Hintergründe und Analysen: Was ist eigentlich ACTA?

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Andreas Frischholz (+1)
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Fazit

Nach Betrachtung des Inhalts lässt einen der allgemeine Aufschrei erstaunen. Der Vertrag ist kein präziser Leitfaden, der einen engen politischen Rahmen mit virtuellem Stacheldraht absteckt, sondern eher ein kafkaesk anmutendes Werk. Viel „kann“, wenig „muss“ – der ursprünglichen Intention wird das Vertragswerk offenbar nicht mehr gerecht, aber es ist spürbar, wessen Geistes Kind es ist. Neu ist das alles nicht, Versuche dieser Art gab und gibt es regelmäßig. Oftmals sogar mit deutlich konkreter Umsetzung, wie etwa beim „Three-Strikes“-Modell in Frankreich. Das, was das Abkommen daher aus der Sicht der Gegner so unheilig erscheinen lässt, liegt wohl eher in der Vehemenz der Geheimhaltungsversuche und seiner Unausgewogenheit, was die Interessensabwägung zwischen Rechteinhaberinteressen und Bedürfnissen der Internetnutzer anbelangt.

Prinzipiell ist es ein gerechtfertigtes Bedürfnis von Rechteinhabern, ihr Eigentum auch zu schützen – genauso, wie auch ein normaler Bürger erwartet, dass sein Eigentum in Form von Automobilen, Grundstücken und sonstigen Gütern respektiert wird. Seine Tücken liegen daher in der Grundhaltung gegenüber der undifferenzierten Eingriffsintensität in Grundrechte Anderer zum Zwecke des Eigentumsschutzes. Als Beispiel kann hier die Absicht dienen, Dinge, die nicht auf gesetzlichem Wege durchgebracht werden können, durch staatlich geförderte Privatabkommen zwischen Rechteverwertern und Internetanbietern auszulagern. Die Intention der Rechteverwerter fasst der Autor Sascha Lobo zusammen und ordnet das Abkommen in den Kampf um die Durchsetzung des Urheberrechts ein.

Ohne das Urheberrecht in seiner vordigital geprägten Form würde mindestens die westliche Zivilisation, vermutlich aber doch eher die gesamte Welt untergehen. Damit geht ein fataler Wahlspruch einher: „Der Zweck heiligt die Mittel.“ Wer am Abgrund steht oder sich so fühlt, der wird alles tun, um nicht abzustürzen. Alles bedeutet in diesem Fall: die vermeintlichen Interessen der Inhalte-Industrie durchzusetzen um den Preis eines funktionierenden, offenen Internets.

Ebenso setzt sich der deutsche Datenschutzbeauftragte Peter Schaar kritisch mit dem Inhalt des Abkommens auseinander:

Kritisch zu beurteilen ist auch, dass nach dem Abkommen ein weitgehend reibungsloser Austausch – auch personenbezogener – Daten zwischen den Vertragsparteien vorgesehen ist, unabhängig von rechtstaatlichen Garantien im Empfängerland (Art 33 ff.). Zu fragen ist, ob dies in Übereinstimmung mit den Vorgaben des europäischen Datenschutzrechts steht, die einen angemessenen Datenschutzstandard beim Empfänger vorschreiben.

Eine Rechtsänderung wird nach der Ansicht von Schaar zumindest in Deutschland nicht erfolgen, dafür befürchtet er erhebliche Auswirkungen auf die Rechtspraxis. Das sei gravierend, da „viele Internetdienste eben nicht mehr national erbracht werden und dementsprechend nicht mehr durch nationales Recht abschließend normiert“ werden könnten. Negative Auswirkungen auf „auf den Datenschutz und das Fernmeldegeheimnis“ halte er infolge dessen für mehr als wahrscheinlich.

Abschließend sollte man aber noch anmerken, dass sich der Vertragsentwurf nicht ausschließlich auf das „digitale Umfeld“ bezieht, sondern gemäß der Definition von geistigen Eigentum aus dem TRIPS-Abkommen (Artikel 5, Absatz 2) weitere wirtschaftliche Bereiche umfasst.

Perspektive

Immer mehr Länder haben aufgrund der Proteste vorerst keine Unterschrift unter das Abkommen gesetzt, so auch Deutschland. Die Betonung liegt allerdings auf „vorerst“. Die Initiatoren dürften allmählich verzweifeln. Erst kommt das Abkommen innerhalb der Verhandlungsphase an die Öffentlichkeit, was wohl zu einer deutlichen Abschwächung der Vorschriften geführt hat, mittlerweile ist der Prozess komplett vom Kurs abgekommen – und das kurz vorm Einbiegen auf die Zielgerade. Als Beleg dafür kann die Aussage der EU-Kommission gewertet werden, in der sie bedauert, dass sich die Diskussion weg von den Freihandelsaspekten des Abkommens hin zu den Grundrechten verlagert hat.

Es geht daher vielmehr darum, ob das allgemeine Schutzbedürfnis von Rechteinhabern derart hochwertig sein soll, dass es auch undifferenzierte und pauschale Eingriffe in Grundrechte und Grundfreiheiten der Bevölkerung eines Staates legitimiert. Im Grunde ist das ACTA ein Symptom der immer manifester werdenden Frage, was mehr rechtlichen Wert haben soll. So stellt sich zwangsweise die Frage nach einer Überarbeitung des bisher bekannten Urheberrechts, die wenigsten ACTA-Kritiker wollen es abschaffen – entgegen den Vorwürfen von Befürwortern des Abkommens.

Es bleibt allerdings fraglich, ob man bei zukünftigen Initiativen wie etwa der anstehenden Neuregelung der IPRED-Richtlinie derartige Überlegungen einfließen lassen wird, oder doch versucht, einseitige Interessen auch auf Kosten der Allgemeinheit durchsetzen zu wollen. Eindeutige Äußerungen des Präsidenten des Europäischen Parlamentes Schulz oder jene der Kommissarin Viviane Reding scheinen aber gewichtige Indizien zu sein, dass einseitige Interessensberücksichtigung auch in Unionsinstitutionen momentan mit entschlossenem Gegenwind zu rechnen hat.

So scheint ACTA selbst derzeit dasselbe Schicksal zu blühen wie den US-Gesetzesvorhaben SOPA und PIPA – es liegt vorerst auf Eis. Die kommenden Wochen dürften entscheiden, ob das Abkommen – in welcher Form auch immer – nochmals zur Ratifizierung vorgelegt wird, oder die dahinter stehenden Verbände einen komplett neuen Anlauf starten.

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