Nvidia Reflex (Analyzer) im Test: Der Latenz auf der Spur

Update Jan-Frederik Timm
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Nvidia Reflex (Analyzer) im Test: Der Latenz auf der Spur

tl;dr: Nvidia stellt die Systemlatenz in Spielen, also die Verzögerung zwischen Befehlseingabe und Bildausgabe, in den Fokus: 360-Hz-Monitore mit Reflex Latency Analyzer machen die Latenz sichtbar, das Reflex SDK kann sie in ausgewählten Spielen gezielt senken. Ein Blick auf die Möglichkeiten und das große Potential.

Update

Die erste Version von Geforce Experience mit neuem Reflex-Latenz-Overlay ist inzwischen zum Download verfügbar. Sie trägt die Versionsnummer 3.20.5.70 und liegt nach eintägigem Betatest als finale Variante vor. Um das Latenz-Overlay zu erhalten, müssen in den Einstellungen zusätzlich die experimentellen Funktionen aktiviert werden.

Auch Spieler ohne 360-Hertz-Display mit Reflex Latency Analyzer können sich ab einer Geforce GTX 900 im Overlay die Render-Latenz, d.h. die kombinierte Verzögerung durch Render Queue und Rendering auf der GPU, anzeigen lassen. Die Latenz bis zum Render-Auftrag und nach der Fertigstellung des Bildes bis zur Darstellung lässt sich hingegen nicht ermitteln.

Reflex-Displays sind bisher nicht im Handel verfügbar, sollen es bis Jahreswechsel aber noch sein. Der einzige 360-Hertz-Monitor im Preisvergleich ist der Asus ROG Swift PG259QN, gelistet ab 700 Euro. Über den Reflex Latency Analyzer verfügt dieses Display allerdings nicht, erst das Schwestermodell ROG Swift PG259QNR wird das tun. Ebenfalls angekündigt sind der Acer Predator X25 und der von ComputerBase getestete Dell Alienware AW2521H.

FPS vs. Frametimes vs. Latenz

Die gängige Währung für die Beurteilung eines Systems in Bezug auf die Leistung in Spielen sind die Bilder pro Sekunde (FPS) sowie die Varianz des Abstandes der einzelnen Bilder (Frametimes). Beide Kennzahlen sind mit den entsprechenden Tools oder sogar direkt im Spiel gut messbar und verständlich: Je höher die FPS und je gleichmäßiger ihr Abstand untereinander, desto flüssiger fühlt sich das Spiel an.

Durchsatz vs. Reaktionsfreudigkeit

FPS können als Maß für den Systemdurchsatz verstanden werden. Es gibt aber noch eine weitere Währung, die vielen Spielern bekannt, aber in der Regel nicht messbar ist: die Latenz, also die Verzögerung zwischen Befehlseingabe (z. B. Mausklick für Schuss) und Ausgabe der daraus resultierenden Aktion auf dem Bildschirm. Die Latenz ist die Maßeinheit für die Reaktionsfreudigkeit des Systems. Latenz und FPS sind nicht gesondert zu betrachten, sondern stehen auch im Verhältnis zueinander.

Allgegenwärtig ist die Latenz seit jeher bei der Frage „VSync an oder aus?“. Aktiviertes VSync, also die Ausgabe eines gesamten Bildes bei jedem Refresh-Zyklus des Displays, erhöht tendenziell die Latenz („Input-Lag“), weil fertig gerenderte Bilder mit (dann alten) Maus- und Tastatureingaben auf den nächsten Refresh-Zyklus warten oder, im Extremfall, sogar noch einmal das gleiche Bild ausgegeben werden muss, weil der PC zum Display-Refresh noch kein neues liefern kann. Mit einem 60-Hertz-Monitor sind so schnell 16,7 ms oder gar ein Vielfaches davon auf die Systemlatenz zu addieren. Auch beim Sensor der Maus und ihrer Polling-Rate oder der Geschwindigkeit des Panels steht die Latenz im Fokus der Diskussion.

In der Regel können Spieler die Latenz aber lediglich im Spiel erfühlen respektive erleben, denn sie zu messen setzt voraus, dass der Zeitpunkt der Eingabe mit dem Zeitpunkt der Ausgabe mit Millisekunden-Genauigkeit erfasst werden kann.

Was beeinflusst die Systemlatenz?

