Vorratsdatenspeicherung: Verfassungsbeschwerde mit mehr als 32.000 Unterstützern

Andreas Frischholz
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Vorratsdatenspeicherung: Verfassungsbeschwerde mit mehr als 32.000 Unterstützern

Digital Courage und der AK Vorrat haben heute eine Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung eingereicht. Unterstützt werden die Vereine von 20 weiteren Beschwerdeführern sowie mehr als 32.000 Menschen, die die Klageschrift unterzeichnet haben.

Die Aktivisten waren bereits an der Klage beteiligt, welche die erste Variante der Vorratsdatenspeicherung zu Fall brachte. Nun soll das Bundesverfassungsgericht auch das „Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten“ kippen, das die Bundesregierung im Herbst 2015 beschlossen hatte. Tatsächlich dauert es aber noch, bis die Datensammlung startet. Bis zum Sommer 2017 haben die Provider Zeit, um die Anforderungen der Bundesnetzagentur umzusetzen.

Vorratsdatenspeicherung: Alter Wein in neuen Schläuchen

Im Kern ist die Kritik an der Vorratsdatenspeicherung immer noch dieselbe: Wenn Verbindungs- und Standortdaten erfasst werden, ist das ein massiver Eingriff in die Grundrechte. Deswegen haben sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der Europäische Gerichtshof die alte Vorratsdatenspeicherung als rechtswidrig eingestuft.

Laut dem neuen Gesetz werden Verkehrsdaten für zehn Wochen und Standortdaten für vier Wochen gespeichert. Die Daten von E-Mails werden nicht erfasst. Für das Justizministerium ist das ein Kompromiss, um die Auflagen der Gerichte zu erfüllen. Bei dem ersten Gesetz wurden die Daten noch über sechs Monate hinweg gespeichert.

Für Bürgerrechtler macht es aber keinen Unterschied, denn im Grundsatz bedeutet die Vorratsdatenspeicherung immer noch: Verkehrs- und Standortdaten werden ohne Ausnahme gesammelt, sodass eine anlasslose Überwachung stattfindet. „Zielgerichtete Ermittlungen sind rechtsstaatlich – wahllose Massenerfassung ist überwachungsstaatlich. Eine freie Gesellschaft braucht vertrauliche und spurenlose digitale Kommunikation“, erklärt Patrick Breyer vom AK Vorratsdatenspeicherung, der auch für die Piraten im Landtag in Schleswig-Holstein sitzt.

Lücken im Gesetz

Zudem existieren Lücken im Gesetz, wie etwa der Richtervorbehalt verdeutlicht. Polizeibehörden sollen prinzipiell nur dann auf die Datenberge zugreifen können, wenn ein Richter die Anfrage absegnet. Allerdings lasse sich das umgehen. So kritisieren die Bürgerrechtler, dass die Daten auch über die Bestandsdatenauskunft abgerufen werden können. Und für eine solche Auskunft ist kein Richter nötig, stattdessen erhält sogar der Verfassungsschutz einen Zugang zu den Vorratsdaten.

Ebenso bezweifelt man, dass die anlasslose Datensammlung für Polizeibehörden dringend erforderlich ist. Dass ohne Vorratsdatenspeicherung keine Schutzlücke besteht, war das Resultat einer Studie des Max-Planck-Instituts aus dem Jahr 2012. „Kriminelle wissen die Überwachung zu umgehen, alle anderen werden unter Generalverdacht gestellt. Das beschädigt massiv Rechtsstaat und Demokratie“, sagt der Digitalcourage-Netzaktivist padeluun.

Politisch tendiert die Debatte allerdings in die andere Richtung. Nicht das Ende der Vorratsdatenspeicherung steht auf der Agenda, stattdessen fordern vor allem die Sicherheitspolitiker aus den Reihen der Union längere Speicherung und eine Ausweitung auf Internetdienste wie WhatsApp.

Vorratsdatenspeicherung als Gefahr für Journalisten, Anwälte und Whistleblower

Nach Ansicht der Beschwerdeführer untergräbt die Vorratsdatenspeicherung nicht nur das Telekommunikationsgeheimnis, sondern auch die Grundrechte auf Informations- und Pressefreiheit. Ohne Vertraulichkeit sei etwa kein Journalismus möglich, erklärt Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV). „Die Kompetenz der Journalisten zum Quellenschutz hilft gar nicht mehr, wenn Kontaktprofile erstellt werden.

Neben Journalisten betrifft die Vorratsdatenspeicherung auch weitere Berufsgeheimnisträger wie Anwälte. Zudem sei die anlasslose Datensammlung eine Gefahr für Whistleblower. „Eine Demokratie braucht überwachungsfreie Räume, in denen Whistleblower sich an Anwälte, Beratungsstellen und Journalisten wenden können, um Missstände aufzudecken“, sagt Katharina Nocun, ehemals politische Geschäftsführerin bei den Piraten und nun Mitglied im Beirat des Whistleblower-Netzwerks.

Weitere Klagen laufen

Insgesamt sind es mehr 20 Beschwerdeführer, die die Klage unterstützen und heute die Unterstützerliste mit den 32.194 Unterschriften beim Bundesverfassungsgericht abgeliefert haben. Neben den genannten Personen zählen dazu etwa die Schriftstellerin Juli Zeh, der Kabarettist Marc-Uwe Kling und ver.di-Chef Frank Bsirske. Hinzu kommen noch weitere Gruppen, die eine Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht haben. Gescheitert ist aber ein Eilantrag, um die Vorratsdatenspeicherung frühzeitig zu stoppen.

Der Münchner Provider SpaceNet AG klagt zudem noch vor dem Verwaltungsgericht Köln. Angesichts der Anforderungen für den Datenschutz und die Datensicherheit, die Provider bei der aktuellen Vorratsdatenspeicherung erfüllen müssen, befürchten vor allem die kleineren und mittleren Unternehmen ein Insolvenzrisiko, wie der Internetwirtschaftsverband eco seit geraumer Zeit kritisiert.