Pixel 4 XL im Test: Face Unlock und Motion Sense

 2/5
Nicolas La Rocco
182 Kommentare

Pixel 4 und Pixel 4 XL haben keinen Fingerabdrucksensor mehr auf der Rückseite, auch nicht auf der Vorderseite oder in das Display integriert, wie es OnePlus und Samsung machen, beim einen Hersteller optisch, beim anderen per Ultraschall. Google hat sich beim Pixel 4 vollständig auf die Entsperrung über das Gesicht des Anwenders festgelegt, andere biometrische Methoden gibt es nicht. Wer Face Unlock nicht nutzen möchte, kann das Smartphone klassisch mit Passwort, PIN oder Wischmuster entsperren.

Face Unlock im Pixel 4 ist glücklicherweise keine einfache 2D-Gesichtserkennung, sondern ein aufwendiges 3D-Verfahren ähnlich der Face ID bei Apple oder Huaweis System im Mate 20 Pro (Test) und Mate 30 Pro. Bei diesen Lösungen wird nicht einfach nur ein Foto des Nutzers abgeglichen, sondern dreidimensional der gesamte vordere Bereich des Kopfes.

Breiter Rahmen für viele Sensoren

Damit die dafür benötigten Sensoren Platz im Smartphone haben, braucht es entweder eine größere Notch, so wie sie iPhone X und neuer oder Huaweis Mate-Pro-Serie aufweisen, oder aber eine durchgehend größere „Stirn“ oberhalb des Displays. Google legt beim Pixel 4 eine 180-Grad-Wendung hin und wechselt von der gigantischen „Badewannen-Notch“ des Pixel 3 XL zu einem etwa 1 cm hohen, durchgehenden Rahmen oberhalb des Bildschirms. Unterhalb des Displays ist der Rahmen nur etwa 5 mm hoch.

Im oberen Displayrand mit Google zahlreiche Sensoren unter
Im oberen Displayrand mit Google zahlreiche Sensoren unter

Was sich alles an Sensorik im oberen Rahmen tummelt, ist schnell erklärt. Von links nach rechts sind das in beiden Pixel-4-Varianten eine Infrarot-Kamera für Face Unlock, die normale Selfie-Kamera, ein Umgebungslicht- und Annäherungssensor, der Lautsprecher zum Telefonieren und das Gegenstück zum unteren Lautsprecher bei Musik und Videos, der Project-Soli-Radarchip für Motion Sense, ein Punktprojektor für Face Unlock, eine zweite Infrarot-Kamera für Face Unlock sowie ein Flood Illuminator ebenfalls für Face Unlock. Für den Anwender sichtbar sind davon mit bloßem Auge erst einmal nur die normale Frontkamera und der Lautsprecher. Erst bei genauerer Betrachtung sind zwei schwarze Aussparungen für die weiteren Sensoren erkennbar.

Sensoren für Project Soli und Face Unlock im Pixel 4
Sensoren für Project Soli und Face Unlock im Pixel 4 (Bild: Google)

Face Unlock ist auf dem Pixel 4 schnell eingerichtet. Das passiert im Rahmen der Ersteinrichtung des Smartphones und muss wie bei Apple oder Huawei über die Eingabe einer PIN bestätigt werden, die zudem stets beim Starten des Smartphones abgefragt wird. Für die Einrichtung muss das Gesicht leicht vor dem Smartphone rotiert werden, bis alle Bereiche erfasst wurden. Neigt man den Kopf zu weit zur Seite, zeigt der Einrichtungsassistent einen entsprechenden Warnhinweis an. Face Unlock soll auch bei körperlich eingeschränkten Personen, die ihren Kopf nicht bewegen können oder ein eingeschränktes Sehvermögen haben, in einem vereinfachten Modus funktionieren. Dann muss das Smartphone allerdings deutlich näher an das Gesicht gehalten werden.

Teil der Einrichtung sind Hinweise und Warnungen, dass Face Unlock auch mit einer Korrekturbrille oder leicht getönten Sonnenbrille funktioniert. Google weist zudem darauf hin, dass die biometrischen Daten ausschließlich auf dem Smartphone gespeichert werden. In puncto Sicherheit heißt es, das Smartphone könne potenziell unbeabsichtigt entsperrt werden, wenn darauf geblickt wird. Das Smartphone könne zudem entsperrt werden, indem eine andere Person es vor das Gesicht des Besitzers hält. Auch ein Hinweis zum Entsperren bei sehr ähnlich aussehenden Personen, etwa bei eineiigen Zwillingen, fehlt nicht. Mehr zum Thema Sicherheit folgt im übernächsten Abschnitt.

Radarchip beschleunigt Gesichtsentsperrung

Google hat Face Unlock aber nicht als eigenständiges System entwickelt, sondern kombiniert es mit dem Project-Soli-Radarchip. Der erkennt schon bei Annäherung der Hand, dass der Anwender zum Smartphone greifen und dieses wahrscheinlich entsperren möchte, schaltet daraufhin die Sensorik für Face Unlock scharf, die dann blitzschnell beim Anheben des Smartphones selbiges entsperrt. Der gesamte Vorgang ist in Windeseile erledigt und mindestens so schnell wie die zweite Generation Face ID des iPhone 11 (Pro) (Test).

