der Reaktion des Pegasus-Herstellers NSO, der Polen schließlich die Lizenz zur Nutzung der Überwachungssoftware wieder entzog. Ob NSO Kenntnis davon hatte, für welche Zwecke ihre Software eingesetzt oder wer genau damit überwacht wurde, ist bisher nicht bekannt.

Kommission will Antworten auf kritische Fragen erhalten

In der ersten Sitzung des zur Aufklärung eingesetzten Ausschusses sollen nun in erster Linie Beweisanträge gestellt und Fragen an mögliche Zeugen formuliert werden. Der Aufklärungsbedarf ist groß, es müsse geklärt werden, warum Pegasus gegen die Opposition eingesetzt wurde. Eine besondere Rolle kommt dabei dem ehemaligen Justizminister Zbigniew Ziobro zu. „Sicherlich müssen sich die prominentesten PiS-Politiker der Untersuchungskommission stellen und erklären, wie Pegasus gekauft wurde und mit welchen Mitteln“, so der Abgeordnete Marcin Bosacki von der regierenden Bürgerkoalition (KO) und Mitglied der Untersuchungskommission. So soll die Beschaffung der Spyware bisherigen Erkenntnissen nach vom Zentralen Antikorruptionsbüro ausgegangen sein, die dafür benötigten umgerechnet rund 10 Millionen Euro wurden dem Gerechtigkeitsfonds entnommen, der eigentlich für die Unterstützung von Verbrechensopfern vorgesehen ist.

Neue Opposition wütet

Die Kommission wird bei ihrer Arbeit mit nicht unerheblichem politischen Gegenwind zu rechnen haben. So bezeichnete der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński die Anschuldigungen als einen „übel aufgeblasenen Ballon“. Gleichzeitig war Kaczyński das erste Mitglied der ehemaligen Regierung, das die Beschaffung des Trojaners bestätigte. Auch der der PiS nahestehende Staatspräsident Andrzej Duda versucht die Erkenntnisse besonders im Fall von Kamiński herunterzuspielen. Duda befürwortet zwar die Untersuchung, sieht in Kamiński, der als damaliger Innenminister über die Beschaffung und den Einsatz von Pegasus zumindest informiert gewesen sein musste, aber nach wie vor „einen rechtschaffenen Menschen“. Um mehr Licht ins Dunkel zu bringen, wurden inzwischen auch geheime Dokumente des Inlandsgeheimdienstes ABW angefordert.