Wie komplex die Kette vom Mausklick oder von der Tastatureingabe bis zur sichtbaren Ausgabe auf dem Bildschirm ist, veranschaulicht die nachfolgende Grafik. Grob lassen sich die Verzögerung und ihre Einflussfaktoren in vier Bereiche einteilen:

  1. Die Verzögerung der Peripherie und ihrer Einbindung im Betriebssystem (Peripherie-Latenz)
  2. Die Verzögerung, die durch Rechenvorgänge auf der CPU verursacht wird (Sampling der Eingabe, ihre Simulation auf die Auswirkungen im Spiel, Übergabe des Render-Auftrags über den Treiber an die GPU)
  3. Die Verzögerung, die durch Rechenvorgänge auf der GPU verursacht wird, inkl. der Wartezeit der Renderaufträge der CPU vor der GPU („Render Queue“)
  4. Die Verzögerung, die nach dem Übermitteln der Ausgabe an das Display im Display selbst entsteht (Display-Latenz)

Sehr deutlich wird, dass der eigentliche Render-Vorgang schnell nur ein sehr kleines Glied in der Kette ausmacht: Läuft ein Spiel mit 100 FPS, dauert das Rendern eines Bildes auf der GPU lediglich 10 ms. Die Verzögerung, die auf einem 60-Hertz-Display durch einen gerade verpassten Refresh-Zyklus bei aktivem VSync hinzukommt, ist mit 16,7 ms fast 70 Prozent größer.

Maßnahmen zum Senken der Latenz

Auch ohne die Latenz jedes Kettengliedes zu kennen, liegen einige Maßnahmen zur Senkung der Gesamtlatenz auf der Hand: Eine schnellere CPU, eine schnellere GPU und ein schnelleres Display respektive VSync aus. Der Blick auf die Kette macht allerdings auch deutlich, dass Kettenglieder sich durchaus beeinflussen und die Änderung eines Kettengliedes weit größere Auswirkungen haben kann, als die isolierte Betrachtung in Aussicht stellt.

So setzt sich die Systemlatenz zusammen
So setzt sich die Systemlatenz zusammen (Bild: Nvidia)

Ein in diesem Zusammenhang prominentes Kettenglied ist die Warteschlange der von der CPU an die Grafikkarte übergebenen und zu rendernden Bilder, die so genannte „Render Queue“. Je schwächer die GPU, desto länger ist diese Schlange potenziell – und desto älter sind die in den Bildern enthaltenen Eingaben des Nutzers beim Rendern. Es wird offensichtlich, dass eine schnellere GPU nicht nur die Verzögerung durch das Rendern als solches, sondern auch die Verzögerung durch die Warteschlange reduzieren kann. Ebenfalls nahe liegt der Einfluss von Betriebssystem, Treiber und Spiele-Engine auf die Latenz. Was bisher fehlte, war Transparenz.

Nvidia Reflex greift genau in diesem Punkt an. Mit dem Reflex Latency Analyzer und dem neuen Overlay in GeForce Experience werden Latenzen erstmals ohne teures externes Equipment sichtbar und das Reflex SDK soll die „Render Queue“ über Eingriffe direkt in der Engine reduzieren können.

Was ist Nvidia Reflex?

Nvidia Reflex zu beschreiben, ist auf den ersten Blick dann auch ganz einfach. Nvidia selbst sagt: Reflex umfasst Technologien zur Optimierung und Messung von Latenzen und zielt damit auf E-Sport. Weil die Technologien von Messinstrumenten in Software über SDKs zur Spiele-Optimierung bis hin zu neuen Monitoren und Mäusen reichen, bedarf es am Ende allerdings einiger Worte mehr, um die Frage umfassend zu beantworten.

Im Kern lassen sich Nvidia-Reflex-Technologien in drei Kategorien einteilen:

  1. Neue Monitore mit Reflex Latency Analyser und Mäuse, die die gesamte Systemlatenz vom Klick auf die Maus bis zur Ausgabe auf dem Display messbar machen – hier profitiert nur der davon, der einen neuen Bildschirm und eine neue Maus mit Nvidia Reflex erwirbt.
  2. Die Anzeige der System-, Maus- und Render-Latenz in Spielen im Overlay von GeForce Experience (ab 3.20.6.5, erscheint am 21. Oktober). Das Overlay steht jedem PC mit GeForce Experience zur Verfügung. Wer nicht über einen Reflex-Monitor oder eine Reflex-Maus verfügt, bekommt immerhin noch die Render-Latenz (s. o.) angezeigt.
  3. Ein SDK für Spiele-Entwickler, das der Optimierung von Latenzen im Render-Vorgang dient – es kann ab GeForce GTX 900 (Maxwell) in unterstützten Spielen genutzt werden. Zum Start sind das Apex Legends (noch per Kommandozeile), Valorant, Fortnite, Destiny 2 und Call of Duty: Warzone.

Technologien aus allen drei Kategorien können gemeinsam zum Einsatz kommen, müssen es aber nicht. Ein Beispiel: Fortnite.

