Analyse: Pokémon Go und der Kampf um die Netzneutralität

Andreas Frischholz
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Analyse: Pokémon Go und der Kampf um die Netzneutralität

Pokémon Go und die Netzneutralität

Eigentlich ist es nur eine der kleinen Geschichten rund um den Pokémon-Go-Hype: Im Rahmen des „T-Mobile Tuesday“ will die amerikanische Telekom-Tochter den Spielern künftig den vom Spiel verursachten Datenverkehr erlassen. Wer also das kostenlose Angebot bucht, bekommt den Datenverkehr von Pokémon Go nicht mehr auf das High-Speed-Volumen angerechnet.

Was zunächst nach einem charmanten Geschenk klingt, entpuppt sich beim genaueren Hinsehen als vergiftete Praline. Denn netzpolitisch sind solche Ausnahmen beim mobilen Datenverkehr äußerst heikel, weil diese nicht mit der Netzneutralität vereinbar ist.

Immer wieder die Netzneutralität

Netzneutralität. Ein Konzept, das vom Klang zwar mit der Ausstrahlung eines spröden Aktenschranks konkurriert, im Kern aber nicht viel weniger ist als die Verfassung des Internets. Es legt im Grundsatz fest, wie das Netz funktioniert. Je strikter die Vorgaben, desto weniger dürfen Provider in den Datenverkehr eingreifen. In der Praxis heißt das: Einzelne Internetdienste sollen nicht bevorzugt werden, nur weil diese eine bestimmte Gebühr an die Provider zahlen. Auf diese Weise soll dann das offene Internet und Chancengleichheit gesichert werden, so der hehre Grundsatz von den Befürworter der Netzneutralität.

Was hat das Ganze nun mit Pokémon Go zu tun? Bei dem Angebot der amerikanischen T-Mobile handelt es sich um ein sogenanntes Zero Rating. Beschrieben werden damit Internetdienste, die Provider nicht auf das begrenzte Daten-Kontingent der Kunden anrechnen. Für die jeweiligen Nutzer ist das zunächst einmal lukrativ, vor allem im Mobilbereich sind die Volumen arg begrenzt. Umso verlockender ist also die Option, bestimmte Apps nutzen zu können, ohne dass ab der Monatsmitte eine Rückkehr ins Edge-Zeitalter droht.

Nun warnen allerdings Netzaktivisten: Sollten solche Angebote zum Normalfall werden, drohen der Allgemeinheit ungemütlichere Zeiten. Die Dystopie besagt: Ausnahmen wie für Pokémon Go sind der Vorbote für ein Zeitalter, in dem das Netz vollends zerstückelt ist. Nutzer wären im Worst-Case-Szenario auf den richtigen Provider inklusive der passenden Tarifoption angewiesen, um eine bestimmte App anständig nutzen zu können. Ärgerlich für die Nutzer. Und problematisch für App-Anbieter, die noch kein Abkommen mit einem Provider haben. Diese hätten einen gravierenden Nachteil, allein durch die Tatsache geschuldet, dass der Datenverkehr auf Volumen angerechnet wird. Vor allem kleinere Anbieter und Startups würden leiden.

Der Vorwurf lautet also: Zero Ratings spielen vor allem den Branchengrößen in die Karten. Ein Widerspruch zu einem offenen Internet, in dem jeder dieselbe Chance haben sollte.

Regeln für Europa: Die Stimme der Bürger wird erhört

Inwieweit solche Abkommen in Europa erlaubt sind, ist noch nicht abschließend geklärt. Wie kompliziert derzeit die Lage ist, lässt sich etwa anhand des Zero-Rating-Abkommens zwischen der Deutschen Telekom und Spotify beschreiben.

Der Telekom-Spotify-Deal

Ursprünglich bedeutete die „Music-Streaming“-Option der Telekom: Wer diese bucht, bekommt den Datenverkehr von Spotify nicht auf das Datenkontingent angerechnet und kann den Dienst auch noch nutzen, wenn sämtliche Daten aufgebraucht sind. Weil seit dem 30. April die Netzneutralität-Richtlinie in Kraft ist, hat die Telekom aber reagiert. Nun wird der Spotify-Datenverkehr zwar immer noch nicht auf den Datenverkehr angerechnet, dafür wird der Dienst aber auch gedrosselt, wenn das Volumen verbraucht ist. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Konsequent ist das nicht.

Damit sich das ändert, ist nun die BEREC gefragt, der Dachverband der europäischen Telekom-Regulierungsbehörden. Die Richtlinie zur Netzneutralität gilt zwar seit dem 30. April, doch dabei handelt es sich nur um den Rahmen. An den Details arbeiten die Regulierer seit einigen Monaten. Bis August soll die finale Entscheidung stehen, doch bis dahin geht es noch um die Frage: Fallen die Regeln wirklich so strikt aus, dass ein Zwei-Klassen-Internet verhindert wird?

Das interessante an dem Verfahren ist: Es findet nicht nur in den Hinterzimmern der EU-Gremien statt, auch normale Bürger können im Rahmen einer öffentlichen Konsultation beteiligen. Die Frist läuft bis heute um 14 Uhr. Daher werben nun die Netzaktivisten um möglichst viele Stimmen. Zuletzt erklärten etwa der WWW-Mitbegründer Tim Berners-Lee sowie die Professoren Lawrence Lessig und Barbara van Schewick in einem offenen Brief: „Das Internet hat sich zur kritischen Infrastruktur unserer Zeit entwickelt – für unser tägliches Leben, für unsere Wirtschaft, für unsere Demokratie. Strenge (Netzneutralität-)Richtlinien schützen die Zukunft des Wettbewerbs, der Innovationen und der Kreativität in Europa.“ Ohne Netzneutralität sei hingegen die digitale Zukunft von Europa in Gefahr.

Und die Kampagne ist schon heute ein Erfolg, erklärt Thomas Lohninger von der Aktionsplattform SaveTheInternet.eu. Bisherige Konsultationen hätten im Schnitt nicht mehr als 19 Antworten erzielt, der Spitzenwert lag bei 72 Stellungnahmen. Zahlen, die die aktuelle Netzneutralität-Konsultation torpediert: Mehr als 100.000 wurden allein über SaveTheInternet.eu abgegeben. Und nach Ansicht der Netzaktivisten sollten es bis zum Ablauf der Frist noch deutlich mehr werden. Lohninger: „Wir müssen der Regulierungsbehörde BEREC zeigen, wie viel leidenschaftliche Unterstützung es in Europa für Netzneutralität gibt.

Das Ziel der Netzaktivisten: Je mehr Stimmen abgegeben werden, desto stärker ist das Gegengewicht zur Telekom-Lobby.