Vorratsdatenspeicherung: Polizei und Geheimdienste wollen Bewegungsprofile

Andreas Frischholz
57 Kommentare
Vorratsdatenspeicherung: Polizei und Geheimdienste wollen Bewegungsprofile

Mit der Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung hat sich die Bundesregierung bis dato nur wenige Freunde gemacht, selbst Sicherheitsbehörden kritisieren das Gesetz. Nun klagen die Vertreter von Polizei und Geheimdiensten, dass das Erstellen von Bewegungsprofilen mit dem aktuellen Entwurf praktisch nicht möglich sei.

So erklärte ein Verfassungsschutz-Mitarbeiter laut einem Bericht von Spiegel Online, dass es künftig kaum noch möglich sei, Bewegungsprofile von Extremisten anhand der Kommunikationsdaten zu erstellen. Diese wären für die Überwachung der entsprechenden Personen aber erforderlich. Denn: „Viel interessanter als die Frage, was gesprochen wurde, ist für uns häufig die Information, wer wann mit wem gesprochen hat und wo er zu dem Zeitpunkt war.

Ähnliche Kritik äußert auch der Bund der Kriminalbeamten (BDK) in einer Stellungnahme für den Rechtsausschuss des Bundestags (PDF-Datei). Demnach würden Sicherheitsbehörden die Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile benötigen, um Bandenkriminalität, Korruption und organisierte Kriminalität aufzuklären. Ein Kennzeichen dieser Fälle wären „oftmals weit auseinanderliegende Tatorte und Tatzeiten sowie wechselnde Aufenthaltsorte im In- und Ausland“. Wenn man nun die Strukturen bei solchen Straftaten erkennen will, seien „Bewegungsbilder mit Hilfe von Telefondaten“ erforderlich.

Daher wäre es auch aus „polizeitaktischer Sicht“ fragwürdig, dass Sicherheitsbehörden die Vorratsdaten nur bei „schweren Bandendiebstahl“ abrufen können. Denn am Anfang einer Ermittlung ließe sich oftmals nicht sagen, ob es sich um Bandenkriminalität oder lediglich einen Einzelfall handelt.

Interessant ist allerdings, dass Innenminister Thomas de Maizière (CDU) erst in der letzten Woche erklärt hat, dass die Vorratsdatenspeicherung bei den Ermittlungen gegen Einbrecherbanden eingesetzt werden soll. Konkret bezog er sich auf Gruppen, die bundesweit agieren. Daher steht nach wie vor die Frage im Raum: Hat de Maizière lediglich das aktuelle Gesetz beworben oder kokettiert er bereits mit einer Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung, so wie etwa der Bürgerrechtsverein Digitale Gesellschaft befürchtet?

Erstellen von Bewegungsprofilen tatsächlich erschwert?

Ohnehin ist fraglich, ob das Erstellen von Bewegungsprofilen tatsächlich so schwierig wird, wie die Kritik von Polizei und Geheimdiensten zunächst vermuten lässt. Justizminister Heiko Maas (SPD) hat zwar sowohl bei der Vorstellung der Leitlinien als auch des Gesetzentwurfs vollmundig angekündigt, dass Bewegungsprofile nicht erstellt und Standortdaten nur im Einzelfall abgefragt werden dürfen. Doch im Gesetzentwurf (PDF-Datei) finden sich diese Einschränkungen nicht derart deutlich wieder.

So heißt es etwa, dass grundsätzlich nur einzelne Standortdaten abgerufen werden sollen, um keine überflüssigen Bewegungsprofile zu erstellen – sofern „diese nicht im Einzelfall notwendig sind“. Als Beispiele für solche Einzelfälle werden dann das Aufklären von Serientaten sowie das Gewinnen von „Anhaltspunkten für vom Beschuldigten angegebene Bewegungen“ genannt.

Daher lautet auch die Kritik von der Bundesdatenschutzbeauftragten Andrea Voßhoff, dass es sich bei bei den Einschränkungen letztlich nur um Empfehlungen handele und darüber hinaus zahlreiche Ausnahmen existieren. „Eine von der Bundesregierung behauptete Vermeidung der Profilbildung wird so nicht erreicht“, sagte Voßhoff in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung.