Der Titel hat zum Start der Plattform das Nvidia Reflex SDK bereits integriert. Alle Nutzer einer GeForce GTX 900 (Maxwell) oder neuer können diesen Modus nutzen, um die Latenz zu senken, und sich mit dem neuen GeForce Experience die Render-Latenz auch anzeigen lassen. Nur mit einem der neuen 360-Hertz-Monitore mit Nvidia G-Sync lässt sich allerdings die Auswirkung des Nvidia-Reflex-SDKs auf die gesamte Systemlatenz messen.

Diese Anzeige der Render-Latenz steht wiederum ab sofort auf jedem System zur Verfügung, das GeForce Experience unterstützt, während mit den neuen Monitoren und Mäusen die Latenz auf jedem Rechner ganz unabhängig von der verbauten Grafikkarte und Software ermittelt werden kann – also auch in Windows auf dem Desktop oder mit Grafikkarten von AMD.

Nvidia Reflex Latency Analyzer: Der Monitor misst

Mit dem Latency & Display Analysis Tool (LDAT) hat Nvidia im September ausgewählte Redaktionen (ComputerBase war nicht darunter) mit Mess-Equipment ausgestattet, mit dem sich die Systemlatenz messen lässt. Das System erfasst den Zeitpunkt des Mausklicks und eine sich daraus ergebende kontrastreiche Veränderung auf dem Bildschirm.

Die für Ende 2020 angekündigten ersten 360-Hertz-Monitore mit Nvidia G-Sync bringen mit dem Reflex Analyzer eine solche Vorrichtung gleich mit. Dazu wird die Maus über einen besonderen USB-Port am Display in das System eingebunden und per OSD kann ein Bereich auf dem Bildschirm definiert werden, in dem das Display auf Veränderungen achten soll – in der Regel ein unmittelbar aus dem Mausklick resultierendes Mündungsfeuer. Die Überwachungsfunktion steckt im neuen G-Sync-Modul.

Den Zeitversatz zwischen Eingang des Maus-Inputs und Ausgabe eines Resultats können die Monitore selbst ausgeben. Alternativ wird das Resultat über das Performance-Overlay in GeForce Experience gemeldet.

GeForce Experience mit Reflex: Ein neues Latenz-Overlay

Das neue Performance-Overlay für Latenzen steht ab Version 3.20.6.5. zur Verfügung, die ab dem 21. Oktober für jedermann zum Download verfügbar sein wird. Ab einer GeForce GTX 900 (Maxwell) zeigt das Overlay in Spielen die aktuellen FPS sowie die Render-Latenz („Render Queue“ + Rendern) an. Kommt ein neuer Monitor mit Nvidia Reflex zum Einsatz, kommen die kombinierte PC-Display-Latenz und – potentiell – auch die Mauslatenz dazu. Letztere wird von einer Maus mit Nvidia Reflex entweder selbst gemeldet oder bei 30 bekannten E-Sport-Mäusen als Durchschnittswert aus einer Datenbank entnommen. Aus den letzten 20 Messwerten bildet GeForce Experience darüber hinaus einen Mittelwert für die kombinierte PC-Display-Latenz und – inklusive der durchschnittlichen Mauslatenz – die Systemlatenz.

Nvidia Reflex SDK: G-Sync in der Spiele-Engine

Die dritte Säule des Nvidia-Reflex-Ökosystems ist ein SDK, das Spiele-Entwicklern zur Verfügung steht. Mit dem Nvidia Reflex SDK wird die im August 2019 im Treiber eingeführte Ultra-Latency-Funktion in die Spiele-Engine verlagert: Spiele selbst sollen unter Nutzung von Reflex zum spätestmöglichen Zeitpunkt den Input für den nächsten zu rendernden Frame einfordern – nämlich kurz bevor die GPU bereit für den nächsten Render-Auftrag ist.

Im Idealfall will Nvidia die so genannte „Render Queue“, also die Schlange der vor der GPU wartenden Frames mit von Frame zu Frame älteren Eingabebefehlen, so komplett verhindern können. Reflex wirkt hier wie G-Sync zwischen Spiel/CPU und GPU. Die Entlastung der CPU soll darüber hinaus dazu führen, dass das Sampling der Eingabebefehle ebenfalls später stattfinden kann.

Spieler können Nvidia Reflex Low Latency im Grafikmenü der unterstützten Spiele aktivieren. Der größte Nutzen soll sich im GPU-Limit ergeben. Das liegt auf der Hand: Ist die GPU der Flaschenhals, stapeln sich die Render-Aufträge vor dem Grafikprozessor und die darin berücksichtigten Eingaben des Spielers werden in der Warteschlange immer älter.

Die FPS bleiben davon unberührt, denn der Flaschenhals GPU bleibt unangetastet. Reflex lässt sich alternativ auch inklusive „Boost“ aktivieren, der die GPU leicht übertaktet. Das könnte dann geringfügig die FPS tangieren.