Analyse: Privatsphäre im Zeitalter von Big Data

Andreas Frischholz (+1)
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Analyse: Privatsphäre im Zeitalter von Big Data
Bild: Bill Smith | CC BY 2.0

Wahlkämpfe basieren auf modernen Big-Data-Analysen, Internetkonzerne entwickeln immer neue Produkte, die auf das Auswerten von Nutzerdaten angewiesen sind – wenn es um den klassischen Datenschutz geht, wird es schwierig. Neue Lösungen sind gefragt. Eine Analyse anlässlich des Europäischen Datenschutztags.

Ernüchternde Gegenwart

Moderne Big-Data-Analysen gelten als letzter Schrei für Wahlkämpfe, Nutzerdaten von sozialen Netzwerken wie Facebook sind damit immer begehrter. Intelligente Lautsprechersysteme wie Amazon Echo lassen sich auf Zuruf bedienen, hören aber den ganzen Tag in den Raum hinein und erwecken allein damit schon das Interesse amerikanischer Polizeibehörden. Überhaupt Behörden: Der Ausbau des staatlichen Überwachungsstaats schreitet ebenfalls voran. In den USA könnte mit Präsident Donald Trump eine neue Ära anfangen, der Ausbau der NSA-Überwachung steht wieder auf der Agenda. Und Deutschland hat letztes Jahr schon mit Maßnahmen wie der Vorratsdatenspeicherung und dem BND-Gesetz vorgelegt.

Nein, es war kein vielversprechendes Jahr, wenn es um den Schutz der Privatsphäre geht. Nun findet an diesem Wochenende der Europäische Datenschutztag statt. Das Ziel: Die Bürger für den Datenschutz sensibilisieren. Die Frage ist nur, wie das gelingen soll, denn das Bewusstsein ist ohnehin schon vorhanden. Selbst wenn Nutzer nicht immer getreu der Datenschutz-Richtlinien handeln, reagieren die meisten doch argwöhnisch, wenn Unternehmen quer schießen. Groß war der Aufschrei etwa, als im letzten Jahr bekannt wurde, dass WhatsApp künftig die Nutzerdaten mit Facebook teilen will. Ebenso dürfte Microsoft noch die Kritik an Windows 10 in den Ohren hallen. Es ist die Angst vor dem Kontrollverlust, der über einer Digitalwirtschaft schwebt, die vom Auswerten der Nutzerdaten lebt – sei es nun, um die Dienste an die Gewohnheiten der Nutzer anzupassen, wie es bei intelligenten Messengern wie Googles Allo und Lautsprechersystemen wie Echo der Fall ist.

Nun ändert der Argwohn eben nichts an der Tendenz, die die Marktführer aus dem Silicon Valley vorgeben. Massenhaft Informationen sammeln, per Algorithmus auswerten und die Erkenntnisse vermarkten – so lautet die Erfolgsformel. Daten gelten nicht ohne Grund als Rohstoff des 21. Jahrhunderts, der die Basis für neue Geschäftsmodelle ist. Das Kernproblem ist nur: Mit der Privatsphäre lässt sich so etwas nicht ohne Weiteres vereinbaren.

Clevere Lösungen wären also gefragt. Während die EU aber mit der europäischen Datenschutzreform vorgelegt hat, die ab Mai 2018 in Kraft tritt, tritt die Bundesregierung auf die Bremse. Vom Prinzip der Datensparsamkeit hat man sich etwa mental schon verabschiedet. Kanzlerin Angela Merkel sagte beispielsweise auf dem CDU-Parteitag im Dezember: „Die Idee, dass man sparsam mit Daten umgeht, gehört in das vergangene Jahrhundert.“ Deutschland müsse vorne mit dabei sein, wenn es um das massenhafte Auswerten von Daten geht. Eine Position, die auch weitere Vertreter der Bundesregierung seit geraumer Zeit vertreten, unter Applaus der Wirtschaftsverbände.

Bisweilen wirkt es, als wäre der Datenschutz etwas, das zwar für Sonntagsreden taugt, den digitalen Geschäften im Alltag aber möglichst nicht im Wege stehen soll.

Privatsphäre als Chance für das Big-Data-Zeitalter

Für Verbraucherschutzverbände und Datenschützer ist das aber schlicht der falsche Ansatz. Big-Data-Analysen können ein großer Gewinn für die Nutzer sein, heißt es etwa in einer Analyse (PDF) vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv). Wenn vernetzte Autos den Fahrern mehr Informationen bereitstellen, wenn sich Dienste an individuelle Vorlieben anpassen, wenn sich in der Medizin Krankheiten leichter erforschen lassen, dann ist das alles von Vorteil für die Bevölkerung. Nur sei das eben noch lange kein Grund, die Privatsphäre der Nutzer zu schleifen. So warnen die Verbraucherschützer: „Vorlieben, Ansichten und Verhaltensweisen werden systematisch gesammelt und in Profilen zusammengefasst. Algorithmen entscheiden bereits heute nicht nur welche Werbung Nutzer im Internet sehen, sondern könnten auch bestimmen, welchen Preis sie individuell für ein Produkt zahlen oder welche Informationen sie auf Nachrichtenseiten oder durch Suchmaschinen erhalten – und die zukünftigen Risiken gehen weit darüber hinaus.