Kritik an kurzen Speicherfristen und Strafkatalog

Derweil sind die Einschränkungen bei den Bewegungs- und Persönlichkeitsprofilen nicht der einzige Punkt, den Vertreter von Sicherheitsbehörden an dem neuen Gesetz kritisieren. So montiert etwa der deutsche Richterbund in einer Stellungnahme für den Bundestag die kurzen Speicherfristen, die auf zehn Wochen für Verkehrs- und vier Wochen für Standortdaten begrenzt wurden. Dies sei „weder verfassungsrechtlich geboten noch ermittlungstechnisch ausreichend“. Auch ein Staatsschützer erklärte laut dem Bericht von Spiegel Online: „In der Realität erfahren wir von vielen Delikten erst sehr viel später.“ Darüber hinaus fordern praktisch alle Vertreter von Polizei und Geheimdiensten, dass der Straftatenkatalog für die Vorratsdatenspeicherung erweitert werden müsste.

Bereits vor einigen Wochen kritisierte der deutsche Richterbund zudem, dass „es verfassungsrechtlich nicht geboten“ sei, die „Verkehrsdaten von E-Mails sowie von Daten über aufgerufene Internetseiten bei der Verkehrsdatenerhebung wie vorgesehen auszuklammern“. Damals forderten auch schon die CDU/CSU-Abgeordneten Patrick Sensburg und Volker Ullrich, dass Geheimdienste auch ohne konkreten Anlass einen Zugriff auf die Vorratsdaten erhalten müssten.

Letztlich wird also deutlich: Neben Bürgerrechtlern, Netzaktivisten und Wirtschaftsverbänden lassen auch die Vertreter von Sicherheitsbehörden kaum ein gutes Haar an dem Entwurf. Immerhin bestätigt dies die Ahnung von Justizminister Maas, der bei der Vorstellung der Leitlinien im April erklärt hatte: „Das ist nicht die alte Vorratsdatenspeicherung, wie die Sicherheitspolitiker sie sich wünschen. Anderen – wie etwa den Netzpolitikern – wird er eventuell zu weit gehen.“ Angesichts der Kritik von allen Seiten bestehen jedoch erhebliche Zweifel, ob die Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung der „vernünftige Kompromiss“ ist, den Maas versprochen hat.

Nvidia GTC 2024 (18.–21. März 2024): ComputerBase ist vor Ort!
  57 Kommentare
Themen:
  • Andreas Frischholz E-Mail
    … ist Politikwissenschaftler und berichtet seit 2004 über Netzpolitik, Tech-Ökonomie und den digitalen Wandel der Gesellschaft.
Quelle: Spiegel

Ergänzungen aus der Community

  • Demi-vi 28.06.2015 17:57
    Viel schlimmer ist: ein Großteil der Menschen ist sich darüber gar nicht im Klaren, dass Sicherheit und Freiheit relativ frei definierbare Begriffe sind, deren Definition nicht nur von einem gesellschaftlichen Konsens abhängig ist (ähnlich wie Moral/Werte), sondern auch von den Machthabern innerhalb einer Gesellschaft.

    Ebenso entscheidet weniger das Volk, sondern vor allem die Regierenden darüber, wer/was schützenswert ist und wer/was nicht. Welche Form von Sicherheit/Freiheit existieren soll ist also nicht nur von der Definition abhängig, sondern auch von der Motivation.

    Auch wird oft vergessen, dass alles was für einen bestimmten Zweck geschaffen wird, nicht nur einzig allein diesem Zweck dienen kann und wird. Die VDS (und zukünftige Änderungen zu Gunsten der Behörden, die es unweigerlich geben wird) mag vllt in Zukunft Verbrechensaufklärung erleichtern, eventuell sogar Verbrechen verhindern. Die VDS mag eventuell aber auch dabei helfen, jene hinzurichten die sie eingeführt haben, nachdem ein Umsturz die Machtverhältnisse geändert hat. Die VDS mag einen zweiten, effektiveren Holocaust ermöglichen. Oder die Welt retten. Wer weiß das schon?
    Was aber definitiv sicher ist: niemand kann garantieren, dass gesammelte Daten keinen Schaden anrichten werden können. Dieses Missbrauchspotential in Kombination mit den anfangs erläuterten Zusammenhängen müsste eigentlich wirklich jeden (auch VDS-Fans) wachrütteln.


    Aber machen wir uns trotz allem nichts vor: der Zug ist längst abgefahren. Die Überwachung ist schon so sehr voran geschritten, dass weder Gesetze noch Systemumstürze etwas daran ändern können. Es gibt nur ein Szenario das etwas ändern könnte: steinzeitliche Verhältnisse.