Face Unlock ist zu schnell für den Sperrbildschirm

Genau genommen ist der Vorgang so schnell, dass der Sperrbildschirm obsolet wird. Denn bevor man sich dessen Informationen anschauen kann, ist man bereits auf dem zuletzt verwendeten Bildschirm gelandet. Ein Wischvorgang von unten nach oben zum Entsperren, so wie bei iOS, wird nicht mehr benötigt. Deshalb gibt es in den Optionen für Face Unlock die Einstellung „Sperrbildschirm überspringen“, die standardmäßig aktiviert ist, aber auf Wunsch ausgeschaltet werden kann, damit die Inhalte des Sperrbildschirms gelesen und vor dem „Öffnen“ des Smartphones eine Wischgeste notwendig ist.

Face Unlock überspringt wahlweise den Sperrbildschirm (dritte Option)
Face Unlock überspringt wahlweise den Sperrbildschirm (dritte Option)

Entsperren auch mit geschlossenen Augen

Googles radikale Entscheidung, nach Jahren mit Fingerabdrucksensoren vollständig zu Face Unlock zu wechseln, war eine gute, denn die Umsetzung ist dem Hersteller gleich vom Start weg ausgezeichnet in puncto Komfort und Geschwindigkeit gelungen. Wie sicher das System ist, wird sich im Laufe der Zeit zeigen müssen. Im Vergleich zu Face ID von Apple hat Google den Nachteil, dass nicht überprüft wird, ob der Anwender mit geöffneten Augen auf das Gerät schaut. Diese Funktion lässt sich bei Apple zwar deaktivieren, existiert bei Google aber überhaupt nicht. Das ist insofern interessant, als dass bei geleakten Fotos zum Pixel 4 noch eine sogenannte Awareness-Funktion vorhanden war. Google will in den kommenden Monaten ein entsprechendes Update nachliefern.

Damit Anwender ihr Smartphone vor fremden Entsperrversuchen schützen können, gibt es in den Display-Einstellungen eine Funktion zum Sperren, woraufhin die PIN für den nächsten Versuch vorausgesetzt wird. Unter den erweiterten Display-Einstellungen gibt es das Menü „Sperrbildschirmanzeige“, in dem sich „Option zum Sperren anzeigen“ aktivieren lässt. Bei langem Halten der Power-Taste erscheinen in dem Menü dann nicht nur die Optionen zum Ausschalten und Neustarten, sondern auch zum Sperren.

Titan M speichert biometrische Daten

Die für Face Unlock gespeicherten Gesichtsdaten des Anwenders werden Google zufolge ausschließlich offline auf dem Smartphone innerhalb des eigens entwickelten Titan-M-Chips gespeichert. Die für die Authentifizierung verwendeten Daten sollen nie mit anderen Google-Diensten geteilt werden.

Motion Sense basiert auf Project Soli

Google nutzt den Project-Soli-Radarchip aber nicht nur, um Face Unlock vorzubereiten, sondern auch für eine neue Gestensteuerung, die der Hersteller „Motion Sense“ nennt. Motion Sense ermöglicht die Interaktion mit dem Smartphone, ohne das Display zu berühren. Google ist nicht der erste Hersteller, der ein solches Feature am Markt etablieren will. LG hat das mit dem G8s (Test) minder erfolgreich ebenfalls versucht.

Beim Pixel 4 ist der große Unterschied, dass die Bedienung tatsächlich funktioniert. Und das nicht nur ab und zu, sondern im Test bei fast jedem Versuch. Die für Motion Sense zur Verfügung stehenden Einsatzgebiete sind derzeit noch eingeschränkt. Vielleicht hat sich Google bewusst für wenige Features entschieden, um zumindest diese zuverlässig abwickeln zu können, anstatt viele, dafür aber halbgare Features anzubieten.

Auf dem Pixel 4 lässt sich Motion Sense für die (eingeschränkte) Musiksteuerung, den Timer und Wecker sowie für Anrufe nutzen. Als Teil der „Lebendigen Hintergründe“ lässt sich außerdem dem Pokémon Pikachu zuwinken. Die dafür genutzte Geste ist fast jedes Mal die gleiche und besteht im Prinzip aus nicht mehr als einem Wisch durch die Luft über dem Smartphone. Bei der Musiksteuerung lässt sich mit einem Wisch nach links oder rechts zum nächsten oder vorherigen Lied wechseln. Das funktioniert laut Google unter anderem in den Apps Spotify und YouTube Music, im Test klappte es aber auch mit Tidal zuverlässig. Ob eine App Motion Sense unterstützt, signalisiert ein weißes Leuchten am oberen Bildschirmrand. Eine öffentliche API gibt es noch nicht, Entwickler, die Motion Sense integrieren wollen, müssen derzeit noch Google kontaktieren.

Timer und Wecker werden bei Annäherung leiser

Beim Timer oder Wecker funktioniert Motion Sense zweistufig. Zunächst erkennt der Radarchip, dass sich eine Hand annähert und reduziert die Lautstärke des Timers oder Weckers. Mit einer Wischgeste kann dann im zweiten Schritt selbiger deaktiviert (Timer) oder kurzzeitig ruhiggestellt (Wecker) werden. Um den Wecker vollständig auszuschalten, muss sinnvollerweise das Display bedient werden. Bei Anrufen funktioniert Motion Sense nach gleicher Manier: Bei Annäherung wird der Klingelton zunächst in der Lautstärke reduziert, eine Wischgeste weist den Anruf schließlich ab.