Ähnlich ist die Einschätzung von Peter Schaar, Vorsitzender der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz und ehemaliger Bundesdatenschutzbeauftragter. Auf Anfrage von ComputerBase erklärt er, dass etwa die Datensparsamkeit ohnehin nur gilt, wenn es sich um personenbezogene Daten handelt. Sobald also keine Informationen über die Nutzer involviert sind, haben die Unternehmen freie Hand. Das Problem ist nur, dass oftmals Nutzerdaten erfasst werden, obwohl es für das Geschäftsmodell eigentlich nicht nötig sei. Dank der europäischen Datenschutzreform müssten die Unternehmen aber reagieren.

Anonymisierung und die Verwendung von Pseudonymen werden immer wichtiger. Das – auch von der Bundesregierung gebilligte – neue Datenschutzrecht ist ab 2018 verbindlich, auch wenn es dem einen oder anderen nicht gefällt.

Peter Schaar

Ohnehin hat die EU mit der europäischen Datenschutzreform eigentlich schon längst entscheiden, dass Privacy-by-Design die Zukunft ist. Der Schutz der Nutzerdaten ist dann nicht mehr nur ein Zubrot, sondern muss künftig einer der zentralen Bestandteile sein. In der Praxis bedeutet das: Firmen sollen möglichst wenig personenbezogene Daten sammeln, zudem müssen entsprechende Daten verstärkt anonymisiert und pseudonymisiert werden. Konkret wird das durch Vorgaben wie die Zweckbindung und die Einwilligung geregelt. Was bürokratisch klingt, sind zentrale Elemente für den Schutz der Privatsphäre im Big-Data-Zeitalter. Denn im Kern bedeutet es: Anbieter dürfen persönliche Daten nur verarbeiten, wenn die Nutzer zuvor eine Erlaubnis für den jeweiligen Zweck erteilt haben. Nutzerdaten sammeln und beliebig auswerten geht nicht. „Pauschale Einwilligungen, wie sie zum Beispiel Google oder Facebook von ihren Kunden verlangen, sind nach Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung nicht mehr zulässig. Entsprechende, im Internet weit verbreitete Praktiken, wären dann illegal“, so Peter Schaar.

Abgerundet wird die Datenschutzreform durch die neue ePrivacy-Verordnung, die ebenfalls im Mai 2018 in Kraft treten soll. Damit werden dann die Anbieter von Messenger-Diensten wie WhatsApp und Skype rechtlich gleichgestellt mit den klassischen Telekom-Konzernen. Schaar begrüßt zudem noch, dass Webseiten-Betreiber die „Do-not-Track“- Option in den Browser-Einstellungen „nicht mehr straflos ignorieren“ dürfen.

Generell gilt daher: Die Nutzer sollen also mehr Kontrolle erhalten und wissen, was mit ihren Daten geschieht. Das ist das erklärte Ziel.

Bundesregierung sträubt sich

Ein Ziel, mit dem die Bundesregierung noch hadert. So lässt sich zumindest der Gesetzentwurf interpretieren, mit dem die EU-Datenschutzreform in Deutschland umgesetzt werden soll. Anfang Februar stimmt das Bundeskabinett über einen Entwurf ab, der äußerst umstritten ist. Einige der Kritikpunkte:

  • Anbieter dürfen die Zweckbindung umgehen, wenn ein „berechtigtes Interesse“ vorliegt. Nur definiert niemand, was ein berechtigtes Interesse ist.
  • Bei den Informationspflichten der Anbieter sowie dem Recht der Nutzer auf Auskunft, Widerspruch und Löschung geht der Gesetzentwurf nicht weit genug.

Es ist in etwa das, was Branchenverbände wie der Bitkom fordern. Um Innovationen zu entwickeln, würden die Internetdienste mehr Freiräume benötigen, so das Credo. Eine zu strenge Zweckbindung, die stets eine Einwilligung der Nutzer erfordert, ist da nur ein Ärgernis, das Firmen hemmt. Der Vorwurf der Datenschützer ist allerdings, dass der Entwurf damit hinter das bestehende Datenschutzrecht zurückfällt und angesichts der Vorgaben durch die EU sogar europarechtswidrig ist. Und letztlich schade es auch der Wirtschaft, denn eine Erkenntnis aus der Post-Snowden-Ära ist: Die Privatsphäre wird auch als Geschäftsmodell immer wichtiger. Kein Anhängsel und Kostentreiber, sondern eine Chance, um sich mit entsprechenden Diensten von der Konkurrenz abzusetzen. Und für europäische Firmen sind das in erster Linie die amerikanischen Branchenriesen.